101 - Weihnachten im Sommer

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„Drei Wochen können ganz schön lang sein." Anni grinst mich nach einer ausgiebigen Umarmung schief an.
„Ja, ich habe dich auch vermisst. Aber was ist los? Irgendwie habe ich Angst."
Phil öffnet die Haustür, und bevor ich eine Antwort von Anni bekomme, verschwindet sie im Haus. Na schön.

Eigentlich bin ich im Begriff, mit Anni nach oben zu verschwinden, doch Papa hält mich auf.
„Warte mal kurz. Wir müssen dir was zeigen."
Ich gucke ihn fragend an. Ich habe damit gerechnet, dass ich vielleicht sofort meinen Koffer ausräumen soll, wovor ich mich drücken wollte, aber es scheint etwas anderes zu sein.
Er bedeutet mir, ihm zu folgen.
Phil, Alex und Paula stehen vor der Terrassentür, die Jalousien sind unten. Toni sitzt auf der Couch und grinst vor sich hin, schreibt wahrscheinlich wieder mit Jamira.
„Bereit?", fragt Phil schmunzelnd.
„Bereit", kommt es einstimmig von den anderen zurück.
Ich werfe Anni einen leicht überforderten Blick zu, doch sie sieht ebenfalls ratlos aus.
Phil lässt die Jalousien hochfahren.
„Du wolltest wissen, mit wem ich telefoniert habe?"
Ich nicke auf Alex' Frage. Worauf will er hinaus?
„Mit Flo. Aber sieh selbst."
Mit dem Blick in den Garten stoße ich einen hohen Schrei aus. Vor Freude.
„Ein Trampolin? Was? Aber ihr..." Ich breche ab und starre auf das Trampolin, welches in den Boden eingelassen wurde.
„Wir haben ein Trampolin!", ruft auch Anni freudig aus, ehe sie sich an Phil vorbeidrückt und nach draußen rennt. 
Wir. Ich muss lachen. Anni bezeichnet unser Haus als ihr zweites Zuhause.
Ich falle Papa um den Hals. „Danke, danke, danke!" 
„Das ist dein Weihnachtsgeschenk für dieses Jahr. Aber im Winter könnten wir das ja schlecht machen, deswegen haben wir arrangiert, dass das gemacht wird, während wir im Urlaub sind. Dann ist die Überraschung größer. Allerdings musst du dich nicht nur bei mir bedanken, nicht nur mein Konto hat darunter gelitten." Papa lacht und erwidert meine Umarmung, danach bedanke ich mich auch noch bei den anderen.
„Aber ihr wolltet euch doch nie den Garten damit versauen, deswegen habe ich ja irgendwann aufgegeben." Dieser plötzliche Sinneswandel verwirrt mich.
„Das ist ja nichts, was man nie wieder beheben kann. Und außerdem war das eben einer deiner größten Wünsche, zu dem wir uns jetzt nach Ewigkeiten doch mal einigen konnten. Und jetzt genieß mal noch die Zeit, bevor du ab Montag wieder Sportverbot hast." Papa zwinkert mir zu.
„Vermiese mir damit bloß nicht die Laune", warne ich, drehe mich um und peile ebenfalls das Trampolin an, auf dem Anni schon glücklich herumhüpft.
An Montag will ich gar nicht denken. Kaum sind wir aus dem Urlaub zurück, muss ich wieder ins Krankenhaus, wo ich operiert werde. Meine Drähte, oder was auch immer das ist, an den Rippen werden entfernt. Der Termin hätte eigentlich schon früher sein können, aber es hat eben nie besser gepasst.

Ich mache mich ein bisschen warm und dehne auch meine Handgelenke, bevor ich dann mit dem richtigen Turnen anfange. Ich kann nicht schon wieder eine Verletzung gebrauchen.

„Beim Training wurde ich übrigens wirklich schon gefragt, ob du überhaupt noch kommst", bemerkt Anni, als ich gerade nach einem Salto aufkomme und mich abfedere.
„Die spinnen doch, als würde ich damit aufhören. Niemals."
Anni grinst mich herausfordernd an. „Wie lang hast du dich nicht mehr gedehnt?"
Da muss ich leider nicht lang überlegen. „Viel zu lang nicht mehr. Jedenfalls so lang, dass ich dir keine Zahl nennen kann."
„Na dann, Spagatsprung?"
Ich verziehe mein Gesicht. „Das wird schmerzhaft."
„Übertreibs nicht. Aber es wäre interessant, wie weit du ohne Dehnung kommst."
Interessant. Sie will nur lachen. Normalerweise macht mir ein Spagat ohne Dehnung nichts aus, wenn ich aber lange nicht turne und mich auch nicht dehne, kann das schon mal ziehen.
„Nur zu deiner Belustigung." Ich grinse und springe etwas höher. Und dann ... Aua. Wie ich es vorhergesagt habe.
Anni lacht laut los. „So schlimm war das gar nicht", witzelt sie.
„Mhm, verarschen kann ich mich selber."
Doch auch ich muss lachen. Das wird morgen ordentlichen Muskelkater geben - im ganzen Körper.

„Sag mal, was wolltest du eigentlich von mir? Das wirkte sehr wichtig."
Wir machen gerade eine Pause im Schatten.
Alex hat Wassermelone geschnitten und uns rausgebracht. Trampolinspringen ist anstrengend, erst recht, wenn man lange kein Sport gemacht hat.
„Ich will dir deine Laune jetzt nicht verderben", sagt sie leise.
„Anni, du kannst nicht irgendwas erwähnen und dann doch den Mund halten. Außerdem ist meine Laune eh nicht mehr lange super, weil ich ab Montag in der Klinik bin."
Sie seufzt. „Schön. Ich habe vor ungefähr anderthalb Wochen Tim getroffen."
„Wo?" 
„In der Stadt."
„Aha. Und weiter?" Muss ich jetzt alles einzeln aus ihr herauskitzeln?
„Na ja, er hat mich halt angesprochen. Ihm tut alles so leid und er würde das echt gern wieder gutmachen, aber du meldest dich ja nicht mehr. Er sah wirklich nicht gut aus. So traurig, einfach fertig."
Ich schlucke, mir bleibt die Melone fast im Hals stecken.
„Er ist traurig?" Meine Stimme hat ein Zittern angenommen.
„Ja, hat er gesagt. Und das hat man auch gemerkt."
Langsam schüttele ich den Kopf. „Ich kann mich nicht bei ihm melden, dafür bin ich nicht bereit. Vielleicht ändert sich das, wenn wir uns in der Schule wiedersehen." Ich halte kurz inne. „O Gott, daran will ich eigentlich gar nicht denken." 

Es entsteht eine Stille, dafür sind meine Gedanken umso lauter.
„Was hast du gesagt?", frage ich schließlich.
„Nicht viel. Ich habe mir eher sein Gejammer angehört."
Ich will die Frage eigentlich nicht aussprechen, aber sie kommt schon fast von allein. „Meinst du, dass das nochmal was werden könnte?" 
Sie zuckt leicht mit den Schultern, wiegt ihren Kopf hin und her. „Das musst du wissen. Ich kann nicht in dich reingucken. Entweder kommst du damit klar, dass er ein anderes Mädchen während eurer Beziehung geküsst hat, es aber bereut, oder du kommst damit eben nicht klar. Das kann sich mit der Zeit natürlich auch noch ändern. Ach, ich weiß es doch auch nicht. Ich würde dir wirklich gern helfen."
„Vielleicht..." Ich hadere kurz, hole dann aber tief Luft. „Vielleicht ändert sich ja etwas, wenn die Schule beginnt." Mit Druck stoße ich die Luft wieder aus.
„Ja, vielleicht", sagt Anni leise, dann lenkt sie das Thema schnell wieder auf das Trampolin.
Sie meint es gut, will mich ablenken, aber es geht nicht. Tim hat meinen Kopf erneut erobert. Wenn er das nicht schon die ganze Zeit über hatte.

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Macht ihr eine bestimmte Sportart? Würde mich mal interessieren, wenn ihr das sagen wollt. 

Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)


7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt