104 - Verirrter Verwirrter

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Meine Panik hat mich fest im Griff. Ich fühle mich in die Nacht im Treppenhaus zurückversetzt.
Ein einziger Gedanke ist in diesem Moment für mich greifbar: Ich muss ihn zuerst außer Gefecht setzen, bevor er das mit mir machen kann.
Mein Herz hämmert schon fast schmerzhaft gegen meine Brust, will meinen Körper zu allem fähig machen.
Von Phils Bett nehme ich Bewegung wahr. Er wacht auf.
Ein kurzer, von aufkommenden Tränen erstickter Schrei, ein Schlag ins Gesicht.
Meine Hand zittert noch mehr, als ich sie wieder nach unten nehme. Wieso ins Gesicht? Keine Ahnung.
Phil fällt förmlich aus dem Bett, doch ehe er die Situation überhaupt ansatzweise einschätzen kann, springt er vor mich und stellt sich schützend zwischen uns.
„Was ist los?", fragt Phil ziemlich unbeeindruckt. Na gut, er wurde soeben aus seinem Tiefschlaf gerissen und scheint noch gar nichts zu checken. 
Ich bin nicht dazu fähig, ihm eine Antwort zu geben. Ich springe einfach ins Badezimmer, schließe mich ein und kauere mich in die letzte Ecke.
Die Beine eng angezogen, mein Gesicht auf den Knien abgelegt. Das Zittern überkommt mich immer stärker, es will nicht mehr aufhören.
„Was macht ihr in meinem Zimmer?", dringt die leise Stimme des Mannes erneut zu mir durch. Diesmal nur gedämpft durch die geschlossene Tür.
„Halten Sie mal ihren Kopf nach vorn und nehmen die Hand weg", kommt es ruhig von Phil.
Habe ich dem jetzt die Nase gebrochen? O Gott. Aber bevor er mir etwas angetan hätte...
„Was ist hier los?" Eine Schwester scheint ins Zimmer gekommen zu sein, die Stimme kann ich aber nicht zuordnen. „Oh Herr Lange, hier sind Sie ja. Sie wurden schon gesucht. Was machen Sie denn hier?", schiebt sie schnell hinterher.
„Das ist doch mein Zimmer", gibt er ziemlich verwirrt zurück.
„Nein, Sie müssen in die erste Etage, hier ist die fünfte."
„Oh, das habe ich vergessen", gibt der Mann, anscheinend Herr Lange, zu.
„Phil, warum blutet seine Nase?", fragt die Schwester weiter.
„Das wird Fine gewesen sein. Ich bin erst von ihrem Schrei richtig aufgewacht und habe noch gesehen, wie er etwas zurückgetaumelt ist. Mehr habe ich selber nicht gesehen."
Ich kann meinen Ohren kaum trauen. Was habe ich getan?
„Na ja, das wird sie ja nicht aus Spaß gemacht haben. Wo ist sie denn?"
„Im Bad."
„Na dann, du kümmerst dich, oder? Und Sie kommen mal mit mir mit, das muss sich ein Arzt angucken."

Kurz darauf wird die Tür zum Zimmer geschlossen und es klopft am Bad. „Fine, mach mal auf. Er ist weg, dir kann nichts passieren."
Ich rege mich nicht. Jedes Wort bleibt mir im Hals stecken, jede Bewegung verläuft nur unkontrolliert. Wie festgewachsen sitze ich auf dem Boden und kann nur zittern.
„Fine, alles gut bei dir?" Phil wird unruhiger, klopft immer energischer gegen die Tür.
Noch immer keine Antwort.
„Scheiße, Fine!"
Das Klopfen hört auf. Ich würde ihm gern sagen, dass alles gut ist. Aber da bin ich mir selbst nicht mehr sicher.
Ich steigere mich so in die Situation, dass sich meine Atmung nun auch beschleunigt.
Das geht hier gerade alles in eine ganz falsche Richtung.

Jemand nestelt am Schloss der Tür, bis Phil sie aufstößt und sofort zu mir auf den Boden kommt. 
„Fine, du musst dich beruhigen. Es ist nichts passiert, ich bin bei dir. Alles ist gut."
Ich schnappe nach Luft. Meine Versuche, Phils Blick zu fixieren, scheitern kläglich.
„He, alles ist gut Fine, wirklich. Der Mann ist weg, der kann dir nichts antun."
Meine Tränen laufen ohne Schluchzer über meine Wangen, dafür ist meine Atmung viel zu laut zu hören.
„Louisa, bring mir mal eine Maske", sagt Phil schließlich und streicht mir permanent über den Rücken.
Es bringt nichts, seine Worte bringen nichts, nichts bringt etwas. Ich stecke zu tief in diesen schrecklichen Gedanken, in den Erinnerungen.

„Das wird jetzt gleich besser, du kennst das schon." Phil ist die Ruhe in Person, doch das färbt leider nicht ab.
Er zieht mir die Maske über das Gesicht.
„Einfach atmen", sagt er ruhig und hält mich in den Armen.
Zuerst will ich die Maske panisch von meinem Gesicht reißen, doch Phil hindert mich daran und spricht mir beruhigende Worte zu.

Langsam beruhigt sich meine Atmung, meine innere Unruhe ist damit jedoch leider nicht weggeatmet.
Doch mich überrollt nun auch eine bleierne Müdigkeit, dich mich auf der Stelle umhauen könnte.
Kraftlos sacke ich in Phils Armen zusammen und schließe meine Augen. Schlafen und die Welt vergessen, nichts möchte ich jetzt mehr.
„Komm, ich lege dich ins Bett. Aber ich bin bei dir, du brauchst keine Angst zu haben."
Seine Stimme kommt bei mir nur noch als ein Flüstern an.
Ich merke, wie er mich vom Boden hochhebt, ehe ich endgültig weg bin.

Müde blinzele ich Phil an, der mal wieder am Tisch sitzt und auf seinem Handy herumtippt.
„Phil?", frage ich leise.
Sein Blick schnellt sofort nach oben. „Was ist los?"
„Nichts." Langsam setze ich mich auf.
„Ich hole schnell Tabea, damit sie nach deiner Naht guckt. Ich habe in der Nacht zwar auch schon geguckt und da war nichts, aber sicher ist sicher."
Die Nacht, da war was. Mir schießt das Bild wieder in den Kopf, als ich dem Mann ins Gesicht geschlagen habe.

„Habe ich den Mann doll verletzt?", hinterfrage ich schüchtern, als Phil mit Tabea wiederkommt.
„Nein, du brauchst auch kein schlechtes Gewissen haben. Er hatte nur etwas Nasenbluten. Deine Reaktion war verständlich, du hast ihn ja nicht vorsätzlich verletzt", beruhigt Phil mich. Und seine Stimme zeigt mir, dass er die pure Wahrheit sagt. Er spinnt nichts zusammen, um mir mein schlechtes Gewissen zu nehmen.
„Warum war er denn hier?"
„Er hatte seine Narkose nicht so vertragen und war ziemlich verwirrt. Deswegen hat er sich im Zimmer geirrt und etwas neben der Spur gewirkt", erklärt Phil und schaut Tabea dabei über die Schulter.
An seinem Gesichtsausdruck sehe ich, dass alles gut scheint, denn er entspannt sich sichtlich.
„Das sieht ganz so aus, als könntest du morgen wieder gehen", verkündet nun auch Tabea lächelnd.

Gut so, denn das Krankenhaus scheint mir nun auch keinen Schutz mehr vor dem Spiegel zu bieten.

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Falls hier jemand auf der Suche nach einer tollen Asds-Geschichte ist: ich kann euch das Buch von niemandin ans Herz legen :) Es sind Shorts, also keine zusammenhängende Geschichte, aber wirklich gut geschrieben. Und da das Buch noch nicht allzu bekannt ist (ist meins auch nicht, aber meins existiert schon etwas länger, ihr wisst, was ich meine), kennt das der ein oder andere von meinen Lesern vielleicht noch nicht. Von daher guckt euch das mal an, ihr werdet es nicht bereuen :)

Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Where stories live. Discover now