56 - Aufruhr vor der Schule

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„Ich gehe nachher einkaufen. Hast du Ideen für ein Abendessen?" Alex gießt sich ein Glas Wasser ein und im Hintergrund hört man die zufallende Haustür. Papa und Phil sind gerade los zum Dienst, Alex hat heute frei und Paula ist noch immer krank. Gut, sie ist gestern ja auch erst krank geworden.
„Wie wäre es mit einem Salat?", frage ich, während ich mir ein Vollkornbrot schmiere.
Alex zieht seine Augenbrauen zusammen und guckt auf mein Brot. „Salat? Nudelsalat, Kartoffelsalat, was für Salat?"
„Na Salat-Salat halt. So mit Gemüse eben." Ich beiße in mein Brot.
„Dazu eine Scheibe Fleisch?" Er guckt mich an, als würde er gerade dabei sein, ein Rätsel zu lösen.
„Könnt ihr meinetwegen dazu essen, mir reicht ein Salat", sage ich schulterzuckend.
„Ist alles okay mit dir? Abgesehen davon, dass du noch nie von allein nach einem puren Salat zum Abendessen gefragt hast, isst du gerade Vollkornbrot. Und das tust du nie."
„Gesunde Ernährung ist doch wichtig, oder nicht?" Mir schwirrt Phils Fall von gestern kurz durch den Kopf.
„Ja, aber..." Er lässt den angefangenen Satz in der Luft hängen. „Schön, dann gibt es heute Salat. Wie du willst."
„Danke. Schönen Tag dir, ich muss los." Ich drücke den letzten Rest meines Brotes in den Mund, schnappe mir noch mein Essen für die Schule und eine Flasche Trinken, dann bin ich auch ganz schnell weg.

„Am Montag schreiben wir einen Test, also guckt euch das nochmal an. Und Tim, mit dir würde ich gern noch mal sprechen", beendet Frau Gerlach den letzten Block.
„Wartest du draußen auf mich?", raunt er mir kurz zu, was ich mit einem Nicken beantworte. Heute kommt er gleich mit mir mit.
„Dann können wir ja auch noch mal kurz reden." Anni zwinkert mir zu. Oh Mann, ich weiß, worauf das hinausläuft.

Vor der Schule wartet Anni darauf, dass die Masse an Schülern weg ist, dann beginnt sie. „Also, das wievielte Treffen ist das jetzt zwischen euch?"
Ich stöhne genervt auf. „Anni, ich weiß es nicht. Jedenfalls haben wir uns schon etliche Male getroffen, ich zähle nicht mit, sorry."
„So von Freundin zu Freundin, Mädchen zu Mädchen. Er macht schon deutliche Andeutungen in der Schule." Sie wackelt mit den Augenbrauen.
„Anni! Ein letztes Mal, ich weiß nicht, wie oder was ich fühle. Ich brauche dafür Zeit."
Sie will etwas erwidern, doch mein klingelndes Handy macht ihr einen Strich durch die Rechnung. „Oh, das ist Alex. Warte kurz." Ich gehe ein paar Schritte weg und sehe, wie Anni selbst ihr Handy zur Hand nimmt. Dann drehe ich mich von ihr weg.
„Hi Alex, was gibt's?"
„Ich bin gerade einkaufen. Um dir deinen äußerst kuriosen Wunsch zu erfüllen, wollte ich nochmal fragen, welches Gemüse du genau meinst?"
Ich lache auf. „Halt Salat, Tomaten, Pa..." Mein Wort wird durch einen schrillen Aufschrei und quietschender Bremse abgeschnitten. Ich drehe mich um. Scheiße.
„Fine? Ist was passiert?", kommt besorgt aus meinem Handy, doch ich kann nicht antworten. Anni liegt mit dem Bauch auf dem Boden, etwas weiter vorn, als sie ursprünglisch stand. An dieser Stelle steht nun ein Fahrrad, auf diesem ein Jugendlicher, der Anni wie hypnotisiert anstarrt.
„Scheiße, Scheiße, Scheiße", fluche ich ängstlich und knie mich zu ihr. Alex ist noch immer an der anderen Leitung, liegt allerdings neben mir auf dem Boden.
„Josefine! Was ist passiert?" Alex muss gerade den halben Laden zusammenschreien, doch ich kann ihm jetzt nicht antworten.
„Anni? Anni, hörst du mich?" Ich rüttele an ihr, doch sie gibt keinen Mucks von sich. Atmung hat sie. Mit etwas anderem habe ich jetzt auch nicht gerechnet.
Ich lege sie in die stabile Seitenlage und entblöße sofort eine dicke Platzwunde an ihrer Stirn. Sieht gar nicht gut aus. Auch aus ihrer Nase läuft Blut. Diese sieht nicht mehr ganz so heil aus.
Es fühlt sich an, als würde ich mich in einem Tunnel befinden. Alles passiert automatisch, und so bekomme ich nicht mal wirklich mit, wie Tim neben mir auftaucht, die Lage erfasst und den Rettungsdienst ruft.
Erst durch Alex realisiere ich das alles etwas mehr.
„Josefine verdammt, was ist los?", kommt es zum fünften Mal aus meinem Handy.
Mit zitternder Hand nehme ich es wieder hoch.
„Irgendwie...gerade ist...also Anni", stottere ich, während ich mit einem Handgelenk vor Annis Gesicht permanent ihre Atmung überprüfe. So, wie mir die Jungs das beigebracht haben.
„Fine, beruhige dich. Was ist passiert? Atme tief durch", sagt Alex mit einer unglaublichen Ruhe in der Stimme.
Das tue ich auch und rede dann etwas ruhiger weiter. „Anni wurde gerade vor der Schule von einem Fahrrad angefahren. Sie wird das nicht gesehen haben."
„Okay. Ist sie ansprechbar?"
„Nein, eben nicht. In die stabile Seitenlage habe ich sie gelegt." Meine Sicht verschwimmt durch die angesammelten Tränen und mit einem Blinzeln laufen sie unaufhaltsam über meine Wangen. Mich durchschüttelt ein unglaubliches Zittern, und, wie in jeder Situation, die mich überfordert, wird mir übel.
„Atme ruhig, Fine. Du kannst das."
Alex hat bemerkt, dass meine Atmung schneller geworden ist.
„Du musst sofort den Rettungsdienst rufen", sagt er, bleibt aber die Ruhe selbst.
„Hat Tim gemacht", flüstere ich unter Tränen. Wieso wird sie nicht wach?
„Super. Probiere nochmals, sie wach zu bekommen."
Ich lege mein Handy kurz weg und setze ihr einen Schmerzreiz. Ein leises Grummeln kommt zurück und sie bewegt sich etwas.
„Sie hat auf einen Schmerzreiz leicht reagiert", informiere ich dann Alex, noch immer mit den Tränen kämpfend.
„Prima, das ist doch schon mal gut. Was ist mit dem Unfallfahrer?"
Ich drehe meinen Kopf nach rechts. Tim steht bei ihm, doch es sieht nicht so aus, als würde er etwas von ihm gesagt bekommen. Tim wendet sich schließlich von ihm ab und kommt zu mir. „Der ist völlig weg. Solche roten Augen habe ich noch nie gesehen", sagt Tim zu mir und schüttelt den Kopf.
„Der sitzt da und macht gar nichts. Tim sagt, der hat rote Augen. Also wahrscheinlich was mit Drogen", gebe ich an Alex weiter.
„Klingt ganz so", höre ich Alex leise sagen. Dann ertönen die erlösenden Geräusche der Sirenen.
„Alex, der Rettungsdienst kommt." Mir fällt ein Stein vom Herzen, trotzdem hört das Zittern nicht auf.
„Okay, dann lege ich jetzt auf. Soll ich dich abholen?"
„Ich würde mitfahren", lehne ich ab.
„Gut. Aber informiere mich bitte, okay?"
„Mache ich." Ich lege auf, packe mein Handy weg und stehe auf. Ganz schön wackelig auf den Beinen, merke ich gerade.
„Alles gut?" Tim guckt mich besorgt an, hat er anscheinend bemerkt.
Ich nicke, und im nächsten Moment kommen ein NEF und ein RTW um die Ecke gefahren. Phil ist der Erste, der herausspringt und zu uns eilt. Ihm folgen Jacky und Dustin aus dem RTW und Papa aus dem NEF, wobei Papa auf Tim und mich zusteuert.
Tim erklärt die Lage, während ich erneut in Schluchzen ausbreche und Papa in die Arme falle. Was ist los mit mir?

Die Polizei, bestehend aus Moritz und Stephan, kommt auch schnell und knöpft sich den Typen vor. Sie bestätigen Tims verdacht. Bekifft bis zum Mond. Bekommt gar nichts mehr mit, der Typ.
Papa regelt alles, Phil, Jacky und Dustin kümmern sich um Anni, die inzwischen immer mehr zu sich kommt, und Tim ist damit beschäftigt, mich zu beruhigen.
Nachdem Anni in den RTW gebracht wurde, kommen Papa und Phil auf mich zu.
„Möchtest du mit?", fragt Papa, was ich sofort bejahe.
„Dann fährst du mit mir im NEF mit." Er lächelt mich an und nimmt mich in den Arm, was ich gerade nur zu gern erwidere.
„Danke, dass du dich so um Fine gekümmert hast. Euer Treffen müsst ihr dann wohl verschieben", wendet sich Phil an Tim.
„Hab ich gern gemacht. Und das ist ja selbstverständlich."

Im NEF macht Papa Blaulicht an. „Wir fahren mit Blaulicht, aber mach dir keine Gedanken. Das ist nur zur Vorsicht, sie ist wieder komplett ansprechbar", erklärt Papa und drückt aufs Gas, um am RTW zu bleiben. Während der Fahrt schildert Papa mir Annis Verletzungen, bis er sich plötzlich sehr konzentriert. "Ich hasse diese Kreuzung bei Sonderrechten", murmelt Papa.

Kaum hat er das gesagt, passiert es auch schon.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Where stories live. Discover now