119 - Bereit für die Biotonne

2.8K 126 30
                                    

Die nächsten Tage lebe ich so vor mich hin, ohne wirklich etwas zu fühlen. Ich schleppe mich in die Schule, sitze dort die qualvollen Stunden wie in einem Gefängnis ab, gehe ins Krankenhaus zu Papa, gehe zum Training.
Meine Konversationen mit den anderen beschränken sich auf das Nötigste, wobei es bei allen so ist. Ohne Papa im Haus ist es einfach anders, das kann keiner überspielen, so gern man es auch tun würde.
Seine Werte verändern sich schleppend langsam. Wenigstens verbessern sie sich allmählich. Es ist, als würde eine Schnecke auf Schlaftabletten an einem Rädchen drehen, welches die Werte nach oben schraubt. Und wenn diese Schnecke nicht bald mal ihre Schlaftabletten absetzt, kann keiner etwas garantieren.

Und dann, als wäre dieser seelische Schmerz noch nicht genug, setzt mich auch noch eine miese Erkältung außer Gefecht. So wirklich.
Bedeutet: ich kann weder zu Papa, noch kann ich zum Training. Jackpot sagst du?

Mein Kopf fühlt sich an wie ein Pfirsich, der seine besten Tage schon lange hinter sich hat.
Wie ein Pfirsich, an dem die Fruchtfliegen nagen und sich erfreuen.
Wie ein Pfirsich, der am Vergammeln und bereit für die Biotonne ist.
„Du siehst ja sehr... ansehnlich aus", bemerkt Alex trocken, als er mich sieht.
„Vielen Dank, ich fühle mich so fit wie ein Turnschuh", murmele ich und huste im nächsten Moment.
Meine Nase ist zu und drückt mir alles in alle Richtungen. Nur nicht dahin, wo es hingehört.
Kraftlos lasse ich meine Schultasche fallen, mindestens genauso kraftlos falle ich danach auf die Couch.
Sofort habe ich mein wandelndes Fieberthermometer an meiner Stirn kleben.
„Du glühst ja beinahe", flüstert Alex und zieht seine Hand wieder weg. „Schule ist jetzt wohl gestrichen."
Brummend nehme ich das zur Kenntnis. Was habe ich auch schon in den letzten sieben Tagen in der Schule gemacht? Genau, nichts. Und die letzten zwei waren sowieso nicht vorhanden, so wie ich auf dem Stuhl hing und einfach nur meinen Husten unterdrückt habe. Lustig ist definitiv anders.
„Wie geht's Papa?" Meine Stimme kratzt mir unangenehm im Hals und löst den nächsten Huster.
Bitte lass mich zum Wettkampf wieder gesund sein.
„Phil ist gerade bei ihm, ich..." Alex unterbricht, als wir einen Schlüssel an der Tür hören.
Kurz darauf schreit Phil schon: „Alex, Franco kann morgen aus dem Koma geholt werden!"
Ich springe reflexartig auf, will zu Phil rennen, doch mein Kreislauf hat ganz andere Ziele und zieht mich zurück auf die Couch. Ich fasse mir an den pochenden Kopf. Wobei ich bezweifele, dass man das noch Kopf nennen kann. Wie gesagt, eher ein matschiger Pfirsich.
„Oh, Fine. Du schon hier? Oder zumindest das, was von dir übrig geblieben ist." Phil setzt sich an meine andere Seite, sofort habe ich seine Hand an der Stirn. „Das ist... heiß. Ordentlich", stellt auch er fest.
„Super, freut mich. Papa wacht morgen auf, hast du gesagt?"
Phil nickt eifrig und wird wohl meine Erkältung auch mal für ein paar Minuten vergessen.
„Nach acht Tagen. Beziehungsweise neun." Ich breche von jetzt auf gleich in Tränen aus. Meine Nase ist sowieso zu, mein Kopf fühlt sich ebenfalls schon bereit für die Biotonne an, also warum nicht auch noch weinen?
Phil und Alex nehmen mich von beiden Seiten in ihre Arme. Angst vor Ansteckung ist anscheinend nicht gegeben. Müssen sie auch darauf anlegen, was?
Wobei ich ziemlich froh darüber bin.
Mir wurde nicht gesagt, was mit Papa genau passiert ist. Immer nur was von 'zu viel Blut verloren' und 'innere Verletzungen'. Aber wenn ich ehrlich bin - genauere Infos will ich gar nicht wissen.
Tränen der Erleichterung sind toll, wenn es acht Tage lang nur Tränen vor Verzweiflung gab. Danke an die Schnecke, die ihre Schlaftabletten weggelassen hat. Ich bin ihr ziemlich dankbar.

„Du solltest dich mal hinlegen und ausruhen", bemerkt Alex nach einer Zeit.
Ich wische mir die Tränen weg, schnaube meine Nase aus - nicht nur einmal - und mache mich dann auf der Couch breit.
Kaum versehe ich mich, bin ich auch schon eingeschlafen.

Den restlichen Tag bekomme ich kaum mit. Irgendwann muss ich am Esstisch gesessen und eine Brühe geschlürft haben. Aber genau weiß ich das gar nicht mehr.
Umso genauer und intensiver fühle ich nun die Nacht.
Alex hat mich am Abend vom Sofa in mein Bett getragen, damit ich möglichst nahtlos weiterschlafen kann. Nur doof, wenn man gegen ein Uhr von einem Schmerz aus dem Schlaf gerissen wird, der nicht mehr nur aus der Biotonne stammt. Eher vom Sondermüll.
Scheiße Mann, was ist das denn?
Tränen schießen mir unwillkürlich in die Augen. Mein linkes Ohr fühlt sich an, als würde jeden Moment das Trommelfell platzen. Gleichzeitig fühlt es sich taub an, als würde ich mir einen Becher über das Ohr halten. Oder eben in einer Biotonne stecken. Den Geruch davon habe ich sowieso schon seit Tagen in der Nase - ich will gar nicht wissen, wie meine Nebenhöhlen aussehen.
Ein Pulsieren fährt gleichmäßig durch mein Ohr, setzt mit jedem Mal mehr Schmerz aus. Wobei - er wird einfach immer weniger erträglich.
Ich lege mich auf die andere Seite, will einfach weiterschlafen und hoffen, dass der Schmerz morgen weg ist.
Doch der Schmerz lässt mich nicht schlafen.
Tränen laufen mir unaufhaltsam über meine Wangen, machen den Schmerz sichtbar.
Ich drücke mir meine Hand aufs Ohr, weiß nicht mal, was ich mir davon erhoffe.
Ich beiße meine Zähne zusammen und lasse sie knirschen.
Es fühlt sich an, als würde mein Ohr gleich abfallen.

Nach etlichen Minuten, in denen ich mich weinend im Bett gewälzt habe, stehe ich auf.
Ich mache mir nicht die Mühe, bei Alex anzuklopfen. Er wacht so oder so auf, wenn ich die Tür öffne.
Und tatsächlich, kaum stehe ich im Zimmer, sitzt er kerzengerade in seinem Bett und knipst seine Nachttischlampe an.
„Was ist denn bei dir passiert?", fragt er sofort aufgeregt und scheint hellwach zu sein.
„Mein Ohr", bringe ich schwach hervor und lasse mich auf Alex' Bett fallen. Meine linke Hand noch immer fest auf mein linkes Ohr gepresst.
„Tut das weh?", hakt er nach und löst meine Hand.
Ich nicke und beginne, ihm diesen Schmerz irgendwie zu beschreiben.
„Das klingt nach einer Mittelohrentzündung. Ich würde sagen, dass ich mit dir nachher mal in die Klinik fahre und das abklären lasse. Jetzt möchtest du bestimmt was gegen diese Schmerzen, oder?"
Ich nicke sofort heftig, was meine Matschbirne mit meinem Ohr um die Wette pochen lässt.

Nach einer Ibu und einem Glas Wasser kann ich nach einer halben Stunde endlich einschlafen. Neben Alex, in mein eigenes Bett habe ich es nicht mehr geschafft.

„Geht das mit den Schmerzen noch?"
Ich nicke auf Alex' Frage und schleppe mich zu seinem Auto. Die Wirkung lässt langsam nach, aber noch ist alles auszuhalten.

In der Klinik geht Alex zielstrebig auf die Anmeldung zu. „Hey Birgit, Fine hat da ein kleines Problem. Ich tippe auf Mittelohrentzündung. Soll ich auf die Kinderstation mit ihr?"
Birgit scheint kurz zu überlegen. „Also hier ist heute wirklich volles Haus, auf der Kinderstation ist die Hölle los, in der Notaufnahme auch. Guck mal bei der HNO vorbei, passt ja auch. Da dürfte es nach meiner Kenntnis ganz ruhig sein."
Ich will mich schon wie selbstverständlich abwenden und zum Aufzug gehen, als Alex mich am Handgelenk packt und zurückzieht. „Äh, also... Geht das nicht auch irgendwo anders? Ich könnte ja selbst schnell nachgucken und handeln... vielleicht", stammelt Alex und kratzt sich am Kopf.
Ich werde hellhörig, zumindest mit meinem rechten Ohr. Das andere will ja nicht wirklich.
„Alles gut bei dir? Was spricht denn gegen die HNO?", hinterfragt Birgit verwirrt.
Das würde ich auch gern wissen.
HNO. Die Station, die Paula neulich in ihrem geheimnisvollen Gespräch erwähnt hatte.

------------------

Als erstes: vielen Dank für 70k Reads und 6k Votes. Ich bin irgendwie sprachlos. Das ist so unglaublich viel, wow

Dann wurde ich von asds_as_kas_fp getaggt, vielen Dank! Auch wenn das Kapitel an sich schon lang wurde, möchte ich die Fragen nicht in einem Extrakapitel beantworten. Also wen das jetzt nicht interessiert, dem wünsche ich schon mal einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

Die Fragen:

1. Ein Lied mit besonderer Bedeutung für mich

'Das ist dein Leben' von Philipp Dittberner

2. Lieblingsperson von As

Ich würde jetzt einfach mal Paul Richter sagen.

Lieblingsperson von Asds

Ganz klar Phil Funke

Lieblingsperson von Kas

Tabea Rohde

Lieblingsperson von Rpw habe ich nicht, weil nie geguckt und so

3. Lieblingsbuch auf Wattpad

Guckt in meine Leseliste. Dort findet ihr die Bücher, die ich am meisten mag und empfehlen kann :)
Ich bin unfähig, mich auf Sachen zu beschränken, wie man merkt, huch

4. Lieblingsessen

Lasagne

5. Lieblingsgetränk

Orangensaft

----------------

Ich tagge wieder jeden, der mitmachen möchte. Die Fragen bleiben :)

Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Where stories live. Discover now