60 - Albträume und deren Folgen

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Durch einen Schmerz an meinem Brustbein fahre ich hoch. Schweißgebadet, mein Oberteil klebt an mir. Mein Gesicht von Tränen benetzt, die nicht mehr stoppen wollen. Ich friere. Die Luft ist noch nicht warm genug, um mit nassem Oberteil im Garten zu sitzen.
„Pscht, beruhige dich, wir sind bei dir." Ich werde fest in den Arm genommen und mir wird sanft über den Rücken gestrichen, was mich zucken lässt. Diese Schmerzen, sie haben sich eingebrannt.
Meine Atmung geht stoßweise, ich habe sie nicht wirklich unter Kontrolle.
„Du musst dich beruhigen. Mach mir nach." Die Person, die mich gerade noch fest im Arm hatte, drückt mich von sich weg. Ich erkenne Alex, der durch meinen Tränenschleier verzerrt wirkt. Die Sonne geht bereits auf.
Er legt mir eine Hand auf den Brustkorb und gibt mir somit den Rhythmus vor, nach dem ich atmen soll. Mir wird eine Decke übergelegt.
Mein Blick fixiert Alex' Gesicht, um auf andere Gedanken zu kommen.
Allmählich bekomme ich meine Atmung in den Griff. Probeweise bewege ich meine Beine. Sie sind frei, lassen sich problemlos bewegen. Ich fasse mir ins Gesicht. Keine Scherben, kein Blut. Nur Tränen, die langsam trocknen und einen klebrigen Film hinterlassen.
Das fröhliche Vogelgezwitscher im Hintergrund passt nicht.
„Geht's wieder?", fragt Alex und umfasst mein Handgelenk. Typische Griffe eines Arztes.
Zaghaft nicke ich und schlucke. Mein Hals fühlt sich kratzig an und ist trocken. Ich muss husten.
„Ich bringe dir Wasser", sagt Papa schnell und verschwindet im Haus.
„Was war los?", möchte ich fragen, doch meine Stimme ist heiser, es kommt nur ein Krächzen.
Alex' Mundwinkel zucken kurz. Was war daran jetzt witzig? „Du hast so viel und so extrem laut geschrien, dass deine Stimme jetzt wirklich weg ist. Was hast du geträumt?"
Papa kommt mit dem Glas wieder und ich leere es in einem Zug. „Es war so... Es fühlte sich so echt an", flüstere ich. Allein der Gedanke an diesen Traum lässt mich zittern und treibt mir erneut Tränen in die Augen.
„Komm, wir gehen erst mal rein und du ziehst dich um, sonst holst du dir was weg." Papa nimmt mich in den Arm und stützt mich somit hoch.
Ich werde auf der Couch geparkt und Alex verlässt das Wohnzimmer, während Papa sich zu mir setzt.
„Möchtest du drüber reden?" Seine Stimme ist sanft und gleichzeitig besorgt.
Ich zucke mit den Schultern, als es an der Tür klingelt. Papas Miene verzieht sich zu einem Fragezeichen.
„Ich gehe", kommt es von Alex, der die Treppe runterpoltert und die Tür öffnet. „Hannah? Moritz? Was macht ihr denn hier?" Seine Stimme ist pure Verwirrtheit.
„Können wir kurz reinkommen?", fragt Moritz. Dann stehen die zwei Polizisten schon im Wohnzimmer, Alex hinter ihnen, der sie einfach nur ratlos anstarrt.
Die Augen der zwei werden groß, als sie mich sehen. Ich bin gerade auch nicht viel mehr als ein Häufchen Elend.
„Wir wurden von einer besorgten Nachbarin gerufen, die Schreie aus eurem Garten gehört hat. Laute und schrille Schreie, wie, als würde man um sein Leben schreien. So hat sie es beschrieben", erklärt Hannah deren Dasein.
„Gut möglich", murmele ich und gucke sie abwechselnd an. Ich atme tief durch. „Der Unfall lag mir wohl schwer in den Knochen."
„Im Garten?" Moritz zieht eine Augenbraue hoch.
Ich nicke. „Ich konnte nicht schlafen und bin in den Garten gegangen. Dort bin ich dann irgendwann eingeschlafen. Und wurde gerade geweckt", erzähle ich leise.
„Fine hat geschrien wie am Spieß. Davon sind wir aufgewacht und haben nachgeguckt. Da haben wir sie auf der Terrasse gefunden, komplett außer sich. Alex hat sie erst durch einen Schmerzreiz wecken können, vorher hat sie nicht reagiert, zwar wie gelähmt dagelegen, aber eben so laut geschrien", führt Papa weiter aus.
Ich will das gar nicht hören.

Paula und Toni kamen ebenfalls runter, nachdem sie auch die Klingel gehört haben. Papa und Alex hatten sie vorher oben gelassen, als sie von meinen Schreien wach wurden. Ich muss wirklich die halbe Nachbarschaft geweckt haben.
Moritz und Hannah haben sich schnell wieder verabschiedet und ich habe mich umgezogen. Alex hat mir ein Shirt von sich gegeben, weil er weiß, dass ich große Shirts mag.
„Möchtest du noch mal ins Bett?"
Ich verneine Papas Frage ohne zu zögern. Nicht noch solch einen Traum. Es ist kurz vor sechs Uhr, lohnt sich eh nicht mehr.
Papa geht in die Küche und kocht Kaffee für sich und Alex. Sie wollen bei mir bleiben.
Ich mache es mir gemütlich und es dauert nicht lang, bis ich trotz der großen Angst vor einem erneuten Albtraum halb auf Alex' Schoß einschlafe.

Ich vernehme leise Stimmen, die anscheinend von der Terrasse kommen.
„War noch kurz in der Wache, Frederik hat mich ernsthaft vier Tage krankgeschrieben. Aber ich habe gute Nachrichten. Es klappt alles so, wie wir uns das vorgestellt haben. Da wird sich Fine freuen."
Ich kann den Worten noch gar nicht wirklich folgen, jedoch weiß ich sofort, wem die Stimme gehört. Phil.
Mit einem Satz stehe ich vor der Couch. Mir wird kurz schwarz vor Augen, aber das ignoriere ich so gut es geht und renne ohne Umschweife auf die Terrasse direkt in Phils Arme.
„Du bist wieder da", nuschele ich gegen seine Brust und drücke ihn fest an mich.
„Ich freue mich auch, wieder hier zu sein. Aber mit mir war doch nichts schlimmes, was ist denn los?"
„Das willst du nicht wissen", seufzt Alex und wirft mir einen nachdenklichen Blick zu.
Langsam löse ich mich von Phil und lasse meinen Blick in die Runde schweifen. Paula hat sich aus dem Bett bewegt. Und ich sehe neben Toni ein neues Gesicht. Stimmt, er wollte uns heute ja jemanden vorstellen. Wie spät ist es überhaupt? Aber nicht gerade der beste Zeitpunkt, um sie vorzustellen. Peinlich. Ich stehe hier in Jogginghose und zu großem Shirt, wie meine Haare gerade aussehen, will ich gar nicht wissen.
Das Mädchen lächelt mich nett an. „Du musst also Josefine sein. Ich bin Jamira." Sie winkt mir kurz zu.
Ich ringe mir ein Lächeln ab und will gar nicht wissen, was dabei rausgekommen ist.
„Und was war jetzt los?", hinterfragt Phil leicht ungeduldig.
„Das klären wir später. Ist mit dir alles okay, Fine?" Ich bin Alex gerade dankbar, dass er das nicht vor Tonis Freundin, oder wer auch immer sie nun ist, breittreten muss.
Ich nicke kurz. „Um ehrlich zu sein würde ich gern zu Anni. Denkt ihr, sie kann Besuch empfangen?"
„Ich war, bevor ich gegangen bin, kurz bei ihr. Ihr geht es gut, also es spricht nichts dagegen", sagt Phil.
„Na komm. Zieh dich an und dann fahren wir." Alex steht auf und schiebt mich zurück ins Haus. Ich will gerade hoch in mein Zimmer, doch Alex hält mich auf. „Vorher isst du aber bitte noch was."
Ich gucke ihn an. „Ich habe immer noch keinen Hunger."
„Dann geht's auch nicht zu Anni. Deine Entscheidung." Er hebt seine Schultern.
„Das ist Erpressung", schnaube ich.
„Zu deiner Gesundheit. Auch wenn dir der Unfall schwer im Magen liegt, musst du was essen. Soll ich dir ein Brot machen, während du dich anziehst?"
„Ein Vollkornbrot mit Frischkäse", gebe ich mich geschlagen und verschwinde.
Mir ist dennoch nicht entgangen, wie Alex unzufrieden sein Gesicht verzogen hat.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Where stories live. Discover now