123 - (Un)bekannter Helfer

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„Vielleicht redet sie ja heute am Abend mit dir. Falls sie wirklich Schmerzen haben sollte, die nicht verschwinden und ihr suspekt vorkommen, wird sie sich schon bei einem von uns melden, mach dir keine Gedanken."
Phil muss es also Paula erzählt haben.
„Und wenn es schwerwiegend ist? Vielleicht eine Appendizitis. Die kann ja auch mit Schmerzen im Magen anfangen", sagt Phil schon fast in einem verzweifelten Ton. „Ich gucke jetzt nach ihr."
„Machs nicht, lass sie schlafen. Sie wird vom Wettkampf noch völlig fertig sein", hält Paula ihn vor meiner Tür auf.
Schlafen. Ha ha ha. Wenn ich das könnte.
„Ich bin dann weg", höre ich Alex sagen.
„Komm Phil, wir müssen auch los. Sie meldet sich."
Und dann entfernen sich jegliche Menschen von meiner Tür. Wobei Phil noch einen tiefen Seufzer nach draußen gelassen hat. Ihm ist dabei anscheinend gar nicht wohl.
Und mir ebenso wenig. Ich hätte mir wahrscheinlich genau so gut Smarties einwerfen können, die hätten den gleichen Effekt wie die Schmerztablette erzielt. Und zwar genau keinen. Wobei - meine Übelkeit wäre dadurch wahrscheinlich noch gefördert worden.

Ich habe keine Ahnung, wie ich mich hinlegen soll. Bei jeder Bewegung überkommt mich eine neue Welle an Schmerz, die meinen ganzen Bauch überflutet.
Panik steigt in mir auf, treibt mir die Hitze in den ganzen Körper. Obwohl diese schon seit einer Weile in mir brütet.
Wohl oder übel - wobei übel leider wortwörtlich genommen werden kann - muss ich aufstehen. Sonst hatte der Teppich vor meinem Bett seine besten Tage hinter sich.
Mühsam quäle ich mich aus dem Bett, während ich gegen diese Übelkeit ankämpfe. Wenigstens noch bis ins Bad, bitte.
Nur mit größter Mühe unterdrücke ich einen Aufschrei, als ich den ersten Schritt mache. Ein buntes Feuerwerk wird losgeschickt und explodiert in Form von Schmerz. Nicht ganz so bunt in den Farben wie versprochen, aber dafür fühlt es sich, nun ja, sehr explosiv an. Was ein Feuerwerk so ausmacht.
Jeder Schritt lässt Phils Worte lauter in meinem Kopf hallen.
Schwerwiegend.
Ist es das? Es fühlt sich so an. Aber kann das alles so schnell gehen? Es hat doch erst letzte Nacht mit dem Ziehen in der Magengegend angefangen.
Ich gucke jetzt nach ihr.
Warum hat er sich davon abbringen lassen? Auch wenn ich kein Wort gesagt hätte, hätte er meinen Zustand bemerkt.
Und dann schreit mit der Ankunft im Badezimmer meine eigene Stimme in Gedanken am lautesten: Du hättest dich verdammt nochmal allein melden müssen!
Im nächsten Moment habe ich die Toilette begrüßt. Guten Vormittag.

Schmerzhaft probiert mein Magen, alles an Inhalt nach draußen zu bekommen. Er würde sich nach meinem Gefühl wahrscheinlich am liebsten einmal umstülpen, nach draußen wandern, sich waschen und dann erst Ruhe geben.
Dass er inzwischen alles nach draußen befördert hat, was überhaupt möglich ist, will er partout nicht checken. Was soll da auch bitte großartig rauskommen, wenn ich seit gestern Morgen nichts mehr gegessen habe?
Ich weine vor Schmerz, vor Anstrengung, vor Verzweiflung.
Bitterer Geschmack lässt mich würgen, der Geruch nach Galle macht das nicht besser.
Genau jetzt, als würde es das Schicksal nicht besser mit mir meinen, ist keiner im Haus.
Papa liegt noch in der Klinik, er soll morgen entlassen werden, Toni ist gestern Abend noch zu einem Kumpel verschwunden und die anderen sind arbeiten.
Völlig ausgelaugt sinke ich gegen die Wand neben der Toilette. Es gibt deutlich appetitlichere Orte in unserem Haus, aber was will man machen.
Mein Kopf sollte jetzt auf Hochtouren arbeiten, um eine Lösung zu finden. Doch wie, wenn der Schmerz meinen Körper regiert und ich noch immer gegen erneute Versuche meines Magens, sich entleeren zu wollen, ankämpfen muss.
Ich weiß nur eine Sache ganz sicher: ich kann nicht mehr warten, bis jemand nach Hause kommt.

Vernunft. Ein Fremdwort für mich. Ich verstehe das Wort 'Vernunft' genau so wenig, wie ich meine Französischlehrerin die letzten vier Jahre verstanden habe.
Je suis stupide.
Vielleicht doch etwas aus dem Unterricht mitgenommen; aber es ist nicht sinnvoll.

„Kann man dir helfen? Du siehst gar nicht gut aus." Der Busfahrer guckt mich beinahe erschrocken an.
„Alles gut", wende ich ab, zeige ihm meine Fahrkarte und schleppe mich zum nächsten Platz. Eine Station. Ich werde es schaffen.
Und ich bin scheiße unvernünftig. Warum auch Alex anrufen, der gerade in der Wache ist? Oder nach meinem Zustand einen RTW?
Nein, da entscheide ich mich für den Bus. BUS!
Es muss an ein Wunder grenzen, dass ich das überhaupt noch schaffe.
Ich fühle mich wie... ausgekotzt? Wobei - ziemlich nett umschrieben.

Schier nicht enden wollende Minuten vergehen - um genau zu sein dürften es nur knappe zwei gewesen sein - bis zur Klinik. Es hat sich wie der Tripp zur Hölle angefühlt. Abgeholt vom Teufel höchstpersönlich.
Schritt für Schritt schleppe ich mich zur Notaufnahme, wobei sich die Hürde, die sich schon zu Hause vor mir aufgebaut hat, Schritt um Schritt zu vergrößern scheint. Und dadurch immer unüberwindbarer wirkt.
Wie schnell ein Zustand doch kippen kann, das ist unglaublich.

Und dann, vielleicht zehn Schritte vor meinem begehrten Ziel, durchzuckt mich ein Schmerz, dessen Intensität noch mal alles übertrifft.
Alle Kräfte ziehen mich zu Boden. Ich krümme mich vor Schmerz, während ich gleichzeitig erneut würge. Da kommt nichts mehr, wie oft noch?
Schwerwiegend.
Phil, da hattest du anscheinend recht. Aber hätte ich mit solch einer extremen Wendung rechnen können? Nein.
„Alles okay bei Ihnen?", höre ich entfernt eine Stimme. Schritte nähern sich schnell, die schwer auf den Asphalt treten.
Ein Tränenschleier verwischt mein Bild vor Augen, sodass ich mich einfach wieder dazu entscheide, meine Augen zuzukneifen. Natürlich ist alles okay. Diese Frage...
„Was ist..." Die Person hält inne.
Ein Schatten legt sich über meinen Körper, das merke ich auch mit geschlossenen Augen.
„Scheiße."
Ja, das ist verdammte Scheiße, das merke ich sehr gut allein.
Eine Hand legt sich auf meine Schulter. „Warte, ich hole einen Arzt. Bleib ruhig... Josefine."
Für einen kurzen Moment scheint alles anzuhalten. Der Schmerz, diese Gedanken, meine verkrampfte Haltung.
Josefine. Diese Tonlage, in der er meinen Namen ausgesprochen hat, würde ich wohl immer wieder erkennen.
Und mit einem Schlag ist dieser kleine Bruchteil einer Sekunde vorbei.
Verzweifelt schlinge ich meine Arme um meinen Bauch, mein Kopf wendet sich auf dem warmen Asphalt.
Die Rollen einer Liege nähern sich, doch der Arzt dazu ist schneller.
„Ich wusste es", murmelt Phil und hebt mich ohne weitere Worte hoch. „Was ist los? Und wie bist du hierhergekommen?", fragt er dann doch, nachdem er mich auf die Liege gelegt hat, die sich unverzüglich in Bewegung setzt.
„Mein... Bauch", bringe ich mit knapper Luft hervor. „Bus", ergänze ich flüsternd und greife nach Phils Hand, die meinen Puls fühlt.

Im Empfangsbereich höre ich Phil noch einen schnellen Satz an meinen Helfer richten: „Danke, dass du gerade da warst, Tim. Schönen Dienst dir."
Abgesehen davon, dass dieses 'Danke' von Phil keinen Sinn macht - es handelt sich um Tim. Und das habe ich allein an meinem Namen erkannt.
Ich dachte, dass ich ihn nie wieder sehe.
Sag niemals nie.
Aber dieses 'Schönen Dienst dir.' erklärt wohl so ziemlich jegliches Verhalten der letzten Zeit in drei einfachen Worten.
Wäre in meinem Kopf jetzt bloß noch Platz zum Denken.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Where stories live. Discover now