92 - Fliegendes Handy

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Phil nimmt mich fest in den Arm, streicht mir über den Rücken. Seine Versuche, mich zu beruhigen, brauchen lange, bis sie wirken.

Schließlich sitzen wir alle mit einem Glas Limo auf der Terrasse und haben ein reges Gespräch über belanglose Dinge. Toni beginnt, mit Opa über seine Freundin zu reden, Phil und Paula reden über irgendein politisches Thema.
Ich halte mich schön aus beiden Gesprächen raus, lasse dafür meine Gedanken schweifen. Oma ist noch nicht so alt. Sie wurden früh Eltern. Bitte lass das alles einfach gut ausgehen.

Paulas Klingelton lässt alle sofort verstummen.
„Alex", sagt sie mit einem kurzen Blick auf den Bildschirm und stellt auf Lautsprecher.
„Alex? Was ist?", frage ich sofort.
„Es war noch kein Infarkt, sondern eine Angina pectoris", antwortet er ruhig, als wäre er der Arzt gewesen, der sie behandelt hat.
Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen. Aha, sagt mir genau nichts.
„Jedenfalls war das sogar schon bekannt und sie hat Medikamente genommen, nur nicht heute. Und dann war das eine zu große emotionale Belastung. Ihr könnt sie auch heute im Krankenhaus besuchen, wenn ihr wollt. Sie muss noch hier bleiben und es wird geguckt, ob weitere Therapien angesetzt werden. Franco würde das gern noch seinem Vater sagen. Kann ihm mal jemand das Handy geben?"
Ich stelle den Lautsprecher aus und halte Opa das Handy hin, mit den Worten, dass Papa ihm das alles erklärt.
Toni und ich gucken Phil und Paula an.
„Was bedeutet das denn jetzt? Muss man sich noch großartig Sorgen machen?", hinterfragt Toni.
„Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, waren solche Anfälle bei ihr schon bekannt, weshalb sie medikamentös eingestellt ist. Sie ist in sicheren Händen, macht euch keine Sorgen", erklärt Paula.
Na ja, wirklich verstanden habe ich das jetzt nicht, aber Alex hat sich jetzt auch nicht sonderlich aufgebracht angehört.

Am frühen Abend haben wir kurz bei Oma vorbeigeschaut. Sie hat wieder einen guten Eindruck gemacht, meine großen Sorgen waren aber auch erst dann wirklich verschwunden.

Jetzt kann ich mich auch wieder mehr auf meinen Fuß konzentrieren. Phil würde mich am liebsten durch die Gegend tragen, damit sich mein Schnitt ordentlich erholen kann. Aber ich verzichte auf diesen Service und halte mich lieber an ihm fest, während ich auf links hüpfe. Es gibt nämlich schon einen unangenehmen Schmerz, wenn ich den rechten Fuß belaste.
Während die anderen schon längst irgendwo weit vorn sind, hängen Phil und ich noch immer hinten im Gang zwischen Patientenzimmern fest. Mich hat soeben ein Krampf im linken Fuß überrascht, bei dem ich nur gerade so einen Schrei unterdrücken konnte.
Ein junger Arzt kommt uns entgegen und fragt, ob wir Hilfe benötigen.
Phil guckt ihn nur verwirrt an, aber ich verneine sofort dankend.
Noch etwas skeptisch guckend zieht der Arzt weiter.
„Was wollte der?" Phil greift mir nun richtig unter die Arme und lässt mich förmlich über den Boden schweben. 
„Er hat gefragt, ob wir Hilfe brauchen. Und jetzt lass mich runter." Ich bremse uns mit meinem linken Fuß ab, den ich auf den Boden setze, nachdem Phil mich ignoriert hat.
Dabei verlieren wir durch das abrupte Ende jedoch beide unser Gleichgewicht.
Phil hat sich schnell ein bekommen, kann er doch auch beide Beine benutzen. Ich für meine Person springe jedoch wieder quer über den Gang, habe mich schon etwas von Phil entfernt. Dieser Schmerz, der mich erwartet, wenn ich mich mit meinem rechten Fuß abstützen würde, hält mich von jeglichen Aktionen ab.
Doch auch ich habe relativ schnell mein Gleichgewicht gefunden, atme kurz durch und drehe mich dann um.
Phil steht lachend da.
„Was ist so witzig? Anstatt du dich mal beeilst, um mich zu halten, stehst du einfach nur da und lachst mich aus." Ich puste mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus dem Zopf gelöst hat.
„Du willst ja immer keine Hilfe haben. Und es sieht einfach witzig aus, wenn du wild mit deinen Armen fuchtelst und probierst, dein Gleichgewicht hüpfend zu finden. Wir wissen ja, dass es dir links nicht so leicht fällt, ne?", verteidigt er sich noch immer grinsend.
Da hat er recht, links war noch nie meine Stärke. Und dann passiert mir immer rechts was. Dabei könnte ich auf dem Bein viel besser hüpfen.
Phil wischt sich gerade Tränen aus seinen Augenwinkeln, als ich plötzlich einen Stoß von hinten fühle. Jetzt kann mich gar nichts mehr halten, keine kleinste Chance bleibt mir.
Ich strecke in Sekundenschnelle meine Arme zum Abfangen aus, da werde ich doch noch von zwei Armen gefangen und wieder auf mein Bein gezogen. Was zur Hölle...
Phil steht an Ort und Stelle, starrt mich perplex an. Langsam drehe ich mich um - und gucke direkt in das Gesicht eines italienischen Tims.
Ich starre ihn an, bin nicht fähig, etwas zu sagen. Mein Herz pumpt durch diesen beinahe-Sturz noch heftig, gleichzeitig verwirrt mich aber auch das Aussehen des Jungen. Er sieht Tim einfach verdammt ähnlich, nur mit italienischen Zügen. Diese braunen Haare, dieser Körperbau. Gruselig.
„Fine? Alles okay? Hast du dir was getan?" Phil greift nach meinem Arm.
„Alles gut, nichts passiert", nuschele ich.
Jetzt scheint auch der Junge aus seiner Starre aufzuwachen. „Tut mir wirklich leid", entschuldigt er sich in gebrochenem Deutsch.
Jetzt kann der auch noch Deutsch?
Ich antworte ihm auf Italienisch, dass alles gut ist und es nicht seine Schuld war. Er sieht erleichtert aus, bekennt sich aber zu seiner Schuld, weil er auf sein Handy geschaut hat. Und dieses sehe ich nun auch neben mir auf dem Boden liegen. Scheint er wohl vor Schreck fallengelassen zu haben, als er nach mir gegriffen hat. Na hoffentlich ist das bei seinem Flug nicht kaputtgegangen. 
Er verabschiedet sich von mir, hebt sein Handy auf und geht schnellen Schrittes weiter. Mit gesenktem Kopf, um seine Röte zu verstecken. Die ist mir aber mal so gar nicht entgangen.

Phil kneift mir in meinen Oberarm. „Erde an Fine, du starrst dem ja richtig hinterher." Er grinst mich an.
Langsam schüttele ich den Kopf. „Er sah Tim so ähnlich, findest du nicht auch? Nur eben ein italienischer Tim."
Phil hebt eine Augenbraue. „Nein, eigentlich sah der gar nicht nach Tim aus. Kein kleines bisschen. Vielleicht seine Haare, aber die haben viele Jungs, sehr viele."
Ich schlucke, mein Mund ist irgendwie trocken. „Ich brauche was zu trinken", sage ich neben der Spur, halte mich wieder an Phil fest und hüpfe weiter, als wäre nichts gewesen.
Von Phil kommt ein belustigtes Geräusch. „Schockverliebt", nuschelt er.
„Nein? So bin ich nicht, das weißt du ganz genau", erwidere ich schnaubend. Dann tritt Schweigen ein, obwohl ich an Phils Gesicht sehen kann, woran er denkt. Oder besser gesagt sehe, dass er weiß, woran ich denke. Na super. Dabei werde ich diesen Typen eh nie wieder sehen.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)


7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Where stories live. Discover now