74 - Belegtes Gästezimmer

3.3K 121 14
                                    

Vor mir steht nichts weiter als ein Häufchen Elend. Von dem erwachsenen, immer stark wirkendem Mann ist nichts mehr zu sehen.
„Stephan? Was ist denn bei dir passiert?", schreie ich schon fast, so überrascht bin ich.
Er hebt seine Schultern, lässt sie im nächsten Moment jedoch sofort wieder hängen. „Kann ich reinkommen?" Seine Stimme zittert.
„Natürlich. Setz dich auf die Couch, ich hole mal Alex."
Er geht durch ins Wohnzimmer, ich öffne die Kellertür und gehe nach unten, um kurz mit Alex reden zu können.
„Alex?"
Ich höre eine Waschmaschinentür klicken, dann seine Schritte auf dem Boden knirschen.
„Was ist denn los, alles okay bei dir?"
„Ja, mit mir schon. Aber mit Stephan nicht. Er sitzt im Wohnzimmer, seine Augen total rot unterlaufen, steht da, als wäre sonst was passiert."
„Stephan? Habe ich das richtig verstanden?"
Ich nicke.
Alex drückt sich an mir vorbei und rast die Treppe hoch. Wieso bin ich die ganzen Treppen noch mal runtergegangen? Mit den Rippen ist es nicht so angenehm.

Nachdem auch ich mal wieder das Licht der Welt erblicke und die Treppen endlich geschafft habe, höre ich ein leises Schluchzen aus dem Wohnzimmer. Stephan sitzt da, weint sich an Alex' Schulter aus. Was ist hier passiert?
„Möchtest du nicht mal darüber reden? Was ist denn passiert?", fragt Alex sanft. Ich dachte schon, ich hätte den Part verpasst.
Stephan wischt sich die letzten Tränen weg und atmet tief durch.
„Steffi...sie meinte, sie bräuchte eine Pause. Hat sie gestern Abend gesagt. Und heute Morgen, als sie angeblich zur Arbeit musste, habe ich durch das Fenster gesehen, wie sie von einem Typen abgeholt wurde. Sie sahen sehr...vertraut aus", erzählt er leise, seine Stimme wirkt, als würde sie jeden Moment abbrechen.
Stephan und Steffi. Dass es zwischen denen mal kriselt, damit hätte keiner gerechnet.
„Als ich sie dann gerade darauf angesprochen habe, nachdem sie wieder nach Hause gekommen ist, hat sie mich rausgeschmissen. Wegen der Pause. Und weil ich ihr anscheinend nicht vertraue." Es ist nicht mehr als ein Flüstern.
„Was soll ich denn jetzt machen?", fragt er verzweifelt, ihm kommen erneut Tränen. Dass ich ihn mal weinen sehe, das hätte ich mir nie vorstellen können.
„Du kannst, wenn du möchtest, zu uns ins Gästezimmer. So lang du möchtest, bis du eine passende Wohnung gefunden hast. Oder sich das wieder mit Steffi einrenkt", schlägt Alex ohne zu zögern vor.
Ich mache mich auf den Weg in die Küche, um für Stephan ein Glas Wasser zu holen. Der Arme. Was ist jetzt eigentlich mit Amelie?
Kaum habe ich das Glas vor ihm abgestellt, klingelt es auch schon wieder an der Tür.
„Ich gehe schon", sage ich und mache mich auf den Weg.
In der ersten Sekunde gucke ich in kein Gesicht. Erst, als ich ein Stückchen weiter nach unten gucke.
„Amelie?" Sie steht mit einem Rucksack auf dem Rücken vor mir. Gerade noch daran gedacht, schon ist die Antwort da.
„Ich habe in meinem Zimmer gehört, wie Mama Papa angeschrien hat. Dann die knallende Wohnungstür. Ich habe schnell ein paar Sachen gepackt, weil Papa mir so leid getan hat. Und als ich die Wohnung heimlich verlassen habe, ist mir ein komischer Mann entgegengekommen, der zu uns wollte. Ist Papa bei euch?"
Mir bleibt die Luft weg. Jetzt hat die Kleine auch noch alles mitbekommen.
Ich halte ihr meine Hand hin. „Komm, dein Papa ist im Wohnzimmer."
Amelie rennt freudig auf ihren Papa zu, doch vorher drückt sie mir noch ihren Rucksack in die Hand. Stephan hebt sie auf seinen Schoß, und sofort gehen die Fragen von ihr los. Aber nicht, bevor Amelie ihn nicht tröstet. Sie war schon immer eher das Papa-Kind.
Mit dem Rucksack in der Hand gehe ich zurück in den Flur und öffne ihn. Auf den ersten Blick sehe ich ein paar Klamotten und einen Stoffbären. Oh Gott. Das treibt mir selbst fast Tränen in die Augen.

Phil und Papa sind die Ersten, die wieder nach Hause kommen. Paula kommt kurz darauf und Toni ist mal wieder bei seiner Jamira. Natürlich hat keiner was dagegen, dass wir Stephan für eine Zeit aufnehmen. Und Amelie hat den Wunsch geäußert, bei ihrem Papa bleiben zu wollen. Also hat sich Stephan noch mal auf den Weg gemacht, um für sich und Amelie das nötigste Zeug zu holen.
Für Amelie ist das alles ziemlich aufregend. Immerhin darf sie jetzt auch hier schlafen. Und sie hat jetzt, nach ihrer Ansicht, immer einen Spielpartner. Das kann ja was werden. Schon jetzt hängt sie die ganze Zeit an mir. Also auf der Couch.
„Amelie, ich muss mich aber schonen. Da ist nichts mit im Garten toben. Sonst sind meine Rippen wieder ganz kaputt", erkläre ich ihr, da sie immer unruhiger neben mir zappelt und mich bequatscht, dass ich doch mit ihr draußen spielen soll.
Sie schiebt ihre Unterlippe vor, doch ich schüttele eisern den Kopf.
Phil, der ebenfalls auf der Couch sitzt, seufzt. „Na komm, wir können ja ein bisschen spielen gehen."
Sofort springt Amelie auf und hängt sich an sein Bein.
Dafür setzt sich Paula zu mir. „Pass bloß gut auf deine Rippen auf." 
Ich nicke. „Allein durch die Schmerzen werde ich nicht vergessen, dass da was ist. Aber sie hat so unglaublich viel Energie." Ich beobachte, wie Phil und Amelie durch den Garten rennen und immer wieder einen Ball schießen.
„Sag mal, Paula, wie sieht es eigentlich bei euch mit Kindern aus?" Ich grinse sie an.
Ein Lächeln umspielt ihre Mundwinkel. „Phil und ich hätten gern Kinder. Aber damit lassen wir uns noch etwas Zeit. Wenn es kommt, dann kommt es, wir legen es jedoch noch nicht drauf an. Vielleicht in einem halben Jahr."
Na das ist ja nicht mehr lang.

Abends liege ich im Bett und kann nicht einschlafen. Zu viele Gedanken gehen mir wirr durch den Kopf. Ich habe Amelie gern bei mir, jedoch möchte sie immer so viel spielen. Und ich muss mich schonen, also wird aus ihr ein kleines Nervenbündel.
Außerdem hat Alex es geschafft, mir Angst vor dem Spiegel zu machen. Bei nahezu allem was ich tue, habe ich den Spiegel im Hinterkopf. Was der alles anrichten könnte. Eigentlich so ein Schwachsinn, aber irgendwie hat sich das eingebrannt.
Und es schleicht sich die Angst ein, dass das mit Amelie nicht ganz ungefährlich wird.

--------------

Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Where stories live. Discover now