track 4

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Disc 4
Track 4 - 18
» god knows we tried, yet all along, I knew we'd be fine «
HARRY
im vierten Jahr nach der Trennung von One Direction

8. Juni

5:32

LONDON

Seufzend ließ ich mich zurück zwischen die Kissen fallen. Ich hatte die ganze Nacht damit verbracht, mich schlaflos in meinem Bett hin- und herzuwenden und zwischendurch immer wieder auf meine Handyuhr zu starren, nur um zu wissen, wie lang es noch dauern würde, bis diese Nacht endlich vorbei war.

Jetzt hat es sowieso keinen Sinn mehr.

Ich schaute abermals zu Estelle, die schlafend neben mir lag. Obwohl es dunkel war, konnte ich ihre Konturen ganz genau erkennen. Sie hatte sich zu mir gedreht, die Decke bis zu ihrer Nasenspitze gezogen und die frische Nachtluft fuhr durch das gekippte Fenster über ihre Haut. Eigentlich war es ein unglaublich schöner Moment. Nur, dass ich ihn mir die letzten vier Jahre hinweg selbst verbaut hatte.

Schon lange hatte ich mich nicht mehr derart miserabel gefühlt. Angefangen hatte das alles während der Trennung von Estelle - damals, als ich davon überzeugt gewesen war, dass ein paar Zigaretten und das Wegschieben meiner Probleme alles in Ordnung bringen würde. Aber ich hatte mich geirrt. Ich hatte mich so verdammt geirrt. Ich hatte mich vom ersten Moment an geirrt, und es hatte gut drei Jahre gedauert, bis ich das erkannt hatte.

Was hat dich überhaupt denken lassen, dass ich so tun könnte, als hätten vier der wichtigsten Menschen in meinem Leben nie existiert?

Ganz egal, wie viele Vorwürfe ich mir machte, das Chaos in mir wollte nicht besser werden. Unter einem tiefen Seufzer fuhr ich mit beiden Händen so lange über mein Gesicht, bis ich mir die Haut rot und wund gerieben hatte - oder zumindest fühlte es sich so an. Durch die Zwischenräume meiner Finger holte ich noch einmal tief Luft, ehe ich mich daran machte, aufzustehen. Mit einer groben Bewegung zog ich die Decke von meinem Körper, streckte meine Beine von der Bettkante, bis meine Füße den kalten Boden berührten, und krallte meine Finger in den Stoff des Lakens.

Irgendwie war ich nicht allzu überrascht, als ich bemerkte, wie Estelle sich unter der Decke wand und sie schließlich von sich schob, um sich stattdessen hinzusetzen. Bei jeder Bewegung, die sie machte, klammerte ich unbewusst meine Finger ein wenig fester in das Bettlaken. "Harry, stimmt irgendwas nicht? Geht es dir nicht gut?", flüsterte ich sie dann zu mir herüber. Ihre Stimme war brüchig und klang bei jeder Silbe so, als würde sie jeden Augenblick nach hinten kippen und wieder einschlafen. Ich ließ meinen Kopf noch etwas weiter nach unten hängen. "Mir geht's gut", murmelte ich, "oder, sagen wir mal so, ich fühle mich nicht krank."

"Das macht es nicht besser. Denn das heißt, dass dich irgendetwas beschäftigt und ich nehme an, dass du deswegen auch nicht gut geschlafen hast?" Ich schüttelte den Kopf. "Ich konnte gar nicht erst einschlafen. Also habe ich damit aufgehört, es überhaupt noch zu versuchen", gestand ich ihr. Estelle reagierte nicht. Stattdessen hörte ich, wie sie über die Matratze zu mir kroch, spürte, wie sie ihre Arme um meinen Nacken schloss und ihr Gesicht in meine Halsbeuge grub. Ich schloss meine Augen und sog ihren Geruch ein. Ich konzentrierte mich auf das Gefühl, wie ihr Oberteil an meinem Rücken schmiegte. Auf ihre Finger, die vorsichtig über meine Haut strichen.

"Es ist der achte Juni", sagte ich knapp, als Estelle weiterhin vor sich hin schwieg. Sofort spürte ich, wie sie ihr Gesicht von meinem Hals hob und ihren Griff um meine Handgelenke ein wenig lockerte. "Oh, klar, richtig. Der achte Juni", wiederholte sie, "ich hätte es wissen müssen. Es tut mir leid." Sie setzte dazu an, ihre Finger von mir abzulassen, doch ich kam ihr zuvor und ich behielt ihre Hände dort, wo sie waren. Ich drückte sie sogar noch ein bisschen fester an mich. "Schon gut. Ich will nicht, dass meine Probleme dein Leben so sehr bestimmen wie meins. Das ist das Letzte, was ich wollen würde." Sie beugte sich erneut über meine Schulter, woraufhin sie ihre Nase in meinen verwuschelten Haaren vergrub. "Deine Probleme sind auch meine Probleme, Harry. Du bist ein unglaublich starker Mensch, Harry. Aber selbst die stärksten Menschen kommen irgendwann an ihre Grenzen. Vor allem, wenn es um Beziehungen geht. Du kannst nicht immer alles allein durchstehen."

Beziehungen. Es war doch ironisch, wie ein derart unschuldiges Wort einen Menschen Stück für Stück zerstören konnte. Gedankenverloren lehnte ich mich gegen Estelle. "Ich bin es müde, zu versuchen, stark zu sein." "Und das ist auch vollkommen okay. Vielleicht würde es dir ja ein wenig helfen, wenn du Zayn nachher anrufen würdest. Ich bin mir sicher, er würde sich darüber freuen. Und ich glaube, es würde dir auch ganz gut tun, um mit der Sache ein für alle Mal abzuschließen", meinte sie überzeugt, aber ich konnte mich ihr da nicht so ganz anschließen. Ich drehte mich mit dem Oberkörper zu ihr, wobei ihre Hände von meiner Haut glitten. Estelles Augen waren das Einzige, was diesen kalten, dunklen Raum erhellte, und ich hoffte, dass sie in meinen Augen genau dasselbe sah.

"Und wenn ich Zayn anrufe, was soll ich ihm dann sagen? Wie leid es mir tun würde, dass ich nicht zu seiner Hochzeit kommen werde, nachdem ich schon zu seinem Geburtstag nicht aufgetaucht war? Weißt du, zum ersten Mal in meinem Leben hätte ich Zeit gehabt. Ich hätte verdammt noch mal Zeit gehabt, ein Ticket zu buchen, nach New York zu fliegen, auf diese Hochzeit zu gehen und vielleicht ein paar Tage dort zu verbringen. Und was habe ich getan? - Ja, richtig. Ich hatte nicht einmal den Nerv, abzusagen und hab' mir stattdessen einen Termin nach dem anderen ausgemacht, um mich auch nur irgendwie von meinem schlechten Gewissen abzulenken. Ich glaube, ich habe mich noch nie für jemanden mehr geschämt. Und das Traurigste an der Sache ist, dass ich ein paar Jahre lang gedacht hatte, dass es der richtige Weg gewesen war."

"Niemand ist perfekt. Nicht du, nicht ich, nicht Zayn. Jeder macht manchmal Fehler. Das Wichtigste ist nur, dass man daraus lernt. Und das hast du getan", versuchte sie, mich zu beruhigen. Und tatsächlich funktionierte es. So wie immer eben. Kurzerhand schloss ich die Augen und ließ die kalte Luft in meine Lungen strömen, "Ich weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich hab' die ganze Nacht wach gelegen und über nichts Anderes nachgedacht und trotzdem ... bin ich nicht weiter gekommen. Ich hätte die vier nie gehen lassen dürfen." - "Das hast du nie getan. Ihr seid nur unterschiedliche Wege gegangen, das hast du vorhin selbst gesagt. Und alle Wege kreuzen sich irgendwann auch wieder. Manche öfter oder später als andere, aber sie tun es." Ich schaute erneut zu ihr auf und ließ meine Augen ihre Konturen entlanggleiten. „Das wird schon."

half blue skies | 𝐨𝐧𝐞 𝐝𝐢𝐫𝐞𝐜𝐭𝐢𝐨𝐧Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt