track 9

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Disc 1
Track 9 - I Want
» I want, I want, I want, but that's not me«
NIALL
im ersten Jahr nach der Trennung von One Direction

Der Regen prasselte in Strömen gegen meine Fensterscheibe, dicke Wolken sogen das Tageslicht auf. Ich fasste mir mit den Händen um den Nacken und rutschte ein wenig weiter nach vor. Meine Nasenspitze berührte dabei beinahe das Display meines Laptops. Wie lange ich schon dasaß und versuchte, auch nur irgendwas in das Dokument zu tippen, konnte ich nicht sagen. Doch als ich damit angefangen hatte, hatte die Sonne noch geschienen.

Es waren Wochen vergangen, in denen ich mich täglich vor den Laptop oder ein Blatt Papier gesetzt hatte. Zwischenzeitlich waren ein paar wenige Zeilen entstanden und oft waren diese vom Tisch direkt in den Mülleimer geschoben worden. Die Gedanken waren da, doch die Worte fehlten. Meistens schrieb ich zu schnulzig. Manchmal aber auch zu widersprüchlich oder zu hoffnungslos.

Ich hatte seit der Trennung kein einziges Lied mehr alleine auf die Reihe gebracht. Selbst jetzt sah ich mich immer noch die Jungs neben mir sitzen und herumalbern. Harry driftete in philosophische Gedanken ab, während Zayn sich um seinen Hals warf und ihn beinahe vom Stuhl riss, aber zum Glück kam Liam gerade noch rechtzeitig dazwischen. Aus dem Hintergrund konnte man Lou lachen hören, denn der hatte wie immer alles auf seiner alten Digitalkamera festgehalten. Unsere Manager schüttelten die Köpfe, doch wir wussten, dass sie uns nicht böse waren.

Leichte Gänsehaut überkam mich. Obwohl ich wusste, dass ich damit aufhören sollte, über die Zeit in der Band nachzudenken, verfiel ich viel zu oft in alte Schemata. Ich konnte so viele Pillen schlucken wie ich wollte, mit der Trennung war ein großer Bruchteil meiner Lebensenergie verloren gegangen. Und ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich diesen jemals wieder zurückgewinnen sollte.

Es klingelte an der Wohnungstür. Ich schrak auf, atmete tief durch und schob kurzerhand den Laptop und all den anderen Kram, der sich die vergangenen Wochen über angesammelt hatte, beiseite. Im Gehen zog ich mir den Bund meines Shirts etwas weiter über meine Jeans.

Inzwischen wusste ich mir etwas mehr dabei zu helfen, wie ich Flynn begrüßen sollte und dieses Mal konnte man unsere Umarmung auch tatsächlich als eine bezeichnen. Ich lächelte ihn an und fragte ihn, ob er nicht schon einmal reingehen wollte. Hinter ihm kamen dann auch Emma und Noah zum Vorschein. Ihre Hände waren ineinander verschränkt, heute trug sie fast dasselbe Septum wie er es tat. „Hey!", begrüßte sie mich strahlend und drückte mir vage Küsschen an die Wangen. Auch wenn ihre Kleidung dunkler geworden war, schillerte sie in allen Regenbogenfarben.

Sie lief an mir vorbei und zog Noah mit sich, wodurch ich gar nicht dazu kam, mit ihm zu reden. Er und ich schenkten einander ein knappes, aufgezwungenes Lächeln, dann hatte er sich auch schon wieder von mir abgewandt.

„Du hast es wirklich schön hier, Nialler", kam es wenige Sekunden später von Emma. Die drei waren zum ersten Mal in meiner neuen Wohnung. Vorsichtig drückte ich die Tür hinter mir zu und bedankte mich. „Kann ich euch etwas zu trinken anbieten?", fragte ich in die Runde, woraufhin Flynn sich sofort breit grinsend zu mir umdrehte, „Hast du vielleicht Gin?" Obwohl ich nicht sonderlich begeistert von dem Vorschlag war, nickte ich dennoch.

Allesamt gingen wir in die Küche. Während die anderen in Gespräche verfielen, deren Kontext ich nicht verstand, holte ich den Gin und vier Cocktailgläser aus dem Wandschrank. Nebenbei ließ ich den Stapel an Medikamenten unter der Stoffauskleidung meines Brotkorbs verschwinden.

Als ich den Alkohol einschenkte, schüttete ich ihn mehr über die Theke anstatt in die Gläser. Kurz geriet ich ins Zögern, denn ich wusste, dass es besser wäre, wenn ich nichts Starkes trinken würde. Doch einmal wieder verlor mein Verstand gegen meinen Leichtsinn und ich füllte auch das vierte Glas bis zur Hälfte mit Gin. So hatten wir es früher schließlich auch immer getrunken.

Ich klemmte die Getränke zwischen meine Finger und ging zurück. Noah fragte Emma gerade, ob sie sich wirklich sicher sei, nicht mit ihm eine rauchen gehen zu wollen. „Prost", sagte ich, währenddessen ich die Gläser austeilte. Wir ersparten uns das Anstoßen und gingen direkt in die Sache über. Als ich das Glas an meine Lippen setzte, überkam mich ein laues Gefühl der Übelkeit. Früher hatte ich mit den anderen darum gewettet, wer als Erstes benebelt in der Ecke liege würde, mittlerweile traute ich mir nicht mal mehr einen einzigen Schluck zu.

Nur dieser eine Drink.

Ich nahm einen tiefen Atemzug und kippte den Gin mit dem Mittelfinger in meinen Magen. Angewidert verzog ich mein Gesicht, versuchte aber dennoch, mir so wenig wie möglich anmerken zu lassen. Bereits wenige Sekunden später wurde das schlechte Gewissen von einer nebeligen Schwade erstickt. Grob wischte ich mir mit dem Daumen den Alkohol weg, der von meinen Lippen tropfte.

Sie sind doch sowieso bald wieder weg und später kommt mein großer Bruder vorbei.

„Also?", fragte Noah Emma und zupfte ungeduldig an den Ärmeln ihres Pullovers, wobei er in Richtung des Balkons nickte, „gehen wir jetzt eine rauchen oder nicht?" Zögernd wiegte sie ihren Kopf hin und her. Noah sah genervt von ihr weg, nur um ihr einen Moment später falsch ins Gesicht zu lächeln. Er fasste ihr um die Hüfte, in seiner Hosentasche suchten seine Finger bereits nach der nächsten Zigarette.

Ich war von mir selbst überrascht, als ich meine Hand nach ihm ausstreckte und sein Schulterblatt streifte. Er wandte sich in meine Richtung, ein ironisches Grinsens stahl sich auf seine Lippen. Passiv stellte ich das Glas neben mir ab. „Warte mal, Em", sagte er und drückte sie förmlich von sich weg, „sieht so aus, als würde unser Nialler mit mir mitgehen wollen." Ich bejahte. Als ich hinter ihm von den anderen wegging, hielt mich Flynn an der Schulter zurück und zwinkerte mir zu. Emma hingegen blieb verwirrt im Türrahmen stehen.

Noah wusste, dass ich nicht rauchte und hielt mir trotzdem seine Packung Zigaretten unter die Nase. „Nein, danke", erwiderte ich trocken und er verdrehte abermals die Augen. Es war das erste Mal, dass ich seit meiner Rückkehr mit ihm redete. „Also, was brennt dir auf der Seele?", fragte er, lehnte sich gegen die Mauer und sog scharf den Rauch in seine Lungen.

„Was ist dein Problem mit mir?", warf ich es ihm vor. Für einen Augenblick setzte Noah seine Zigarette ab. Das Knistern der Glut harmonierte mit der Melodie des Regens. „Hm, gute Frage. Lass mich nachdenken. Ich muss mich nämlich zuerst entscheiden oder was würdest du sagen, ist trauriger? Dass du meine Freundin anschmachtest oder dass du uns damals für ein bisschen Luxus stehen hast lassen?" Er lachte verächtlich in seine Faust.

„Es geht dir noch immer darum? Ist das dein Ernst, Noah? Du hättest doch genau dasselbe gemacht, wenn du die Chance gehabt hättest." Ich klang zugleich wütend als auch abwertend, so kannte ich mich gar nicht. Ein paar Regentropfen fielen auf mich herab, meine Haare hingen tief in meine Stirn. Durch den Regen sahen sie komplett dunkel aus.

„Kannst du dich nicht mehr daran erinnern, wie du noch an dem Tag vor dem Casting gemeint hast, dass du zu uns zurückkommen würdest, ganz egal, was passiert?"

„Wir wahren sechzehn."

„Soll das etwa eine Rechtfertigung sein?"

Meine Gedanken schlugen sich allmählich übereinander. „Und was ist mit Emma?", lenkte ich das Thema in eine andere Richtung, „kann es sein, dass es dir gar nicht um sie geht? Sondern vielleicht eher um mich?" Ich konnte meine eigenen Worte kaum glauben, aber in diesem Moment ergab auf einmal alles Sinn. Schulterzuckend atmete Noah mir den Rauch ins Gesicht. „Warum ist dir das so wichtig? Ich habe den Eindruck, dass du manchmal vergisst, dass du fünf Jahre nicht ein einziges Mal hier gewesen bist. Du bist hier weder ein großer Popstar noch interessiert sich irgendjemand für deine süßen kleinen Lieder", meinte er unbekümmert, „du kannst auf roten Teppichen rumlaufen, Welttourneen spielen, du kannst von mir auch so viele Models vögeln wie du willst - was soll's. Aber nicht hier. Mullingar hat dich vergessen, Niall."

Er schnippte mir seine ausgebrannte Zigarette vor die Zehen.

half blue skies | 𝐨𝐧𝐞 𝐝𝐢𝐫𝐞𝐜𝐭𝐢𝐨𝐧Where stories live. Discover now