track 9

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Disc 4
Track 9 - Fireproof
» it's been so long, maybe we're fireproof «
HARRY
im vierten Jahr nach der Trennung von One Direction

An meinem ersten Drehtag war ich viel zu früh dran. Auch wenn ich wirklich gehofft hatte, dass ich nicht der Erste sein würde, der beim Studio ankam, war ich nicht großartig verwundert darüber. Selbst Estelle hatte mir heute Morgen gesagt, dass ich mich doch noch eine Weile zurück ins Bett kommen oder zumindest ein bisschen länger bei ihr bleiben wollte. Mir war durchaus bewusst gewesen, dass sie damit Recht gehabt hatte, doch zu diesem Zeitpunkt meine Nerven hatten meinen Verstand zu bereits komplett übernommen.

Ich fühlte mich wie auf Pillen vermischt mit Alkohol - alles rauschte einfach an mir vorbei, ohne dass ich es überhaupt erst registrierte. Ich nahm nicht einmal wahr, wohin ich schaute oder ob ich mir vor Nervosität die Fingernägel in die Handflächen bohrte. Alles, was ich von meiner Außenwelt mitbekam, war das flackernde, grelle Licht der Scheinwerfer, die den Flur mit jedem meiner Schritte etwas mehr ausleuchteten und die Dunkelheit in kalte, graue Stahlwände verwandelten.

Die Tür zum Seminarraum stand bereits offen. Im Laufe der nächsten Stunden würde hier die gesamte Crew zum ersten Mal aufeinandertreffen und die Szenen, die später gefilmt werden würden, durchgesprochen werden. Vorsichtig trat ich in den Raum und ließ meinen Blick durch alle Ecken schweifen. Er hatte etwas von einem Klassenzimmer, denn die weißen Tische standen sorgfältig hintereinander aufgereiht und hinter ihnen schauten jeweils zwei billige Plastikstühle hervor. Ich schlängelte mich an den Tischen vorbei, im Vorbeigehen legte ich dabei den Lichtschalter um.

Dort streifte ich meinen Mantel von den Schultern und hängte ihn über die Lehne des Stuhls. Wie sonst auch hatte ich den Platz an der Wand ausgesucht. Ich strich die Falten in den Ärmeln aus, schob den Stuhl zurück an den Tisch und ging in langsamen Schritten durch den Raum.

Es gab nicht viel zu sehen. Alles sah schlichtweg industriell und unpersönlich aus. Da war weder Fingerabdrücke an den Wänden noch Kratzer auf den Schreibtischen. Stattdessen war alles einfach so, wie es zu sein hatte. Wie in einem System. Je mehr ich diesen Gedanken an mich ranließ, desto schneller und grober drehten sich die Zahnräder in meinem Kopf.

Was, wenn ich nicht ins System passen würde?

Was, wenn ich nicht da bin, wo ich hingehörte?

Was, wenn ich die falsche Entscheidung getroffen hatte?

Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen, ließ meine Finger von den Wangen zu meiner Stirn wandern und ließ sie dort einen Augenblick lang ruhen. Das letzte Mal, dass ich derart nervös gewesen war, war beim Casting von The X-Factor vor neun Jahren gewesen oder als mich der erste Fan in der Öffentlichkeit erkannt und mich um eine Umarmung und ein Foto gebeten hatte.

Worte konnten nicht beschreiben, was ich in diesem Moment für eine solche Umarmung getan hätte - selbst für eine dieser Gruppenumarmungen mit den Jungs, die ich damals für viel zu selbstverständlich gehalten und deswegen auch nie so richtig wertgeschätzt hatte. Aber jetzt gerade war da niemand, an dem ich mich hätte festhalten können. Ich war auf mich allein gestellt und wie es aussah, war ich nicht sonderlich gut darin. Im Unterschied zu meiner Solokarriere fühlte ich mich diesmal wie ins kalte Wasser geworfen. Und die einzige Person, die mich retten konnte, war ich selbst.

Wie wär's einfach mit 'nem Kaffee, dachte ich. Immerhin war ein Kaffee im Grunde auch eine Umarmung. Sie funktionierte nur umgekehrt. Zumindest war das eine von Estelles Kultaussagen, die ich die letzten Monate hinweg übernommen hatte.

Also ging ich wieder an der Tür vorbei auf den Flur und gab mein Bestes, mich in diesem Labyrinth aus Korridoren und Räumen nicht zu verlaufen. Orientierungslos ließ ich meine Finger das kalte Metall enlanggleiten. Schließlich bog ich in einen Nebengang und staunte nicht schlecht, als am Ende des Flurs tatsächlich ein Kaffeeautomat stand, der laut brummend vor sich hinarbeitete. Ich schritt an den Kaffeetischen vorbei und direkt auf ihn zu.

half blue skies | 𝐨𝐧𝐞 𝐝𝐢𝐫𝐞𝐜𝐭𝐢𝐨𝐧Where stories live. Discover now