track 10

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Disc 4
Track 10 - Spaces
» spaces between us hold all our secrets, leaving us speechless «
LIAM
im vierten Jahr nach der Trennung von One Direction

"Könntest du das mal kurz durchlesen und mir dann sagen, dass es nicht kompletter Schwachsinn ist?", seufzte ich und streckte das Papier in meinen Händen von mir zu Alanis. Sie griff danach und ich beobachtete, wie ihre Augen hinter den Gläsern der runden Brille, die sie heute trug, über die Zeilen glitten. Allmählich zog sie die Augenbrauen zusammen. Nicht ganz, aber deutlich genug, dass ich mir vor Verunsicherung mit beiden Händen über mein Gesicht fuhr.

Als sie weiterhin auf die Notizen starrte, ließ ich meine Hände wieder von mir ab und griff stattdessen nach dem Blatt Papier. Meine Fingerspitzen streiften bereits die Rückseite, doch Alanis trat rechtzeitig einen Schritt nach hinten. "Nein, nein, es ist ganz und gar nicht schlecht, Liam. Überhaupt nicht", beruhigte sie mich und sah zu mir auf, "ich... du meintest, dass der Song von den Jungs handeln würde. Und dieser Song ist mit Abstand der traurigste von allen, die wir zusammen geschrieben haben. Ich bin nur ein bisschen verwirrt, weil du ja so glücklich darüber warst, dass ihr vier endlich wieder zusammengefunden habt."

Ich seufzte hörbar auf. "Und genau das ist der Punkt. Wir waren einmal fünf, nicht vier. Ja, ich habe mich mit der Sache abgefunden - aber so gut jeder Song ist nichts anderes als das Resultat von gebrochenen Herzen und Gefühlen. Und dieser hier eben auch. Nachdem Zayn die Band verlassen hatte, haben wir auch ein paar Lieder über ihn geschrieben. Im Grunde besteht die Hälfte unseres letzten Albums daraus." - "Schon klar. Weil das von euch erwartet wurde. Ihr wart eine der erfolgreichsten Boygroups, die jemals existiert haben, und alles andere hätte die Fans nur irritiert. Ich war ja selbst ein kleiner Fan und jedes Mal, wenn ich mir diese Lieder angehört habe, bin ich  vor Nostalgie nur so auseinandergeschmolzen. Aber ich glaube einfach nicht, dass es auch dieses Mal der richtige Weg wäre. Schließlich ist die Trennung schon fast vier Jahre her und Harry und du steht beide im Rampenlicht. Wenn jemand herausfindet, dass es in dem Song um Harry geht - was ziemlich absehbar ist - wird die Presse über euch herfallen. Und das Management. "

"Verdammt, was kann ich es kaum abwarten, da endlich rauszukommen", murmelte ich und bemerkte, wie sich ein schwaches Lächeln auf Alanis' Lippen stahl. Sie reichte mir das Papier zurück und verschränkte stattdessen die Arme vor ihrer Brust. "Es wird so seltsam sein, wenn du nicht mehr da bist und mich bei diesen ganzen Snobs zurücklässt. Dann bin ich wohl wieder auf mich allein gestellt", entgegnete sie in einem leisen Tonfall.

Seitdem ich Alanis davon erzählt hatte, dass ich vorhatte, mein eigenes Musiklabel zu gründen und das, in dem wir beide arbeiteten, zu verlassen, hatten wir uns voneinander stückchenweise immer mehr voneinander distanziert. Sie meinte immer, ich solle mir keine Gedanken machen. Dass alles okay wäre. Doch auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen wollte und versuchte, ihre Gedanken mit einem sanften Lächeln und dieser Brille, die sie noch nie zuvor getragen hatte, zu vertuschen, war der Schmerz in ihren Augen unverkennbar. Ich fühlte mich unglaublich schlecht deswegen. Vor allem, weil ich besser als jeder andere Mensch wusste, was sie in ihrer Vergangenheit durchgemacht hatte und weil ich neben ihr gesessen war, als sie ihren Traum, Sängerin zu werden, aufgeben hatte müssen. Diesen leeren Blick in ihrem Gesicht würde ich nie vergessen. Und ich könnte sie dafür wahrscheinlich nie oft genug in den Arm nehmen können.

"Ich bin nie mehr als einen Anruf von dir entfernt. Wenn irgendwas ist oder du jemanden zum Reden brauchst, ruf mich einfach an und ich werde da sein. Ganz egal, wann und wo", versprach ich daraufhin und ich sah auf Alanis hinab. Sie schaute jedoch nicht zu mir zurück. "Das ist wirklich lieb von dir, Liam. Vermutlich denke ich momentan einfach nur zu engstirnig. Immerhin warst du auch der einzige Sänger, bei dem es sich so natürlich anfühlte, sich zu öffnen. Aber ich werde es schon irgendwie schaffen und nichts erzwingen. Es wird hart werden, aber ich bin mir sicher, dass am Ende alles gut sein wird und ich in zwei, drei Jahren zurückblicken werde und behaupten kann, dass ich es geschafft habe", sagte sie. Inzwischen war ihre Stimme derart dünn, dass ich Angst hatte, sie würde zerreißen und Alanis die Tränen in ihren Augen nicht länger zurückhalten können. "Es tut mir leid", entschuldigte ich mich daher umgehend. Einmal wieder.

Alanis drehte langsam ihr Gesicht zu mir. Ihre braunen Haare schauten unter ihrem Stirnband hervor und im Sonnenuntergang glitzerten ihre Augen noch mehr als ohnehin schon. "Und das wirst du auch von dir behaupten können. Das Lied ist wirklich wunderschön geworden", sie deutete mit Zeigefinger dem auf das Papier, das ich noch immer fest in den Händen hielt,  "es ist nur ... es ist das Risiko einfach nicht wert. Manche Dinge sind einfach zu persönlich, weißt du noch? Und ich finde, dieser Song ist eines dieser Dinge. Behalt deine Worte für euch beide, aber schrei sie nicht in die Welt hinaus. Dafür sind sie zu wertvoll. Bitte."

Ich schaute auf das Blatt Papier hinab, knickte es vorsichtig in der Mitte zusammen und ließ es danach in meiner Hosentasche verschwinden. Alle meine Lieder waren bis zu einem gewissen Punkt von einer bestimmten Person inspiriert und dieser auch gewidmet, aber keiner hatte mich auch nur annähernd so um den Schlaf gebracht wie dieser. "Vielleicht wäre es wirklich besser so. Ich kann ihn ja erstmal in meinem Nachttisch aufbewahren und ihn nächstes Jahr aufnehmen, wenn es niemanden mehr gibt, bei dem ich mir Sorgen machen muss, dass er oder sie mich deswegen rausschmeißt oder irgendwelche Paparazzis auf mich hetzt. Oder vielleicht nehmen Harry und ich den Song dann ja sogar zusammen auf. Ich meine, man weiß ja nie, nicht wahr?", erwiderte ich. Diese Worte auf meinen Lippen fühlten sich unbeschreiblich erleichternd an. Schließlich war ich noch nie jemand gewesen, der gerne in der Vergangenheit lebte. "Willst du also immer noch einen achtzehnten Song für das Album schreiben? Wir könnten uns an die Flussbank setzen und uns etwas ausdenken", fragte mich Alanis daraufhin, aber ich schüttelte entschlossen den Kopf. "Wir brauchen keinen achtzehnten Song. Das Album ist perfekt, so wie es ist."

half blue skies | 𝐨𝐧𝐞 𝐝𝐢𝐫𝐞𝐜𝐭𝐢𝐨𝐧Where stories live. Discover now