track 1

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Disc 2
Track 1 – Live While We're Young
» never, never, never stop for anyone «
NIALL
im zweiten Jahr nach der Trennung von One Direction

„Wo sind wir?", fragte ich und reckte mich etwas weiter über das herabgekurbelte Seitenfenster. Mein Kinn hatte ich die gesamte Fahrt über auf meinem Handrücken abgestützt, weswegen meine Haut dort jetzt rot angelaufen war. Von draußen erfüllte die frische Nachtluft den Fahrerraum. Alles hier kam mir unglaublich bekannt vor, doch ich konnte es nicht zuordnen.

Liam hatte sich inzwischen entspannt im Fahrersitz zurückgelassen und seine Hände lagen noch immer auf dem Lenkrad, obwohl der Motor schon längst nicht mehr lief. Um uns herum war es komplett ruhig. Zaghaft wandte ich mich ihm zu. „Wenn ich so darüber nachdenke, wundert es mich gar nicht, dass du dich nicht mehr daran erinnern willst. Oder kannst", meinte Liam, woraufhin er lachend sein Gesicht in der Halsbeuge vergrub. Ich löste den Zeigefinger von meinem Kinn und fuhr mir damit mehrmals über die Unterlippe. Vermutlich war es einfach einer dieser neumodernen Clubs, in denen wir uns früher hin und wieder den Verstand weggekippt hatten. Wobei ich die Toilettenschüsseln viel schneller erkannt hätte.

Belanglos legte ich den Kopf an die Stütze und starrte durch die Windschutzscheibe, „Wir sind etwas früh dran", sagte Liam, „also entweder wir warten hier drinnen oder wir setzen uns derweil an den Randstein." Es durfte erst kurz nach zwanzig Uhr sein, die meisten Clubs würden erst in zwei Stunden aufmachen und gegen Mitternacht beginnen, sich zu füllen. Meine Augen fanden direkt ihren Weg auf den Gehsteig vor uns. In den Grasbüscheln am Straßenrand lagen ausgetretene Zigaretten, von den Kanten bröckelte etwas Kalk. „Ich würde mich gerne mit dir dort hinsetzen", meinte ich schließlich.

Ich war von meiner Antwort selbst überrascht Würde es eigentlich nach mir gehen, hätte ich den Gurt noch enger über meinen Oberkörper geschnallt und wäre mit Liam so lange in dem Wagen gesessen, bis wir beide hinter der Industriesiedlung wieder die Sone aufgehen sehen konnten. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Liam mir zulächelte. Seine Hände ließen vom Lenkrad ab und fassten stattdessen nach dem Zündschlüssel und dem Griff der Fahrertür.

Draußen war es wärmer als erwartet. Liam hatte schon die nächste Kippe zwischen den Fingern, als ich mich zunächst mit den Handflächen auf dem Randstein abstützte und mich danach neben ihn sinken ließ. Ich blickte kurz über meine Schultern, doch konnte selbst dann noch immer nicht sagen, wo wir uns befanden Die Flamme von Liams Feuerzeug blendete mich.

„Hat sich eigentlich schon ein Interessent für deine Wohnung gefunden?", fragte er mich, nachdem er seinen ersten Zug genommen hatte. Ich schüttelte den Kopf und rutschte mit meinen Converse den Asphalt entlang. „Ich habe gestern Abend das Inserat zurückgezogen." Augenblicklich warf Liam mir einen warnenden Blick zu. In seiner rechten Hand wand er die Zigarette herum, von der nach und nach Glut zu Boden rieselte. „Wieso hast du das denn gemacht?"

Ich zuckte schwach mit meinen Schultern. „Es hat sich einfach nicht richtig angefühlt. Immerhin habe ich die Wohnung erst vor ein paar Monaten gekauft und habe mich auch immer ziemlich wohl dort gefühlt", meinte ich dann, woraufhin Liam genervt aufsetzte. „Das ist doch komplett sinnlos, Niall. Sich wohlfühlen ist ja schön und gut, aber was bringt es dir, die Wohnung zu behalten, wenn du gar nicht erst vorhast, nach Irland zurückzuziehen?" Zerknirscht verzog ich die Lippen und vergrub meine Hände in dem Stoff meiner Jackentaschen.

Eine Weile schwiegen wir einander an. Liam schüttelte verständnislos den Kopf, als er die Zigarette zu Boden fallen ließ und sie mit der Schuhsohle zerdrückte. „Du kannst nicht für immer bei mir wohnen. Ich helfe dir ja gerne, aber mittlerweile ist es schon fast ein halbes Jahr. Irgendwie muss es weitergehen. Auch wenn es dir jetzt vielleicht unmöglich vorkommt, es gibt immer einen Weg zurück ins Leben." Unsere Blicke trafen sich, doch ich sagte nichts. Ich wusste gar nicht, was ich darauf hätte sagen sollen, außer dass er Recht hatte.

Kurzerhand richtete ich mich auf, um mein Handy aus der Hosentasche hervorzuholen. Gedankenverloren wischte ich - ohne es wirklich mitzubekommen - meine Timeline auf Instagram hinab. Bei einem Beitrag einer Klatschseite ließ ich ab und zog verdutzt die Augenbrauen zusammen.

„Hm."

Liam rückte etwas näher an mich heran und musterte mich fragend. „Hast du etwas gesagt?" Allmählich wanderten meine Augen zu meinem Smartphone zu ihm. „Hast du mitbekommen, dass Lou mit einem Fan zusammen ist?", fragte ich ihn. Obwohl ich es gar nicht böse meinte, klang ich ziemlich vorwurfsvoll. Erneut schüttelte Liam den Kopf und beugte sich ein wenig über mich, um auf mein Display schauen zu können.

„Die scheint ja noch suspekter zu sein als Eleanor und Briana zusammen. Und ich dachte, sowas geht gar nicht", sagte er daraufhin, wobei er mit dem Zeigefinger auf das Foto deutete. Dort stand Lou gerade an einem Bahnsteig, währenddessen er seine Arme um die Hüfte eines Mädchens mit rotem Lippenstift gelegt hatte. Obwohl Lou sein Bestes getan hatte, konnte man trotz Kapuze jeden seiner Gesichtszüge zweifellos erkennen. Ihre dunklen Haarspitzen kitzelten an seinem Pullover.

„Ich habe auf den ersten Blick sogar gedacht, dass sie Eleanor wäre. Bis ich dann eben die Beschreibung gelesen habe. Ich finde, die beiden sehen sich sowas von ähnlich." Liam schaute skeptisch zu mir auf und nahm schließlich mein Handy entgegen. Unterdessen lehnte ich mich ein wenig zurück. Meine Augen glitten auf der vergeblichen Suche nach Sternen den Nachthimmel entlang, aber ich konnte unter der schwarzen Wolkendecke keinen einzigen erkennen.

„Da hat der Gute sich also tatsächlich auf ein Fangirl eingelassen. Das hat bestimmt noch mit der Trennung von Eleanor zu tun. Er ist ja irgendwie nie so richtig über sie hinweggekommen", murmelte Liam vor sich hin, „ach, Lou." Er reichte mir mein Handy entgegen und einen Moment lang verharrte mein Blick auf den bunten Spangen auf meinem Hintergrundbild. Wahrscheinlich sollte ich es wirklich einmal ändern. Liam hatte mir das schon seit Wochen geraten, doch jedes Mal aufs Neue hatte ich gegen meinen eigenen Kopf verloren.

Ich sah ihm dabei zu, wie er seine Hände in seine vorderen Hosentaschen schob, woraufhin ich unbewusst dasselbe tat. „Wollen wir dann langsam mal in den Pseudopub?", fragte er, klopfte sich den Staub von seiner Jeans und half mir anschließend auf. Verwirrt legte ich den Kopf schief. Entweder ich hatte mich verhört oder ich wusste auf einmal tatsächlich und ganz genau, wo wir uns befanden. „Was hast du gesagt?", fragte ich ihn daher, aber er zeigte nur mit dem Finger geradeaus an mir vorbei.

„Pseudopub. So hast du den Laden damals immer genant. Ich werde glaube ich nie den Anblick vergessen, als du den ersten Schluck von diesem billigen Bier genommen hast", lachte er und schleierhafte Erinnerungen schossen mir durch den Kopf. „Das ist doch schon Jahre her. Ich weiß gar nicht mehr, wann wir das letzte Mal dort gewesen sind", seufzte ich, wobei ich meine Augen über die herabgekommene Fassade des Pubs gleiten ließ. Obwohl ich diesen Ort alles andere als vermisst hatte, überkam mich ein altbekannt wohliges Gefühl.

Liam legte seinen Arm um meine Schultern, ich atmete den Geruch von verbranntem Tabak ein. „Genau. Bevor alles überhaupt so richtig angefangen hat, sind wir fünf vollbesoffen auf dieser Bühne gestanden und haben um unser Leben gesungen. Das Publikum hat uns so laut ausgebuht, aber niemand hat uns aufhalten können", schwelgte er. Wir tauschten einen kurzen Blick aus und ich zog grinsend die Unterlippe zwischen die Zähne. „Im Nachhinein kommt mir alles so surreal vor", flüsterte ich ganz leise und ich nahm wahr, wie Liam schwach vor sich hinnickte.

Auf der abgenutzten Menütafel vor uns stand in verschmierten Buchstaben unser zweiter Gig angekündigt.

half blue skies | 𝐨𝐧𝐞 𝐝𝐢𝐫𝐞𝐜𝐭𝐢𝐨𝐧Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt