track 16

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Disc 5
Track 16 -  Wolves
» your body's telling me don't let go «
NIALL
im fünften Jahr nach der Trennung von One Direction

Emma machte einen Schritt nach vorne, bückte sich und legte den Blumenstrauß auf Noahs Grab. Es war eine Hand voll weißer Rosen, die sie erst heute Morgen selbst geschnitten und zusammengebunden hatte. Einen Moment lang hielt sie ihn fest. Ihre Finger glitten vermeintlich über die Blüten zu den Halmen. Sie wollte nicht loslassen. Nicht noch einmal.

Irgendwann gab sie schließlich nach. Sie klammerte ihre Hand wieder um den großen schwarzen Schirm über ihrer Schulter und schloss die Augen, während sie tief einatmete. Ihre Augen glitten über den Grabstein, genau wie die von Flynn und mir. Es war ein seltsames Gefühl, ihn einfach nur anzuschauen. Und so ungerecht. Schließlich war er derjenige von uns, der sein Leben nie so leben konnte, wie er es wollte, und doch waren wir es, die hier standen.

Wenigstens war er nicht allein. Von all den Plätzen hatten wir das Grab seines Vaters ausgewählt, um ihn zu beizusetzen. Er war damals bei einem Arbeitsunfall auf dem Bau ums Leben gekommen, als Noah noch ein kleines Kind gewesen war. Während seine Mutter die nächsten Jahre hinweg ihr gebrochenes Herz an Drogen und Alkohol verloren hatte, hatte Noah immer davon geträumt, dass sein Vater einfach auf die vor der Haustür und ihn in seine starken Arme nehmen würde. Und obwohl die Umstände alles andere als schön waren, machte mich die Vorstellung, dass sie endlich wieder zueinander gefunden hatten, irgendwie glücklich.

Ich bemerkte, wie Emma zuerst zu Flynn sah, der an ihrer anderen Seite stand, und dann zu mir. Ich drehte mich ebenfalls zu ihr um und wir sahen uns direkt in die Augen. Ihre Augenringe waren dunkel, ihr Blick war wie aus Stahl. Während der ganzen Zeremonie hatte sie nicht ein einziges Mal geweint. Vermutlich gingen auch einer Emma einmal die Tränen oder die Kraft aus. Immerhin hatte sie seit Noahs Tod hatte sie das Gewicht, das sie ihrer Meinung nach während der Schwangerschaft zugenommen hatte, doppelt und dreifach verloren. Sie sah so ausgezehrt aus, dass es weh tat. Und wann hatte sie eigentlich das letzte Mal gelacht?

"Ich glaube, ich bin jetzt so weit", seufzte Emma dann, gefolgt von einem schuldbewussten Schlucken. Flynn legte ihr einfühlsam eine Hand auf den Rücken und strich hin und her. "Bist du sicher? So bereit scheinst du mir nicht zu sein", fragte er. Daraufhin nickte Emma nur mit dem Kopf. "Ich werde nie bereit sein. Und glaub mir, ich fühle mich mehr als schlecht, einfach zu gehen und ihn zurückzulassen, aber jetzt gerade halte ich es hier keine Sekunde länger aus."

Flynn bewegte seinen Körper ein wenig mehr in unsere Richtung und fuhr mit beiden Händen durch seine Hände zurück zu seinem Herzen. "Gut, ihr zwei könnt das machen, ich muss noch ein paar Sachen für die Arbeit organisieren. Ich weiß, es ist total lästig, aber ich habe schon meinen letzten Warnschuss bekommen. Ein weiteres Mal kann ich es mir nicht leisten." "Ist schon okay, Flynn", Emma schenkte ihm ein kurzes Lächeln, "es ist okay."

Er streckte seine Arme aus und zog sie schneller, als ich gucken konnte, in eine tiefe Umarmung. Er vergrub seinen Kopf in ihrem Kleid, während er ihren Körper an seinen presste. "Sobald das Projekt vorbei ist, werde ich so viel für dich da sein, wie ich eigentlich jetzt schon sein möchte. Meine Tür ist immer für dich offen, Em. Das war immer so und wird immer so sein. Ich hoffe, du weißt das, schließlich sage ich das viel zu selten", meinte er. "Natürlich weiß ich das. Du brauchst nicht viele Worte, um uns zu zeigen, wie viel wir dir bedeuten. Noah hat das auch immer unglaublich an dir geschätzt", sagte Emma zu ihm zurück.

Daraufhin kam auch Flynn auf mich zu. Obwohl er damit kämpfte, die Tränen in seinen Augen zurückzuhalten, lächelte er mich an. Er fing an, mir auf die Schulter zu klopfen, "und du lässt öfter von dir hören." "Ich werde es versuchen. Ich kann es nicht versprechen, aber ich schwöre, ich werde es versuchen", antwortete ich, woraufhin er meinen Oberkörper ein wenig zu sich heranzog. "Weißt du eigentlich schon, was du machen wirst? Wegen der Tour und wegen Emma?", flüsterte er mir zu, sodass sie uns nicht verstehen konnte. In diesem Moment brach mein Herz zusammen. Unter einem tiefen Atemzug schob ich meine Unterlippe zwischen die Zähne. "Nicht ganz. Natürlich würde ich gerne hier sein und bei ihr bleiben, aber nicht jetzt. Ich möchte ihr Raum geben, um nachzudenken, zu trauern und zu heilen. Ich werde wahrscheinlich noch eine Weile mit Liam auf Tournee gehen - aber wenn sie mich braucht, würde ich einfach von der Bühne rennen und nach Hause fliegen. Ich denke, das ist das Beste, was ich im Moment für uns beide tun kann", erklärte ich .

Flynn winkte uns noch einmal zu, dann schob er die Hände in die Taschen und ging mit gesenktem Kopf von uns weg. "Ich werde nicht fragen, was das sollte", hörte ich Emma sagen, woraufhin ich sofort wieder zu ihr sah. Ihre grünen Augen ruhten ruhig auf meinem Gesicht. "Er hat mich nur gefragt, ob ich bleibe oder nach London fahre. Das war's schon." - "Und was hast du gesagt?"

"Eigentlich weiß ich das selbst noch nicht. Dass ich wahrscheinlich erst einmal mit Liam auf ein paar Shows gehen werde und die Zeit dort nutzen werde, um herauszufinden, wo ich hingehöre. Ob das nun Irland, London oder vielleicht ganz woanders ist."

"Hast du jemals daran gedacht, dass es vielleicht kein Ort ist, an den du gehörst?"

Mein Herz brach ein zweites Mal. Ich versuchte es, mit einem leichten Schmunzeln zu überspielen. "Das war im Grunde alles, was ich in den letzten Jahren versucht habe, herauszufinden. Vielleicht bin ich auch einfach dazu bestimmt, endlos durch die Welt zu segeln, wer weiß", winkte ich ab. Emma hingegen strich sich nur nachdenklich eine lose Strähne ihres Zopfes hinters Ohr, "und wohin segeln wir als Nächstes? Ich habe noch eine Stunde oder zwei Stunden Zeit, um mich abzulenken, bevor ich Sereia abholen muss." "Wie wäre es mit einem Spaziergang durch die Innenstadt? Samstags ist da immer Markt. Da könnten wir einfach ein bisschen bummeln." Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern, "das fände ich schön."

Bevor wir gingen, griff ich nach meiner alten Akustikgitarre, die auf der Seite von Noahs Grabstein lehnte. Ich packte sie in ihre Tasche, zog den Reißverschluss zu und warf sie mir locker über die Schulter.

Heute war in Mullingar mehr los als an allen Feiertagen zusammen. Die Märkte waren schon immer das Highlight der Woche gewesen, und da es das darüber hinaus das erste Wochenende war, an dem tatsächlich die Sonne schien, war die Hauptstraße vor Menschen regelrecht zugestopft. Und mittendrin standen Emma und ich. Im Anzug und einem weitärmeligen Satinkleid, mit einem schwarzen Regenschirm und einer Sonnenbrille auf der Nasenspitze.

Nach einer Tasse hausgemachtem Eistee und einigen Einkäufen für Emmas Eltern blieb sie vor einem Stick-and-Poke-Zelt stehen. Sie schob die Sonnenbrille zurück in ihr Haar, während sie mit den Fingern in dem Entwurfsbuch blätterte, das auf dem Tisch vor dem Eingang lag.
Noch während sie herumschaute, kam der Tätowierer aus dem Unterstand und schob den Stoff, der von beiden Seiten herabhing, von sich weg. Seine Tätowierungen reichten von den Armen bis zum Hals und, soweit ich sehen konnte, auch bis zu den Knöcheln. Von seinem Körperbau und den weichen Gesichtszügen her erinnerte er mich ein wenig an Liam.

"Hallo, ihr zwei. Was kann ich für euch tun? Ich hätte im Moment Zeit, falls ihr Interesse habt, ein oder zwei Tattoos zu bekommen." Emma blickte von ihrem Buch zu ihm auf, "wie jetzt?" "Jetzt sofort", versicherte er ihr und ich konnte beobachten, wie sie zu mir zurückschaute. "Ich lasse mich immer noch nicht tätowieren, Em", erklärte ich ihr lachend. An der Art, wie sie mit den Lippenwinkeln zuckte, konnte ich erkennen, dass sie eigentlich nichts anderes erwartet hatte. "Ich hätte aber gerne eins. Auf der Innenseite meines linken Handgelenks", sagte sie erst zu mir und dann zu dem Tätowierer.

Verwundert hob ich die Augenbrauen. Auch wenn Emma sich bereits mehrmals piercen hatte lassen, hatte ich diese Entscheidung überhaupt nicht erwartet. Zumal sie mit Noah zu seinen Terminen begleitet hatte, sich selbst aber nie tätowieren lassen hatte. Dafür war sie nie sicher genug gewesen.

"Klar, was soll es denn sein?" "Ein N. Also der Buchstabe", antwortete sie in derselben Sekunde. Als sie das sagte, holte der Tätowierer schon einmal die angeschraubte Flasche Desinfektionsmittel unter dem Tisch hervor und verteilte sie sorgfältig über seine Handflächen. "Natürlich, das würde je nachdem, wie groß du es haben willst, auch ziemlich schnell gehen. Darf ich fragen, wofür er denn steht?", fragte er sie. Emma schob daraufhin ihren Ärmel zurück und schaute auf ihr Handgelenk, als wäre das Tattoo bereits unter ihre Haut gestochen worden.

"Für den Namen des Jungen, für den ich mein Leben gelassen hätte, um seines nicht zu verlieren. Ich liebe ihn so sehr."


half blue skies | 𝐨𝐧𝐞 𝐝𝐢𝐫𝐞𝐜𝐭𝐢𝐨𝐧Where stories live. Discover now