track 12

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Disc 4
Track 12 - Clouds
» we should try to keep it simple, but love is never ever simple«
NIALL
im vierten Jahr nach der Trennung von One Direction

"Du hast das Spiel glatt so aussehen lassen, als ob ich von uns beiden der kleine Bruder wäre."

Mit einer raschen Handbewegung wischte sich Greg den Schweiß von der Stirn und hob dann sein Trikot hoch, um sich ein wenig abzukühlen. Während er auf mich zuging, kickte er unseren Fußball rücksichtslos zur Seite. "Ich meine, du warst schon immer ein harter Gegner, aber das ... das war echt unverschämt gut. Scheint, als hätten wir einen kleinen Nachholbedarf vor uns. Oder zumindest ich", lachte er und strich mir grob über die Schulter.

Seine Berührung fühlte sich immer noch genau so an, wie ich sie in Erinnerung hatte. Immer ein bisschen zu fest, sodass ich sie den restlichen Tag bei jeder meiner Bewegungen spüren würde. Von den Dingen, die ich in Irland am meisten vermisste und liebte, stand Greg ganz oben.

Ich schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln, "auf jeden Fall." Mehr brachte ich nicht hervor. Dafür war ich zu sehr damit beschäftigt, nach Luft zu schnappen und zu versuchen, aufrecht zu stehen. Greg klopfte mir noch einmal auf die Schulter und ging dann in ungleichmäßigen Schritten über das Gras zur Veranda des Hauses unserer Mutter. Gedankenverloren sah ich ihm so lange nach, bis er hinter den Mauern verschwunden war.

Daraufhin ließ ich mich auf das Gras fallen. Ich saß einfach nur da, ließ meinen Kopf zurückfallen und die Luft in langsamen Zügen in meine Lungen strömen. Der Geruch nach Sommer vermischte sich mit dem salzigen Schweiß auf meinen Lippen, das Blut rauschte an meinen Ohren vorbei und Grashalme stachen in meine nackten Unterschenkel. Das alles zusammen mit meiner durchnässten Sportkleidung ließ mich völlig ausgelaugt aussehen. Dabei hatte ich mich schon lange nicht mehr so lebendig gefühlt.

Die Energie war mir so sehr aus den Adern gezehrt, dass ich eine Weile nichts weiter tat, als zum Himmel hinaufzustarren. Er war strahlend blau und weit und breit war nicht ein einziger Wolkenfetzen zu sehen. Selbst im Sommer konnte man Irland waren die Sonnentage an den Fingern abzuzählen. Als ich Mullingar verlassen hatte, war es Ende September gewesen. Es war stürmischer Samstagabend gewesen, der Regen hatte meine Kleidung bis auf die Socken durchnässt, und das Flugzeug nach London hatte wegen des Unwetters eine zweistündige Verspätung gehabt. Der Sturm hatte uns damals restlos eingefangen. Sogar mein zerrissenes Herz. Aber jetzt, ungefähr drei Jahre, unzählige verheilte Stiche und eine Höllenfahrt später, war alles, zu dem ich zurückgekommen war, einfach nur Wärme.

Ich konnte Greg bereits aus der Ferne zu mir zurückkommen hören. Er war noch nie sonderlich gut darin gewesen, unauffällig zu sein, und er versuchte es erst gar nicht. Ich schaute zu ihm zurück und gegen die Sonne, weshalb ich meine Augen ein wenig zusammenkniff. In seinen Händen hielt Greg je eine Glasflasche. Die rosige Flüssigkeit schwappte mit jedem seiner Schritte die Innenseite auf und ab.

"Was ist das?", fragte ich und nickte in Richtung der Getränke. Greg verlangsamte seinen Schritt, hielt eine der Flaschen vor sein Gesicht und ließ seine Augen über das Etikett gleiten. "Keine Ahnung", murmelte er, "nur eine von diesen Bio-Limonaden, die Mama immer kauft. Soweit ich das sehe, ist es irgendwas mit Grapefruit." Immer noch mit dem Blick auf das Etikett fixiert, kam neben mir ins Stehen und streckte mir die andere Flasche entgegen. Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Was auch immer es ist, ich will es einfach nur in einem Schluck exen. Mein Körper so kaputt, da werde ich sowieso nicht großartig etwas rausschmecken", meinte ich.

"Sollte mir mehr als recht sein", antwortete Greg, währenddessen er sich neben mich fallen ließ. Sein Blick schweifte über unseren Garten, meiner über sein Gesicht. Über die einzelnen, silbernen Strähnen in seinem Haar und die paar Fältchen um seine Augenpartie. Je genauer ich ihn ansah, desto schwerer lastete die Zeit, die an uns vorbeigezogen war, auf meinen Schultern. "Es ist viel zu lange her", sprudelte es plötzlich aus mir heraus, ohne dass ich es wirklich bemerkte, "all das hier. Ich hätte nicht schon wieder gehen oder zumindest ein bisschen früher zurückkommen sollen ..." Ich verlor die Kontrolle über meine Worte und presste meine Hände um die kalte Glasflasche, nur um mich an irgendetwas festhalten zu können. Erneut spürte ich, wie Greg mir auf die Schulter fasste. Zaghaft sah ich zu ihm auf und schaute in seine eisblauen Augen. "Es ist in Ordnung, Niall. So egoistisch es auch klingt, aber manchmal muss man sich selbst über alle anderen an die erste Stelle setzen.Du warst krank, und alles, was du getan hast, war zu heilen. Und ich kann mich nicht beklagen. Denn jetzt hab' ich dich endlich zurück. Nicht den süßen Boyband-Niall, sondern einfach meinen großartigen kleinen Bruder, der immer für jede Scheiße zu haben ist."

Lachend lehnte gegen seinen Oberarm, wobei seine Hand von meiner Schulter meinen Rücken hinabfuhr. Parallel hob er seine Limonadenflasche in die Höhe und ließ sie mit meiner zusammenklirren. "Auf noch viel mehr Matches, Dreck an den Knien und Seitenstechen im Bauch." Ich stimmte ein und wir setzten zeitgleich die Flasche an unsere Unterlippen und tranken einen Schluck.

Entgegen meinen Erwartungen zog keiner von uns angewidert die Lippen zusammen oder spuckte die Limonade auf den Rasen. "Das ist nicht einmal so ekelhaft, wie ich es mir vorgestellt habe", murmelte ich und drehte die Flasche nahezu fasziniert in alle Richtungen. Ich nahm wahr, wie Greg leicht vor sich hin nickte, " also mich wundert das überhaupt nicht. Als Kind hast du das Zeug in Massen in dich reingeschüttet. Du hast es immer gebunkert, weil du nicht genug davon bekommen konntest und nicht wolltest, dass ich sie dir alles wegtrinke." Nachdenklich runzelte ich die Stirn und strich mir ein paar vereinzelte Strähnen zurück. "Habe ich das?", fragte ich ihn. "Oh, und wie. Eines Tages hat mich Mum sogar gefragt, ob ich dir heimlich Bier zustecke, nachdem sie all diese ganzen leeren Flaschen unter deinem Bett gefunden hat ... da warst du zehn oder elf." - "Bist du sicher, dass es kein Bier war? Das würde erklären, warum ich mich nicht daran erinnern kann ... oder dass ich es in meinem Filmriss komplett vergessen habe."

"Oder du hast schlicht und ergreifend ein schlechtes Langzeitgedächtnis", konterte Greg. Seine Augen funkelten mich herausfordernd an und er nippte ein weiteres Mal von der Limonade. Obwohl er nur darauf wartete, dass ich zurückschoss, blieb ich leise. Mir war bewusst, dass das Behalten und das tatsächliche Erinnern von Dingen keine Stärke von mir war. Das hatte in der Grundschule angefangen, als wir irgendwelche Gedichte auswendiglernen hatten müssen, und verfolgte mich bis heute, wenn es darum ging, meine Songtexte zu lernen. Aber die Sache mit den Songs war, dass sie direkt aus dem Herzen aufs Papier kamen. Zumindest wenn man sie selbst schrieb. Und genau deshalb hatte ich seit der Trennung mit den Jungs damit begonnen, meine Musik selbstständig zu schreiben und auch zu komponieren. Denn ich wollte mich nicht verstellen. Alles, was ich wollte, war, mit meinen Strophen die Verletzlichkeit unter meiner Haut zu zeigen und in den Refrains den Schmerz aus meinen Lungen schreien.

Und ich hatte schon alles herausgeschrien. So laut, bis da nicht mehr als Leere und Erinnerungen übrig gewesen waren. Jugenderinnerungen. Erinnerungen, die genau hier begonnen hatten, in diesem Haus, und die mich trotz allem, was ich in den letzten Jahren erlebt hatte, nie losgelassen hatten. Die mir Hoffnung gegeben hatten. Die mich auf den Beinen gehalten hatten, als die Welt unter meinen Füßen weggerutscht war.

Wahrscheinlich die einzigen Erinnerungen, an die ich mich in jedem Detail erinnern konnte, ohne es überhaupt zu versuchen.

Und das süßeste Gefühl, das meine Lippen jemals geschmeckt hatten.

Emma.

half blue skies | 𝐨𝐧𝐞 𝐝𝐢𝐫𝐞𝐜𝐭𝐢𝐨𝐧Where stories live. Discover now