track 19

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Disc 2
Track 19 - Magic
» so let them take the pictures, spread it all around the world now «
LIAM
im zweiten Jahr nach der Trennung von One Direction


Die kalte Luft fuhr durch meine Haare und ließ mich für einen Moment den Atem anhalten. Ich knetete die Hände in den Seitentaschen meines Mantels, mein Blick glitt weiterhin die hohen Gräser entlang, an denen zwischen dem Reif das letzte bisschen Tau perlte. Der Winter war definitiv schneller gekommen als es mir lieb war.

Für einen Montag war es unglaublich ruhig. Der Wind ließ den Fluss in sachten Wellen dahinplätschern und ein paar Stockenten hatten sich am Ufer zusammengekauert. Die Brücke war aufgrund ihrer Baufälligkeit schon seit Jahren gesperrt, weswegen sie offiziell nicht mehr befahren wurden durfte. Ich bildete mir ein, den Geruch von marodem Eisen bis hierher riechen zu können.

Angewidert verzog ich das Gesicht. Ich liebte die Themse im Sommer, aber im Winter hatte ich diesen Ort noch nie gemocht. Ich mochte nicht, wie sich die Grashalme unter meine Hosenbeine bohrten und meine Schuhe mit jeder Bewegung die weiche Erde hinabrutschten. Das einzig Positive an diesem Ort war, dass ihn in dieser Jahreszeit außer mir niemand anderes freiwillig für sich entdeckte. Und trotzdem kam ich seitdem ich in London lebte, immer wieder hier her. Zu manchen Dingen fühlte man sich wohl angezogen, ohne es jemals so richtig zu verstehen.

Meine Finger klammerten sich um die Papiertüte, die ich bereits seit Stunden mit mir herumtrug. Ich zog sie langsam hervor und fischte nach einem der beiden Butterhörnchen, um daraufhin eine Ecke davon abzubrechen. Die Tüte raschelte. Beiläufig nahm ich wahr, wie eine der Enten mit ihrem Flügel zuckte. Mit ihren schwarzen Augen schaute sie zu mir.

Die Halme knickten unter meinen Schuhen nieder, als ich mich aufrichtete und in die Hocke ging. Mit ausgestreckter Hand beugte ich mich nach vor zu der Ente, das Stück Butterhörnchen hielt ich zwischen Daumen und Zeigefinger fest. „Guck mal, ich hab da was für dich", flüsterte ich, währenddessen ich mich noch ein bisschen weiter nach vor lehnte. Die Ente hob ihr Köpfchen an und reckte den Hals, doch konnte das Stückchen nicht erreichen. Ich ging auf die Zehenspitzen.

Ein paar Sekunden lang gelang es mir, mein Gleichgewicht zu halten, schließlich jedoch gab der Boden unter meinen Füßen nach und ich landete unangenehm auf dem Boden. Die Gräser kratzten an meiner Haut, meine Knie sowie Handgelenke gruben sich in die Erde. Genervt verzog ich das Gesicht. Ich hörte die Enten panisch mit ihren Flügeln um sich schlagen und als ich wieder aufsah, waren sie bereits zwischen den Nebelwolken verschwunden.

„Das ist es also, was du hier immer machst?"

Beinahe hatte ich ihre Stimme nicht mehr erkannt, aber es war der Akzent, der die die Welt in diesem Moment zum Stillstand brachte. Mein Blick glitt orientierungslos den Himmel entlang und ich vergaß beinahe darauf, wieder auszuatmen. Langsam ließ ich mich zurück, sodass ich auf den Knien im Gras saß. Mit den Handflächen versuchte ich, mir die Erde aus meiner Jeans zu wischen, verrieb sie stattdessen jedoch noch mehr mit dem Stoff. Unter einem verzweifelten Seufzen blickte ich auf mich herab.

Ich bemerkte, wie sie weiter auf mich zukam und sich, ohne zu zögern, neben mich ins Gras setzte. Vorsichtig schaute ich von mir auf ihre schwarzen Stiefel und den Mantel, der ihr bis zu den Kniekehlen reichte. Eine dunkle Strumpfhose spannte sich über ihre Beine. „Habe ich etwas Falsches gesagt?", fragte sie schließlich, nachdem ich für eine Weile auch nicht nur einziges Wort herausgebracht hatte. „Ich habe nicht mit dir gerechnet."

Die Papiertüte raschelte ein weiters Mal, als sie sie vom Boden hob. „Wirklich?", fragte sie, wobei sie lachend den Kopf schüttelte, „also hast du immer gleich zwei Butterhörnchen eingepackt?" Das Blut schoss mir in die Wangen und ließen den Winter auf einmal ganz warm anfühlen. Allmählich wagte ich es, ihr ins Gesicht zu sehen.

Sie drehte ihren Kopf demonstrativ in alle Richtungen, ehe sie sich wieder mir zuwandte, „oder erwartest du inzwischen schon eine andere?" Gespannt schaute Alanis mir in die Augen, aber ich hatte ihre Frage gar nicht so wirklich registriert. „Du hast dich verändert", meinte ich lediglich. Mein Blick glitt ihr Gesicht entlang, fast so als würde ich gar nicht wissen, wo ich damit anfangen und wo ich damit aufhören sollte, sie anzusehen.

„Du kannst dir nicht erwarten, dass ich für immer ein Teenager bleibe, der nicht weiß, wie man sich richtig anzieht." Grinsend schüttelte ich den Kopf, „so habe ich das nicht gemeint. Ich meine deine Art." „Ich habe gerade mal drei Sätze gesagt, Liam", antwortete sie mit einem fragenden Unterton, währenddessen sie mit beiden Händen ihre Strickmütze ein wenig nach hinten schob. Erneut drehte ich mich in ihre Richtung. „Genau das ist es ja. Du redest mit mir." Ungläubig schlug ich mit beiden Handflächen auf meine Knie, woraufhin Alanis irritiert die Augenbrauen zusammenzog. „Ich verstehe nicht so ganz, worauf du hinauswillst", sagte sie.

Ich sog scharf Luft ein, die ich erst dann wieder aus meinen Lungen strömen ließ, als ich zu sprechen begann. "Na, damals als wir beide bei Modest unter Vertrag waren - oder besser gesagt, als ich mit den Jungs noch unter Vertrag war. Ich habe mich so bemüht, mit dir ins Gespräch zu kommen, doch du hast mich immer nur belächelt. Ich wusste schon gar nicht mehr, wie deine Stimme klingt, vermutlich deswegen, weil ich mich auch nicht daran erinnern kann, ob und wann ich sie das letzte Mal gehört hatte. Ich dachte, du warst einfach schüchtern, aber das würde keinen Sinn ergeben, denn ansonsten hätten wir uns gar nicht erst kennengelernt" Jedes einzelne Wort fühlte sich unglaublich befremdlich an und ich hatte das Gefühl, viel zu vorwurfsvoll zu klingen.

Alanis lehnte sich daraufhin mit dem Oberkörper ein wenig zurück "Nein, schüchtern war ich wirklich nicht", seufzte sie und sah von mir ab auf den Nebelschleier, der über der Wasseroberfläche hing. Ich klammerte beide Hände um meinen Nacken. "Was habe ich dann falsch gemacht? Ich weiß, ich bin ein verdammt schlechter Charmeur, aber das kann doch unmöglich der Grund dafür sein, dass du mich all die Jahre vor die Tür gesetzt hast."

"Ach, Liam...", sie fuhr sich mit einer Handfläche über die Stirn, "ich habe euch immer so bewundert. Es war das Größte für mich, mit euch im selben Management gearbeitet zu haben. Oh Gott, ich werde sogar nervös, wenn ich nur dran denke." "Ja?" "Ich meine es ernst. Ich kann mich noch an alles erinnern. So als wäre es gestern gewesen. Als würde ich die Augen schließen und alles von vorne erleben können." Für einen Moment schloss sie tatsächlich ihre Augen und atmete durch den Mund tief ein, "ich würde alles wieder genauso machen. Und am Ende würde ich hierherkommen und dir das alles schon viel eher erzählen."

Eine Weile schwiegen wir einander an. Zum ersten Mal, seitdem ich Alanis heute gesehen hatte, hörte ich wieder das Wasser über das Ufer schwappen und den Wind im Gras säuseln. „Ich dachte, es wäre offensichtlich gewesen, weißt du. So offensichtlich, dass es nicht nötig wäre, dich darauf anzusprechen und dass ich gedacht hatte, dass jeder Kommentar von dir nicht mehr als Provokation war." Ich schüttelte bestimmt den Kopf, „das war es nicht, glaub' mir." Sie lächelte ein weiteres Mal und winkte mit einer Hand beiläufig ab. „Alles gut. Immerhin bin ich jetzt auch ein bisschen älter und im Kopf nicht mehr ganz so naiv."

Sie schob die Hände in die Seitentaschen ihres Mantels und sah zurück zu mir, woraufhin sich ihre stahlgrauen Augen in meine Seele brannten. „Ich hätte damals sofort Ja zu dir gesagt. Wahrscheinlich hat es einfach nur daran gelegen, dass ich viel zu fasziniert von euch war, um auch nur im Traum daran zu denken, zu irgendeinem von euch fünf Nein zu sagen. Aber ich will nur, dass du weißt, dass es nicht meine Absicht war, dich in irgendeiner Art zu verletzen. Gottverdammt, es ist doch nicht einmal meine eigene Entscheidung gewesen." Verächtlich schnaubte sie in die Luft. „Wessen war es dann?", fragte ich kaum hörbar.

Nahezu gequält drückte Alanis ihre Lider sowie Lippen zusammen. Das Thema zerriss sie und ich schämte mich dafür, ihr derart viele Fragen zu stellen, deren Antworten zudem wahrscheinlich selbsterklärend wären. Für einen kurzen Augenblick bildete ich mir ein, in ihrer Gestik das Mädchen von damals erkennen zu können. „Du warst Liam Payne", presste sie es schließlich hervor, „und ich war eines der Nebenprojekte, das sowieso binnen weniger Monate wieder vom Tisch gekehrt wäre. Egal wie sehr ich mich angestrengt hätte, ich wäre sowieso nie gut genug gewesen."

half blue skies | 𝐨𝐧𝐞 𝐝𝐢𝐫𝐞𝐜𝐭𝐢𝐨𝐧Where stories live. Discover now