track 9

55 8 0
                                    


Disc 2
Track 9 - I Would
» would he hold you when you're feeling low? baby, you should know that I would «
LIAM
im zweiten Jahr nach der Trennung von One Direction


Ich strich das nächste Wort durch. So oft, bis sich der Kugelschreiber auf die darunterliegenden Papiere gedruckt hatte. Danach warf ich den Kugelschreiber lustlos auf die Tischplatte und langte nach meinem Kaffeebecher, der zu meiner Enttäuschung jedoch immer noch genauso leer war, wie er es auch vor zwei Minuten noch gewesen war.

Die meisten meiner Kollegen hatten sich bereits am späten Nachmittag auf den Heimweg gemacht. Einzig und allein ich saß bereits seit gut zwölf Stunden auf exakt demselben Stuhl und der Feierabend schien noch weit entfernt zu sein. Meine Augen glitten über den fahlen Raum geradeaus zu der Wanduhr, deren Ticken mir die letzten Nerven raubte. Genervt stöhnte ich auf - es war kurz vor Mitternacht war die flackernde Deckenlampe über meinem Kopf das Einzige, was diesem Seminarraum Licht und Trost spendete.

Unter einem tiefen Seufzen rutschte ich auf dem Stuhl ein wenig nach vor und legte meinen Nacken über die Lehne. Das Holz schnitt meine Haut. Es verstrichen mehrere Minuten, in denen ich nichts weiter machte, als gegen die Decke zu starren, bis ich schließlich jemanden den Flur entlangstöckeln hörte. Ich reckte meinen Kopf etwas weiter nach hinten und da sah ich sie auch schon hereinkommen - in einem Hosenanzug und mit einem frisch angefüllten Plastikbecher zwischen den Fingern. Es war niemand anderes als meine stellvertretende Managerin, von der ich nicht mehr wusste als ihren Nachnamen und Beziehungsstatus. Frisch geschieden.

„Tut mir leid, ein wichtiger Anruf hat mich aufgehalten, da konnte ich nicht wegdrücken", entschuldigte sie sich umgehend und stellte mir den Becher auf den Schreibtisch. Die Spitzen ihrer perfekt gelockten Haare kitzelten dabei meine Nasenspitze. „Ach ja?", fragte ich skeptisch nach, „um diese Uhrzeit?" Unbeeindruckt beugte sie sich über den Schreibtisch und blätterte meine Notizen durch. „Arbeit ruht nie. Das müsstest du eigentlich von besten wissen, Payne."

Ich sah weiter auf zu ihrem Unterkiefer und ihrer Nase, die mit unzähligen Sommersprossen übersät war. Um ihre Augenpartie furchten sich bereits die ersten Falten ihren Weg durch ihre Haut, aber das behielt ich vorerst lieber für mich. Sie zog das unterste der Papiere aus dem Chaos hervor und hielt es ganz nah an ihr Gesicht. Entweder war sie sich zu schade dafür, eine Brille zu tragen, oder - was wahrscheinlich eher der Fall war - sie hatte so wie jeder andere Mensch enorme Schwierigkeiten damit, meine Handschrift zu entziffern. „Nicht schlecht. Das Schreiben kannst du, das muss man dir lassen", meinte sie indessen. Mir war nicht ganz klar, ob ich das als Kompliment oder Provokation deuten sollte. Ihre Augen schweiften nach wie vor über meine Notizen und ich versuchte, in ihrer Mimik Antworten zu lesen.

„Könntest du vielleicht damit aufhören, mich anzustarren? Ich kann mich ja sonst überhaupt nicht konzentrieren." Sie schritt auf meine andere Seite und ließ sich auf dem Stuhl neben mir nieder. Zunächst schnellte ich meinen Kopf verlegen von ihr weg, legte dann aber meine Arme entspannt auf die Seitenlehnen, richtete mich auf und nickte in Richtung der Papiere. „Das sind erst grundlegende Entwürfe. Der Text muss noch an einigen Stellen überarbeitet werden, aber dazu werde ich heute definitiv nicht mehr kommen."

Sie zog die Unterlippe zwischen die Zähne und zuckte schwach mit den Schultern, „wie gesagt, bisher gefällt mir das alles hier ganz gut. Und nimm dir alle Zeit, die du brauchst. Du sollst dich von niemandem unter Druck gesetzt fühlen." Allmählich ließ ich meine Hände auf meine Knie sinken, die Lippen verzog ich zu einem heuchlerischen Grinsen. „Nicht unter Druck gesetzt fühlen? Es ist bereits April und ich habe gerade mal fünf Lieder fertig", ich deutete mit dem Zeigefinger auf das Papier in ihren Händen, „dem da miteinberechnet. Ohne Druck werde ich es nie schaffen, noch vor Jahresende das Album auf den Markt zu bringen." Sichtlich angespannt bis sie die Zähne zusammen. „Das ist auch gar nicht mehr der Plan", erwiderte sie.

Es dauerte eine Weile, um das zu verarbeiten, was sie eben zu mir gesagt hatte. „Vielleicht haben Sie da etwas missverstanden, aber das Ultimatum wurde schon in der ersten Konferenz auf Dezember dieses Jahres festgesetzt", meinte ich, verschränkte die Hände um meine übereinandergeschlagenen Beine und lehnte mich zu ihr nach vor. Sie legte die Papiere behutsam auf der Schreibtischfläche ab. Wir beide nahmen einem tiefen Atemzug, ehe sie mir erklärte, was hier vor sich ging.

„Du verstehst hoffentlich, dass es sich hier um dein Debütalbum handelt, an dem wir gerade arbeiten?" Gereizt verdrehte ich die Augen. Wenn es eine Sache gab, die ich abgöttisch hasste, dann waren es rhetorische Fragen. Ich sparte mir einen frechen Seitenhieb und antwortete lediglich mit einem Ja. „Super. Dann wirst du auch bestimmt nicht vergessen haben, dass du fünf Jahre lang in einer Boyband warst. Weltweit erfolgreich und jetzt allesamt als Solokünstler aktiv. Quasi nicht mehr als fünf Konkurrenten mit derselben Vorgeschichte."

Ich stützte meine Ellbogen auf der Tischplatte ab und schirmte mein Gesicht mit einer Hand ab. Es war kristallklar, worauf sie hinauswollte. „Also soll ich allen Ernstes so lange warten, bis die anderen ihre Alben herausgebracht haben und mich erst dann um das meine kümmern? Das ist doch absolut lächerlich. Klar, wir waren zusammen in einer Band und jeder von uns will auf diesen Erfolg anknüpfen. Aber wir sind keine Konkurrenten. Ich griff nach dem Plastikbecher und trank den Kaffee in einem Zug leer.

Fast schon arrogant schlug sie daraufhin ein Bein über das andere. „Liam, weißt du, ich schätze dich unheimlich als Künstler, aber hör bitte damit auf, dich ständig in meine Arbeit einzumischen. Im Gegenteil zu dir habe ich jahrelang für meinen Abschluss studiert und mich danach erstmal in unterbezahlten Jobs herumschlagen müssen, um jetzt mit dir in diesem Raum zu sitzen. Auch wenn das für dich auf den ersten Blick nicht so scheint, weiß ich ganz genau, was ich tue und ich habe es sowas von satt, mir bei jeder Kleinigkeit irgendwelche dummen Kommentare von dir anhören zu lassen."

Kleinigkeit. Diesmal unterdrückte ich mir ein verächtliches Auflachen. „Miss Wiltshire ... ", hob ich an und strich mir beiläufig ein paar vereinzelte Haare aus der Stirn, „meiner Meinung nach ist das, was sie hier tun, einfach nur gezieltes Aufstacheln gegen die Jungs. Nicht jeder Konkurrenzkampf, den man führen kann, muss auch geführt werden. Vor allem dann nicht, wenn es sich um die Menschen handelt, denen man die beste Zeit seines Lebens zu verdanken hat. Mit denen man erwachsen geworden ist und mit denen man so unfassbar viel Scheiße durchgemacht hat. Und auch wenn zwischen den meisten von uns gerade Funkstille herrscht, würde ich alles stehen und liegen lassen, wenn ich wüsste, dass es einem von uns nicht gut geht. Und ich weiß, dass sie auch dasselbe für mich tun würden. Aber Sie werden das nie nachvollziehen können, weil Sie uns fünf keine einzige Sekunde lang zusammen erlebt haben."

Mein Mund sagte das, was mein Gehirn in dem Moment auch dachte. Und dabei gingen mir immer wieder die Bilder von Niall durch den Kopf, wie er damals mit gepackten Koffern und müden Augen vor meiner Wohnung gestanden hatte. Und wie ich keine Sekunde gezögert hatte, ihn in meine Arme zu schließen.

Zu meiner Verwunderung schien ich es tatsächlich geschafft zu haben, Kratzer auf dem Ego meiner Managerin hinterlassen zu haben. Ich lehnte mich zurück und sah ihr dabei zu, wie sie aufstand und nach ihrem Jackett schnappte, das sie heute Morgen so sorgfältig auf einem der Nebentische zusammengefaltet hatte. Sie zögerte, hielt an, drehte sich zu mir um und hielt den Zeigefinger drohend auf mich gerichtet. „Morgen, selbe Zeit, selber Ort. Wir werden die aufgeschobenen Termine auf nächstes Jahr aufteilen. Ob du willst oder nicht." 

half blue skies | 𝐨𝐧𝐞 𝐝𝐢𝐫𝐞𝐜𝐭𝐢𝐨𝐧Where stories live. Discover now