track 2

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Disc 3
Track 2 - Story of My Life
» although I am broken, my heart is untamed, still «
HARRY
im dritten Jahr nach der Trennung von One Direction



Die Schlange am Kassenband reichte so weit nach hinten, dass ich gar nicht erst erkennen konnte, wo sie begann. Die Menschen drängten an mir vorbei oder verlangten nach der Öffnung einer zweiten Kasse, doch die gab es nicht. Schließlich befanden wir uns in einem Expresssupermarkt. Klein, verwinkelt und so gut wie der einzige Laden in der Umgebung, der bereits um diese Tageszeit geöffnet hatte.

Es ging nur schleppend voran. Währenddessen die meisten Kunden lediglich ein paar Kleinigkeiten vor Beginn ihrer Arbeit einkauften, stand ausgerechnet vor mir eine dreiköpfige Familie, die darüber hinaus ihren Campingkorb bis zum Rand gefüllt hatte und deren Tochter mit verschränkten Armen gelangweilt über dem Griff des Korbs hing. Trotz des Wetters trug sie eine zerrissene Jeans und eine viel zu kurze Lederjacke. Ich bemerkte, wie ihr müder Blick immer wieder an mir vorbeiglitt. Unbewusst grub ich mein Gesicht etwas tiefer in den Stoff meines Kapuzenpullovers.

Allmählich machte sich die Familie daran, ihre Sachen aus dem Korb auf das Band zu räumen. Oder wohl eher waren es die Eltern, denn die Tochter hatte inzwischen ihr Handy hervorgeholt und wischte mit dem Daumen mehrfach längs über den Bildschirm. Mit den Fingerspitzen meiner freien Hand trommelte ich nervös auf der Metallverkleidung der Kasse herum. Obwohl mich in diesem Moment niemand zu beachten schien, fühlte ich mich unglaublich beobachtet.

Die Mutter stellte eines der Abtrennschilder auf das Band, woraufhin ich erleichtert durchatmete und mich nach vor beugte, um meine Artikel ebenfalls abzulegen - eine Flasche Cola, eine Dose Kaugummi und so ein fertig abgepacktes Schinken-Käse-Sandwich, das vermutlich bereits gestern im Kühlregal gelegen hatte. So genau wollte ich darüber gar nicht erst nachdenken.

Die Colaflasche rollte mit jeden Zug des Kassenbands hin und her. Die schwarze Flüssigkeit schwappte die Innenseite des Plastiks entlang, an der Oberfläche bildete sich Schaum. Beim Aufschrauben würde ich später vorsichtig sein müssen, wenn ich nicht wollte, dass ich mich von den Händen bis auf die Schuhe überschwemmte.

Ich schob die Hände in die vorderen Hosentaschen und ließ meinen Kopf ein wenig in den Nacken fallen. Die Hängelampen über mir flimmerten und summten, nahezu schmerzhaft kniff ich die Augen zusammen. Als ich wieder aufsah, sah ich direkt in die Augen der Mutter. Wie sie mich interessiert von oben bis unten musterte, sich danach von mir abwandte und sich zwischen ihren Mann und ihre Tochter stellte. Sie legte ihnen jeweils eine Hand auf die Schulter.

Bitte nicht, dachte ich. Ich mochte vieles, aber erkannt zu werden gehörte da eindeutig nicht dazu. Zumindest nicht hier und schon gar nicht in dieser Gefühlslage. Ich fühlte mich wie erstarrt und das Einzige, das ich wahrnahm, war, wie die Mutter sich weiter zu ihrer Tochter lehnte und ihr etwas ins Ohr zu flüstern begann. Ich war mir sicher, dass ihre Lippen dabei zwischenzeitlich meinen Namen formten.

Am liebsten hätte ich in diesem Moment alles stehen und liegen gelassen. Doch stattdessen lächelte ich und wartete darauf, dass er an mir vorbeizog. Wenn alles gut ging, würde ich in rund  drei Minuten draußen an der frischen Luft sein und meinen Tag danach damit verbringen, von einem Termin zum nächsten hetzen. Das würde solange weitergehen, bis die Winterpause der Tour endlich vorbei war. Aber bis dahin lag noch ein langer Weg vor mir. Inmitten des Eisnebels, der diesen trostlosen Stadtteil irgendwann noch komplett in Gewahrsam nehmen würde.

Das Piepen des Kassenscanners ließ den Eisnebel zu dem Mädchen, das den Kopf mittlerweile in meine Richtung gedreht hatte, zerfließen. Ihre Augen waren derart dunkel, dass ich nicht deuten konnte, ob sie tatsächlich mich oder irgendetwas hinter mir anstarrte. Ohne den Blick von mir abzulassen, schob sie sich ein Stück nach vorne. Nach ein paar Sekunden schaute sie von mir weg zu ihrer Mutter, die sie bereits neugierig ansah. Das Mädchen schüttelte den Kopf.

Ich atmete erleichtert aus. Der Vater hielt nun seine Karte über den Zahlungsterminal und deutete den anderen beiden mit einer vagen Geste, dass sie den Campingkorb schon einmal zum Wohnwagen bringen sollten. Dann schlichtete er die Karte zurück in seine Brieftasche, die er daraufhin in der Innentasche seines Parkas verstaute. Er nickte der Kassiererin zum Abschied noch einmal zu. Ich sah ihm so lange hinterher, bis auch er hinter den Glasscheiben verschwunden war.

"Guten Morgen."

Die monotone Stimme der Kassiererin lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich setzte abermals mein Lächeln auf und sah ihr dabei zu, wie sie das Abtrennschild vom Kassenband schnappte und wieder zurück in die Schiene schob. "Wollen Sie eine Tüte dazuhaben?", fragte sie, währenddessen sie die Artikel der Reihe nach über den Scanner zog. "Nein ... nein, ich denke nicht." Sie zog skeptisch die Augenbrauen zusammen, "na, wenn das so ist. Es wären dann genau fünf Pfund."

Mein Blick wechselte von der Kassiererin zu dem Bildschirm neben ihr, nur um sicherzugehen, dass der Preis auch tatsächlich stimmte. Ich zog ein paar Scheine aus meiner Hosentasche, blätterte diese durch und händigte schlussendlich einen davon über. Währenddessen sie damit beschäftigt war, das Geld in ihre Kasse zu schlichten, packte ich meine Sachen in die Bauchtasche meines Pullovers. Im Gehen wünschte ich ihr noch einen angenehmen Tag und sie ihn mir zurück. Doch dafür war es schon zu spät.

Hinter den Glastüren erwartete mich eine Traube aufgeregter Fans.

half blue skies | 𝐨𝐧𝐞 𝐝𝐢𝐫𝐞𝐜𝐭𝐢𝐨𝐧Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt