track 6

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Disc 2

Track 6 - Heart Attack

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NIALL
im zweiten Jahr nach der Trennung von One Direction


Die Kanten des Umzugskartons kerbten sich immer tiefer in meine Ärmel, als ich ihn Stockwerk für Stockwerk nach oben schleppte. Da der Aufzug momentan wegen Wartungsarbeiten außer Betrieb war, hatte ich gar keine Wahl, als die Treppen rauf- und runterzulaufen. Immer wieder bis ganz nach oben in den fünften Stock.

Nachdem ich den Karton vor meine Wohnungstür fallen gelassen hatte, wischte ich mir mit einer groben Handbewegung den Schweiß von der Stirn. Ich schob den Umzugskarton mit der Innenseite meines Schuhs etwas weiter in die Diele und knöpfte mir kurzerhand mein Hemd auf, um es daraufhin achtlos auf einen Stapel Kissen zu werfen.

Ich ging leicht in die Knie und beugte mich über die Kartons. Ich öffnete sie, kramte sie mit raschen Handbewegungen durch und schob sie um mich herum. Das machte ich so lange, bis meine Finger endlich durch einen unordentlichen Haufen Klamotten fuhren. Vermutlich hätte ich die Umzugskartons doch beschriften sollen.

Ich zog das erstbeste T-Shirt heraus, das ich erwischte und hielt es mir mit ausgestreckten Armen vor den Oberkörper. Es war durch die unzähligen Waschgänge und mein fehlendes Talent deutlich kleiner geworden, aber für das Schleppen der Kartons war es mehr als gut genug. Bevor ich mich daran machte, es mir überzuziehen, schritt ich noch einmal an der hohen Glasfront vorbei zum anderen Ende des Raums. Das Einzige, was dort bisher eingebaut war, war eine schlichte Küchenzeile aus dunklem Holz. In der Ecke daneben befand sich genug Raum für einen Kühlschrank.

Sobald ich den Wasserhahn aufgedreht hatte, verteilte ich das kalte Wasser über meinen Oberkörper bis hin zu meinem Hals. Das Shirt baumelte dabei über meine Schulter und wurde wie meine Haarspitzen leicht nass, aber schlimmer als zuvor hätten die ohnehin nicht mehr aussehen können. Kurzerhand stützte ich mich mit den Händen am Beckenrand ab, beugte mich nach vor und ließ das Wasser aus der Leitung in meinen Mund fließen. Ich spürte, wie es in feinen Spuren mein Kinn entlanglief, bis ich es schlussendlich in das Spülbecken tropfen hörte.

Ich langte nach der Küchenrolle am Beckenrand. Ich zog mehrmals an, bis ich einige Schichten davon zwischen den Fingern hielt und wischte mir meinen Körper trocken. Danach warf ich das benutzte Stück Küchenrolle in die schwarze Plastiktüte, die ich mit Tesafilm an der Seite des Beckens befestigt hatte und vorübergehend als provisorischer Mülleimer herhalten musste.

In großen Schritten lief ich wieder aus der Wohnung in Richtung Erdgeschoss. Während ich darauf aufpassen musste, nicht über die Treppen zu schlittern, steckte ich mein Shirt etwas weiter in meine Jeans. Als ich die gläserne Eingangstür erkennen konnte, ging ich ein wenig in die Knie, um hindurchzusehen, doch dort, wo eben noch der Umzugswagen gestanden war, parkte mittlerweile ein dunkelblauer Mittelklassewagen.

Seufzend kam ich vor den letzten beiden Umzugskartons, die in der Ecke neben den Postfächern abgestellt worden waren, zum Stehen. Ich hob einen der Kartons an, stellte ihn auf den anderen und fuhr mit den Handflächen unter den Stapel. Auf wackeligen Knien richtete ich mich langsam auf. Das Gewicht der beiden Kartons war unglaublich schwer und ich musste mich mit den Füßen vorsichtig nach vor tasten, damit nicht der obere Karton vom unteren Karton rutschte oder ich gar nach hinten stolperte und mit dem Hinterkopf auf die Schieferplatten schlug.

„Kann ich Ihnen vielleicht etwas abnehmen?"

Ein unangenehmes Ziehen durchfuhr meinen Nacken, nachdem ich meinen Kopf zu schnell über die Schulter gedreht hatte. Meine Augen trafen auf einen Mann, der etwas schmächtiger und kleiner war als ich, aber dessen Gesicht dennoch wahninnig markant und von einem Dreitagebart gezeichnet war. Ich schätzte ihn ein paar Jahre älter als mich. Über seine Schulter trug er einen prall gefüllten Jutebeutel und in seiner anderen Hand schepperte ein Autoschlüssel.

Er ließ die Schlüssel in seiner Hosentasche verschwinden und streckte mir seine Hand entgegen. „Ich nehme an, Sie sind unser neuer Nachbar. Freut mich, Sie hier willkommen heißen zu dürften. Ich bin übrigens Arthur Mathers, Sie können mich aber ruhig Artie nennen. Das machen hier eigentlich alle", stellte er sich vor, ließ seine Hand jedoch wieder sinken, als er bemerkte, dass ich unter dem Gewicht der Umzugskartons keine Chance hatte, ihm meine zu reichen. „Niall ... Niall Horan. Freut mich ebenfalls", stammelte ich daher. lediglich. Über die Kante der Kartons konnte ich erkennen, wie Artie mir zur Seite schritt und mir wie selbstverständlich den oberen Umzugskarton abnahm. „In den fünften Stock, oder?", fragte er mich lächelnd, was ich mit einem Nicken erwiderte.

Gemeinsam schritten wir die Stufen bis zu meiner Wohnung hoch. Er passierte vor mir die Tür und schaute sich interessiert um. „Und ich dachte schon, hier würde nie jemand einziehen", sagte er und schaute zu mir zurück. Irritiert zog ich meine Stirn in Falten. „Wirklich? Warum denn das?", fragte ich ihn. „Na, wegen des Preises. Ich meine, viel Raum und eine gute Aussicht sind durchaus schöne Sachen, aber um sich die Mietkosten auch nur einen einzigen Monat lang leisten zu können, müsste ich zum Beispiel für ein halbes Jahr sechs Tage die Woche schuften. Überstunden exklusive." Obwohl Artie weder urteilend noch vorwurfsvoll klang, schaffte ich es nicht, ihm in die Augen zu sehen.

Ich drückte den Umzugskarton fester an mich und stellte ihn vorsichtig ab. Dabei nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, wie Artie zunächst dazu ansetzte, seinen Karton neben den meinen zu stellen, zog dann jedoch mit den Fingerspitzen etwas aus der Spalte zwischen den Laschen des Kartons hervor. „Oh, ist sie etwa deine Freundin? Ihr zieht hier bestimmt zusammen ein, nicht wahr?", fragte er schließlich und ich spürte, wie mein Körper von den Zehen- bis in die Haarspitzen erstarrte. „Alles andere würde ja auch keinen Sinn ergeben, immerhin würde in diesen Raum allein meine gesamte Wohnung passen. Die ist übrigens im Erdgeschoss, neben der Heizungsanlage, den Stromkästen und dem ganzen Kram, weswegen sie auch nur die Hälfte der regulären Wohnungen misst. Selber Bauplan, nur kompakter und dementsprechend auch leistbarer."

Unbewusst rammte ich mir die Fingernägel in die Handfläche, woraufhin ich vor Schmerzen mein Gesicht verzog. Artie musste scheinbar die Kiste erwischt haben, die ich bis zum Rand mit alten Fotos und anderen Krimskrams gefüllt hatte. Ich schielte auf das Polaroid zwischen Arties Daumen und Zeigefinger. Darauf zeichneten sich Emmas Haarspangen vom tristen Hintergrund ab. „Nein, sie ist nicht meine Freundin. Wir waren lediglich in der Oberstufe in derselben Freundesgruppe." Mit einem Mal klang meine Stimme wie angeschlagen.

„Oh, verstehe. Ich wollte keine alten Wunden aufkratzen. Ich sollte wohl nächstes Mal zuerst nachdenken und dann reden." Artie stellte nun den Karton sachte neben dem anderen ab und vergrub die Hände in seinen vorderen Hosentaschen. Er lächelte mich aufmunternd an und öffnete den Mund erneut, um mir etwas zu sagen, hielt sich dann jedoch zurück. „Es ist okay. Wirklich", erwiderte ich knapp.

Ich vermisse sie noch immer, aber wenigstens tut es nicht mehr ganz so weh.

„Manchmal will man das, was man nicht haben kann, am allermeisten. Liegt in der Natur des Menschen. Es ist unfair, aber was hätte das Leben für einen Reiz, wenn alles genauso kommen würde, wie man es sich wünscht?", sprach Artie mir zu und ich nickte wortlos vor mich hin. Alles um mich herum verblasste zu einem undurchlässigen Nichts.

Aber wir hatten uns damals geküsst und es gibt trotzdem nichts, das ich lieber will.

Die Gedanken wurden wieder leiser, als ich Arties Hand auf meiner Schulter spürte. Ich schaute zu ihm, doch er sah an mir vorbei durch die Fensterscheibe auf die Skyline von London. Ich folgte seinem Blick. „Letzte Woche hat in der Straße nebenan ein neuer Kaffeeladen eröffnet", wechselte er das Thema, „bisher habe ich noch niemanden gefunden, der bodenständig genug ist, um mit einem Typen in veganen Schuhen und ohne American Express etwas trinken zu gehen und nebenbei über das Leben zu philosophieren." Er wandte sich mir zu und sah mir erwartungsvoll in die Augen, aber ich musste nicht lange überlegen. Natürlich würde ich mit ihm dort hin gehen. Vielleicht waren solche Kleinigkeiten genau das, was ich und er beide am meisten brauchten.

half blue skies | 𝐨𝐧𝐞 𝐝𝐢𝐫𝐞𝐜𝐭𝐢𝐨𝐧Where stories live. Discover now