2. Teil

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„Allah kahretsin! (Verdammt!)", schrie der Fahrer in die Gegend. Schockiert packte er sich am Kopf. Was seine Augen sahen, konnte er nicht wahrhaben. Ein Albtraum müsste das sein!
Ohne länger Zeit zu verlieren, holte er sein Handy raus und rief überfordert von der Situation einen Krankenwagen.
Sie dürfte nicht sterben! Ein Leben hat er schon zerstört, ein zweites konnte er nicht!

Im Krankenhaus angekommen wurde die Verletzte unmittelbar in die Intensivstation gebracht.
„Was passiert mit ihr?", traute er sich kaum zu fragen.
„Es ist schwierig eine Auskunft zu geben! Ihre Lage ist sehr kritisch.", teilte der Arzt mit und schloss die Türen des OP-Raums zu.
Hellwach war er geworden. Gestresst fuhr er durch die Haare. Dabei bemerkte er etwas flüssiges seine Stirn herunterlaufen. Er schaute seine Finger herab und erkannte dunkelrote Fingerkuppel.
Blut.

Das Warten fand kein Ende. Mit einem kleinen Verband an der linken Braue verweilte er in den Gängen.
Was soll ich machen? Nur mein Freund kann mich verstehen.
„Oğlum, çok kötü bir şey yaptım! Hastanedeyim, gel lütfen! (Junge, ich habe etwas ganz schlimmes gemacht! Ich bin im Krankenhaus, komm bitte!)", stieß er ängstlich aus.
Was ist passiert Burak? Ich komme gleich!", wollte dieser wissen und legte auf, nachdem er den Standort erfuhr.

Da kam er auch innerhalb 15 Minuten, die wie Stunden verstrichen.
„Can. Can!", waren Buraks erste Worte, nachdem er sein Freund sichtete. „Burak n'oldu (Burak, was ist passiert)?", suchte der nervös angelaufene Can nach Antworten.
„Ich habe mich wieder mit meinen Vater gestritten und bin Nachhause gerast! Dann ist plötzlich jemand aufgetaucht und wollte die Straßenseite wechseln! Ich war zu schnell und bemerkte sie zu spät!", wiedergab Burak und begann nervös auf und ab zu laufen.

Immer wieder fragte er sich was er machen soll. Nach Halt suchend lehnte er den Kopf letztendlich an Cans Schulter. Brüderlich umarmte dieser ihn, welch Unbehagen ihm die Situation auch zubereitete. „Wir werden schon eine Lösung finden.", erhoffte sich Can.

Die Nacht schlug schon ein. Trotz seiner Müdigkeit bekam Burak kein Auge zu. Seit Stunden wartete er auf das Erwachen der verunglückten jungen Frau. Als er schon fast die Hoffnung aufgab, trat ein erschöpfter Arzt aus dem OP-Raum heraus. Die Panik befiel jede Faser von Burak.
„Wie ist ihre Lage? Wie wird es weitergehen?", durstete Burak nach Informationen.
„Ihre Lage ist nicht stabil. Die Operation wurde beendet, doch die Patientin müssen wir ins Koma verlegen.", kündete der Arzt an und brachte Buraks Welt ein weiteres Mal zum Zerfallen.

„Of Burak! N'aptın? Öfkeyle kalkan zararla oturur! (Oh Burak! Was hast du gemacht? Wer mit der Wut aufsteht, setzt sich mit einem Schaden wieder hin![ türk. Sprichwort])", schimpfte Burak mit sich selbst und fuhr durch die Haare. Das machte er immer, wenn er wütend oder verzweifelt war. Eine einzige Sekunde der Unachtsamkeit veränderte sein Leben. Viele Fehler hatte Burak vergangen, aber der heutige übertraf alle.

Die Gewissensbisse wurden immer größer.
„Can, du kannst gehen. Es ist sowieso spät geworden. Gehe Nachhause, ruh dich aus.", wandte sich Burak seinem Freund, als er bemerkte, dass das Warten kein Ende fand.
„Spinnst du? Ich bleibe mit dir!", sicherte Can entschlossen.

Die Tür des OP-Raums fiel auf und ein Bett wurde rausgeschoben. Aufmerksam richtete sich Burak auf und erkannte, dass es sich um die verunglückte Passantin handelte.
Bei dem Anblick fror das Blut in ihm form förmlich. Viel war nicht zu erkennen. Verbände und Wunden überzogen sich über ihr Gesicht.
Was hast du gemacht?! Ich habe das Leben eines unschuldigen Frau vermasselt!, beschuldigte er sich ein weiteres Mal.

Eine Träne fiel. Aus Wut und Angst. Impulsiv kickte er den Stuhl neben weg.
„Burak, beruhige dich! Wir müssen warten!", sprang Can erschrockene auf und packte seinen Freund an den Schultern. Mit zusammengezogenen Brauen stierte er ihn an.
„Wie soll ich hier nichtsmachend warten?", wurmte die Ungewissheit in Burak. „Hoffe einfach auf das Gute und Warte!", entgegnete ihm Can und setzte sich seufzend hin. Müde fuhr er über das Gesicht. Buraks Panik wuchs, als er einen Anruf von seinem Vater empfing. Schwer schluckte er und ließ den Anruf unbeantwortet.

„Die Blessuren sind schlimm, wenn ich offen sprechen soll. Die Patientin hat zahlreiche Zerrungen, Brüche, Verstauchungen und innere Blutungen... Sie am Leben zu halten, scheint eine große Herausforderung zu sein. Ihren alten Zustand wird sie vielleicht nie erreichen können...", offenbarte der Arzt, nachdem Burak letztendlich ins Büro gerufen wurde.
„Mann! Was soll ich tun? Ich habe das nie gewollt!", gab Burak schmerzerfüllt von sich.
„Herr Aksoy, zurzeit können sie nur Warten.", wiederholte der Arzt die Worte, die Burak kein zweites Mal hören konnte. Und zwar warten.

„Außerdem hat unsere Verletzte zu viel Blut verloren. Sie hat die Blutgruppe Null und ist somit Universalempfänger.", vermerkte der Arzt.
„Nehmen sie Blut von mir ab. Ich bitte Sie! Irgendwie kann ich doch helfen?", hoffte Burak. Denn an sein Versprechen erinnerte er sich noch wie als ob es gestern war.

„Ich habe mir eins versprochen: nie wieder mehr ein Leben zu zerstören.", gestand Burak. Verwunderung zeichnete die Miene des Arztes. Womöglich stellte er sich die Frage, wie dieses Versprechen zustande gekommen war.
„Darf ich mindestens ihren Namen erfahren?", fragte Burak und fand die Blicke seines Gegenübers.

Kader Dereci"
Der Name löste solch einen Schmerz in Burak aus, dass sich sein Brustkorb einengte. Nach Luft ringend, löste er seine Krawatte und zog sie vom Hals.
Ich habe das Leben von Kader Dereci zerstört.
Dann wanderte sein Blick auf den Koffer, der in der Ecke lag. Darauf war eine Tasche platziert, die blutverschmiert war.

„Gehört das ihr?", hakte Burak nach.
„Ja, für die Unterlagen haben wir nach ihren Daten  gesucht."
Plötzlich ertönte ein Klingeln aus der Ecke. Um genauer zu sein, handelte es sich um ihr Handy. Diese junge Frau hat auch eine Familie und Freunde gehabt. Sie dürfen nicht unbenachrichtigt bleiben.

Unerwartet sprang Burak von der Stelle auf und durchsuchte die Tasche, bis er das Handy fand.
„Hey! Herr Aksoy! Sie haben kein Recht darauf!", setzte sich der Arzt in Bewegung, doch Burak floh schon vor die Tür.

„Alo, Kader? İşini halletin mi? İşe alındın değil mi? (Hallo Kader? Hast du deine Sachen erledigt? Du wurdest auf der Arbeit angenommen, stimmts?", ertönte eine männliche Stimme. Ein Blick auf das Display verriet seinen Namen. Murat. Ein altes iPhone mit kaputtem Bildschirm.
„Hallo, Kader?", fragte der Anrufer, als keine Antwort kam.
"Ehm merhaba. Ben Burak Aksoy... (Ehm hallo. Ich bin Burak Aksoy...)", machte Burak, was er als richtig hielt.

„Sen kimsin? Konuşsana oğlum! (Wer bist du? Rede doch Junge!)", erkannte Murat den Haken in der Sache.
„Lassen Sie mich bitte alles erklären!"
„Was ist mit meiner Kader passiert?!", fragte er panisch.
„Ben çok pişmanım, inanın. Ama Kader kaza yaptı. Onu görmed- (Ich bereue es sehr, glauben Sie mir. Aber Kader hat ein Unfall gemacht. Ich habe sie nicht ges-)"
„Ne? Ne diyorsun sen! Ağzını burnunu kırarım! Kimsin sen? (Was? Wovon redest du! Ich werde dich grün und blau schlagen! Wer bist du?", schrie Murat dieses Mal. Wie paralysiert verlor Burak die Sprache.

„Weißt du, wieso sie dort hin gegangen ist? Zum arbeiten! Weil wir das Geld brauchen"
„Es tut mir wirklich leid! Ich werde alles machen, um sie am Leben zu halten! Ich werde ihr Leben wieder gut machen!"
„Sag mal, bist du bescheuert! Wenn sie stirbt, bist du der Nächste Tote! Annem duyarsa biter! (Wenn es meine Mutter hört, wird sie am Ende sein!)", fasste Murat kaum.
„Bitte, sagen Sie ihr nichts! Ich werde alles gut machen, wenn nicht gehe ich mich selbst umbringen! Ich gebe Ihnen meine Nummer. Sie können mich jederzeit anrufen.", vereinbarte Burak und diktierte seine Nummer.

„Wenn sie stirbt, dann-"
„Sie wird überleben! Ich bringe sie zu den besten Ärzten! Und wenn eure Mutter mit Kader reden will, sagt bitte, dass ihr Handy für einen Monat in der Reparatur ist.", bat Burak.
„Du musst ihr Leben retten, kardeşim (mein Freund). Yoksa bitersin, anladınmı?! (Sonst bist du erledigt, verstanden?!)"
„Ich verspreche es Ihnen. sie wird überleben.", waren Buraks letzte Worte, bevor das Handy
abstürzte.
Wird sie überleben?
Ja sie wird überleben!

1333 Wörter, 23.07.2016

Fortsetzung folgt

Das VersprechenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt