27. Teil

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"Frau Dereci?", hörte ich plötzlich und löste mich von meiner erstarrten Position.
"Äh, ja Herr Kozan?", fragte ich.
"Sie sind erstarrt, ist etwas los?", fragte er etwas verwirrt.
"Ah, wirklich? Ist mir gar nicht aufgefallen?", meinte ich locker.
Rasch zog er seine Braue hoch.
Ich lächelte ihn an und wollte damit zeigen, dass alles in Ordnung ist.

Wir waren mit dem Essen fertig und machten uns auf dem Weg nach draußen.
Mittlerweile war es ruhiger geworden.
Wir waren in der großen Empfangshalle.
"Ah, Kader? Arbeitest du auch hier?", fragte mich jemand von hinten.
Abrupt drehte ich mich zur bekannten Stimme um.
"Ipek?", fragte ich.
Ich erkannte sie sofort von ihren blau schimmernden Haaren.
"Es überrascht mich hier zu sehen! Ich dachte du seist nur mit Burak befreundet ..."
"Äh ... J-ja stimmt. Ich ... äh arbeite seit heute hier.", stammelte ich erschrocken von der Begegnung.
Sie arbeitet auch hier?!
"Ah hallo Herr Kozan!", grüßte Ipek den verwirrten Herr Kozan.
"Hallo Frau Saygın!", grüßte er sie.
"Sie kennen Herr Burak?", fragte er überrascht.
"Ja, wir kennen uns. Als ich fertig mit dem Studium war, hat er mich hier eingestellt. Gute Freunde eben ...", log ich.
Kurz schloss ich meine Augen, um den Klos herunterzuschlucken.
Dann setzte ich wieder ein gespieltes Lächeln auf.
Ich blickte runter zu meinen zitterten Händen.
"Ah, freut mich! Was war aber am Tag los, wo wir uns getroffen hatten? Sah anders aus ...", verdächtigte Ipek.
"Wir waren nur verstritten ... Ich wohnte ja in Berlin und ich war sauer auf ihn, weil er mir nie von Hande erzählt hatte.", log ich.
Das zweite mal. Ich hasse lügen.
Bei jeder Lüge sank ich mehr in den Boden. So fühlte es sich zumindest an.
"Wirklich? Von dir war auch nie die Rede ..."
"Ja ... Wir hatten Jahre lang keinen so guten Kontakt, aber alles ist gut jetzt!"
"Gut! Freut mich! Willkommen hier! Ich arbeite im zwanzigsten Geschoss. Du kannst gerne mal bei mir vorbeischauen.", meinte sie lächelnd.
"Danke, mache ich! Man sieht sich!", verabschiedete ich mich.
"Ja, man sieht sich!", waren ihre letzte Worte, bevor sie verschwand.
Ich schluckte nochmal mein Klos runter.
Wir liefen wieder weiter.
"Sie kennen also Herr Burak ...", wunderte sich Herr Kozan.
"Ja", sagte ich verlegen.
Ich wollte das Thema schnell ändern.
Ich hasse es zu lügen! Lügen verbessern nur den Moment, danach wird alles schlimmer ...
Oh nein! Ich habe vergessen mit Murat zu telefonieren! Durch den ganzen Stress habe ich es vergessen!
"Ich gehe draußen telefonieren.", gab ich Herr Kozan bescheid.
"Gut, ich bin in meinem Büro.", meinte Herr Kozan.
Ich nickte und näherte mich der Eingangstüre.
Ich weiß zwar nicht warum, doch irgendwie brauchte ich eine Schulter zum Weinen ...
Lange konnte ich das nicht verdrängen. Wenn ich Sorgen habe, muss ich immer weinen! Das war auch früher so ... Als meine Mutter am Leben war. Ich weinte mich immer bei ihr aus ...
Jetzt war ich draußen im Vorgarten. Schnell holte ich mein Handy aus meiner Tasche und rief Murat an.
Ich hoffe er geht ran!
Ungeduldig wartete ich auf die Stimme, die ich vermisst hatte.
"Hallo?", hörte ich dann endlich.
"Murat!", konnte ich nur sagen.
"Ja Kader?"
"Murat, wie geht es dir? Ich habe euch vermisst!"
"Wir haben dich auch vermisst."
"Was macht meine Tante? Esma?"
"Alles Bestens. Esma ist noch in der Schule. Sie ist ganz stolz über die 1,4 in ihrer Mathearbeit, wofür ihr zusammen gelernt hattet.", richtete er mir aus.
Mein Herz wurde plötzlich schwerer.
Meine Kehle schnürte sich zu.
Ein Schluchzer platzte mir heraus.
"Kader? Iyimisin? (Geht es dir gut?)", fragte er besorgt.
"Hayır Murat! Hayır! Hiç birşey yolunda değil! (Nein Murat! Nein! Nichts ist in Ordnung!)", sagte ich tränenerfüllt.
Ich wusste es! Lange konnte ich es nicht verdrängen!
"N'oldu?! Yoksa o yarım akıllı salak sana bir şey mi yaptı?! (Was ist?! Hat dir etwa dieser gripsloser Dummkopf etwas angetan?!)", fragte er sofort.
"N-nein ... Ich habe euch nur vermisst.", log ich, damit er sich keine Sorgen um mich machte.
"Sag die Wahrheit!"
"Das ist die Wahrheit ... Wirklich!"
Er atmete tief aus.
"Du verschweigst nichts, oder?", fragte er nach.
"Ja Murat! Wirklich. Die Gegend ist nur ungewohnt für mich. Alles ist so anders ... Nur deswegen ... Und ihr fehlt mir!", sagte ich.
"Du fehlst uns auch. Kannst du nicht kommen?"
"Nein. Nicht jetzt. Aber irgendwann komme ich!"
"Ich warte. Du kannst immer kommen!"
"Klar! Grüße die Anderen von mir."
"Das mache ich, tschüss!"
"Auf Wiedersehen!", sagte ich zuletzt und legte auf.
Schnell wischte ich meine Tränen weg und atmete tief durch.
Das Gespräch tat gut. Ich hatte mein altes Leben vermisst. Wie schön war mein Leben eigentlich?
Wir waren glücklich ... Waren ....
Würde ich es schaffen? Hier zu bleiben? Ohne jegliche Tränen zu verlieren?
Ich ziehe das ganze nur für meine Familie durch! Sonnst würde ich hier keine weitere Sekunde verschwenden!
Erneut kamen mir Tränen aus den Augen. Ich versuchte leise, wie immer, zu weinen.
"Kader?", fragte mich jemand.
Diese Frage hörte ich heute zum dritten mal!
Sofort drehte ich mich um und entdeckte Batuhan.
"Batu?", fragte ich und blinzelte meine Tränen weg.
"Was ist los?", fragte er und näherte sich besorgt zu mir.
"Nich-"
"Sage bloß nicht nichts!", unterbrach er mich und hielt mich besorgt an meinen Oberarmen fest.
Dann drangen die Tränen schon raus.
"Batu ich ... Ich kann einfach nicht!", sagte ich.
"Was?", fragte er und ich fand mein Kopf schon an seiner Schulter.
"Ich kann diese Lüge nicht durchziehen!", sagte ich und weinte mich einfach an seiner Schulter aus.
Er legte fühlend seine Hand auf mein Kopf und fuhr meine Haare entlang.
"Alles wird gut ...", meinte er.
"Nein Batu! Jede Lüge kommt irgendwann an's Licht!"
"Nein Kader! Du musst nur so tun, als ob ihr euch schon länger kennt. Mehr nicht!"
"Batu! Ich kann nicht lügen! Ich hasse es! Das - das geht nicht!"
"Ich weiß, dass es schwer ist, aber ..."
Er fand keine Worte zum Beschreiben.
"Ich habe mein altes Leben vermisst, wo ich glücklich war!", sagte ich.
"Weine nicht! Sonnst muss ich auch weinen!", meinte er.
Darüber musste ich lächeln.

Das VersprechenWhere stories live. Discover now