Kapitel 2

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Tessa

Als der Motor des schwarzen Autos verklingt, ziehe ich den Schlüssel aus dem Zündschloss und stecke ihm in meine Handtasche. Kurz richte ich den Spiegel, um meine Frisur zu überprüfen. Mein Haar ist das Einzige, was mir immer an mir gefällt, während ich mit dem Rest meines Körpers gänzlich unzufrieden bin.

Schnell löse ich meinen Blick und ziehe eine schwarze Sonnenbrille aus der Tasche, mit der ich meine nussbraunen Augen verberge. Für mich sind die Augen das Tor zur Seele, das ich vor den anderen Schülern zu verbergen versuche.

Keiner aus der Schule muss unbedingt alles über mich wissen. Wenn nur das an die Ohren der Gesellschaft dringt, was ich sie wissen lasse, behalte ich die Kontrolle. Deshalb bin ich auch so ein Kontrollfreak. Man würde mich in der Luft zerreißen, wenn etwas Privates an die Oberfläche gelangen würde. 

Ich zupfe an meiner dunklen Jacke und dem blauen Top herum, bevor ich aus dem Wagen steige.

Fast alle Stellplätze auf dem Parkplatz sind voll, was daher rührt, dass ich bereits ziemlich spät bin. Trotzdem bin ich tiefen entspannt, als ich die Autotür schwungvoll zu schlagen und geradewegs auf das moderne Schulgebäude der East High zulaufe.

Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und öffne den Chat mit meiner Mutter. Gerade ist mir nämlich eingefallen, dass heute ein Elternabend ist, zu dem sie unbedingt muss. Sonst rufen meine Lehrer bald meine Eltern an. Bisher ist Mom nämlich entweder nie oder viel zu spät gekommen. Zwar kann ich verstehen, dass sie wirklich viel arbeitet, doch die Schule kann dafür kein Verständnis aufbringen.

Sobald ich die Nachricht eingetippt habe, öffne ich die Schwingtüren und tretet in das Gebäude. Auch die Flure sind völlig leer. Nun beeile ich mich doch ein wenig, um nicht zu allzu viel Ärger zu bekommen. Zehn Minuten zu spät zu kommen, kann ich mir noch leisten, aber nach fünfzehn Minuten wird es wirklich eng.

Da Handys hier eigentlich verboten sind, stecke ich es schnell weg und bleibe vor der Tür stehen, die zu unserer Klasse führt. Mein Puls ist völlig ruhig, als ich ohne zu klopfen, einfach eintrete.

Sofort drehen sich die Köpfe aller Schüler in meine Richtung. Ein zufriedenes Grinsen schleicht sich auf meine Lippen: "Hey." "Sie sind zu spät, Miss Grayham", mein bebrillter Lehrer verschränkt die Arme vor der Brust. "Ja, ich weiß", entspannt lasse ich mich auf meinen Platz in der letzten Reihe sinken: "Sorry."

Die anderen müssen sich wirklich bemühen, um nicht augenblicklich loszulachen. "Finden Sie das etwa lustig?", der strenge Blick des Lehrers ist fest auf mich gerichtet. Am liebsten würde ich 'ein wenig' sagen, doch da ich nicht schon wieder nachsitzen will, schüttele hartnäckig den Kopf: "Nein, sowas ist doch nicht lustig." Er kneift seine Augen fest zusammen, sagt aber nichts mehr dazu. Stattdessen dreht er sich einfach wieder zur Tafel zurück und beginnt einige mathematische Gleichungen anzuschreiben.

Ich habe gerade begonnen meine Bücher auszupacken, da fällt erneut mein Name. "Haben Sie nicht Lust an die Tafel zu kommen und mal ein bisschen vorzurechnen, Miss Grayham", langsam hebe ich den Kopf und starre am Lehrer vorbei auf die Tafel.

Die Zahlen und Buchstaben an der Tafel sind mir zwar nicht unverständlich, doch richtige Lust vor der ganzen Klasse zu rechnen, habe ich auf keinen Fall. "Nein, heute eher nicht", ich sinke ein wenig in mich zusammen.

Unser Lehrer, Mister Gererra, schenkt mir nur ein leises Lachen und wirft dann ohne Vorwarnung die Kreide durch den Raum auf mich zu. Dass das eine Aufforderung ist, an die Tafel zu gehen, ist mir sofort klar. Deshalb fange ich das weiße Stück lieber auf und stehe ächzend auf. Bei dem habe ich es mir jetzt endgültig verspaßt. Der nächste Elternsprechtag wird sicher nicht lustig.

Regelrecht spüre ich die Blicke der anderen brennend an mir. Unangenehm ist mir sowas normalerweise nicht, aber nach vorne gehe ich trotzdem nicht gerne. Die Chance etwas falsch zu machen, ist plötzlich unangenehm hoch geworden.

Nachdem ich meine Aufgaben mehr oder weniger gut hinbekommen habe, darf ich mich endlich wieder setzen. Erleichtert atme ich auf und beeile mich, um endlich wieder an meinen Platz zu gelangen. Na toll, schon am ersten Schultag vorgeführt. Das sieht mir mal wieder ähnlich.

"Nachdem wir unsere Mathekenntnisse nach den Ferien jetzt endlich wieder reaktiviert haben, kommen wir jetzt mal zu unseren neuen Schülern", verkündet uns Mister Gererra.

In diesem Moment erinnere ich mich wieder daran, dass die Schule nach der Katastrophe im letzten Jahr darauf bestanden hat, fünf Normalos aus der Stadt Stipendien zu verleihen, damit auch sie die Chance auf eine bessere Bildung bekommen.

Dieser Zug mag für viele zwar wahnsinnig großzügig wirken, doch ich weiß es besser. Die Stipendien wurden nicht nur verliehen, weil man gütig sein will. Das liegt den Leitern dieser Schule fern. Sie wollen einfach nur ihren Ruf, der im letzten Jahr beschädigt wurde, wieder reinwaschen.

"Können Ihr bitte anfangen euch vorzustellen", er macht eine überschwängliche Handbewegung. Sofort bemerke ich die fünf Neuen. Schließlich stecken sie heraus wie bunte Hunde. Als keiner von ihnen aufsteht, um der Forderung nachzugehen, hebt er eine seiner blonden Augenbrauen: "Gut, wenn keiner von ihnen es freiwillig macht, werde ich euch der Reihe nach aufrufen." Die Unsicherheit der Fünf, steht ihnen ins Gesicht geschrieben. "Miss Alici, fangen Sie bitte an", fordert er weiter.

Ein Mädchen mit braunen Haaren erhebt sich von ihrem Platz in der zweiten Reihe. Leider kann ich ihr Gesicht nicht sehen, doch ihr Körper hat eine, zugegebenermaßen, schöne Form. Die Stimme der Angesprochenen ist sanft, doch schüchtern wirkt sie nicht: "Äh ... okay ... mein Name ist Isabelle und ich lebe mit meiner Familie in Queens. Ich habe eine kleine Schwester, die aber nicht auf diese Schule geht, und fahre mit meiner Familie in den Ferien meistens an den Strand." Scheinbar fällt ihr nichts mehr ein, denn sie verstummt und sieht unseren Lehrer fragend an. Dieser schenkt ihr ein freundliches Lächeln: "Großartig. Mister Flynn, würden Sie bitte auch etwas über sich erzählen?"

Sobald ein dunkelhaariger Junge aufsteht und von sich zu erzählen beginnt, driftet meine Konzentration ab. Warum sollte ich mir das anhören? Mit diesen Leuten werde ich sowieso später nichts mehr zu tun haben und selbst wenn, interessiert es mich nicht, ob sie Geschwister haben und woher sie kommen.

East Kids - Tessa & Elijah | ✔️Donde viven las historias. Descúbrelo ahora