Kapitel 56

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Elijah

An die Außenwand des Schulgebäudes gelehnt, warte ich. Worauf ich genau warte, ist mir selbst nicht klar. Denn obwohl ich eigentlich auf mein eigenes Date für diese Ballnacht warte, hoffe ich innerlich Tessa irgendwo zu sehen. Und während das eigentlich schon dem Mädchen, das ich eingeladen habe, und auch Tessa gegenüber fies genug ist, will ich innerlich, dass Tessa doch kein Date hat oder versetzt wurde, sodass ich ein springen kann.

So sollte ich eigentlich nicht denken und wollte es auch nie, weshalb mein Motto eigentlich immer 'Eine Nacht und keine Gefühle' war, doch bei Tessa ist es anders und wenn ich daran denke mit ihr hier sein zu können, ist es mir plötzlich egal, wen ich verletzte und ob ich meinen Leitspruch in den Sand setze. Sie ist anders und hat es tatsächlich geschafft vom neuen ungeliebten Familienmitglied zu einer Person zu werden, die mir etwas bedeutet und für die ich alles aufgeben würde.

Ich rolle mit den Augen. Das klingt alles viel zu schnulzig. Der alte Elijah kotzen müssen, wenn einer seiner Freunde so geschwafelt hätte und wahrscheinlich würde der Neue das auch noch tun, aber wenn ich selbst so spreche, ist das was ganz anderes. Schließlich bin ich ein Romantiker!

Zwar hat Tessa mir nicht gesagt, mit wem sie ausgeht – kann man aber auch verstehen, wenn man weiß was für ein Arschloch ich war – doch das werde ich auch alleine irgendwie rausfinden. Denn auch wenn es lächerlich klingen mag, habe ich in dieser Schule Macht – wenn man das so nennen kann – und kann es jederzeit selbst herausfinden.

"Elijah", ertönt plötzlich eine schrille Stimme zu meiner Rechten und ich wende meinen Kopf in die entsprechende Richtung. Dass es nicht Tessa sein wird, ist mir klar, doch was ich sehe erschreckt mich.

"Äh, hi ... ", beginne ich, höre dann aber lieber auf zu sprechen, als ich bemerke, dass ich den Namen des aufgedonnerten Mädchens gar nicht mehr weiß und ihn vielleicht nie wusste. Sie trägt ein kurzes, pinkes Kleid, in dem sie fast aussieht, wie eine Zuckerwatte, sowie hohe Schuhe in der gleichen Farbe, auf denen sich die meisten normalen Menschen sicher die Füße brechen würden.

Zwar stört mich kurze Kleidung wirklich nicht – besonders nicht bei meiner lieben Stiefschwester -, aber bei diesem Mädchen sieht es einfach nur lächerlich und viel zu zwanghaft gewollt aus.

Ins Gesicht hat sie sich etwa eine Tonne Make-up geklatscht, was an sich ja in einigen wenigen Fällen noch gar keine totale Sünde ist. Die Farben hat sie jedoch auf ihr Kleid abgestimmt, was dafür sorgt, dass sie aussieht, als wäre sie in einen pinken Farbeimer gefallen. Jedenfalls sehe ich das so. Ihr rotes Haar beißt sich mit dem Ganzen dann auch noch so sehr, dass ich mir Tessa nur noch mehr an ihre Stelle wünsche.

Aber jemand anderes musste ja schneller sein – ich hätte sie selbst sicher auch nicht gefragt, sondern einfach darauf gehofft, dass sie keinen findet, sodass ich mich als Notlösung anbieten könnte – und dann hat sie mich auch noch den Rest der Woche ignoriert. War ja klar, dass ich mal wieder alles vermassele und jetzt hat sie einen neuen Typen, der ihr irgendwie zu gefallen scheint, obwohl ich immer noch hoffe, dass das Ganze zwischen den beiden in einer einmaligen Nacht sein Ende findet. Doch selbst der Gedanke tut höllisch weh. Sie soll nur mir gehören und wenn ich sie nicht kriege, soll sie auch kein anderer bekommen.

"Ich kann es nicht glauben, dass du mich wirklich gefragt hast, ob ich mit dir auf den Ball gehe", sie sieht so begeistert aus, dass ich mich fast übergeben muss. "Ich auch nicht", gebe ich ohne Hemmungen zu.

Als sie das hört, wandern ihre Mundwinkel erst nach unten und sie versucht verzweifelt mir einen Hundeblick zu schenken, doch als ich nicht darauf reagiere, setzt sie wieder ein Lächeln auf und sieht fast wieder so aus, wie vor meinen Worten. Tessa hätte mir bei sowas erst mal richtig den Marsch geblasen, aber mein Date scheint das nicht zu stören. Dies sorgt nur noch mehr dafür, dass ich mich wirklich beherrschen muss, um nicht mit den Augen zu rollen.

Mädchen, die einem hinterherlaufen und alles einfach hinnehmen, was ich sage oder tue, mögen zwar hin und wieder eine einfache Ablenkung für eine Nacht sein, aber auf Dauer nervt das wirklich und sie ist wohl eine besonders schlimme Kandidatin.

Vor einigen Stunden habe ich mich tatsächliche gefragt, ob ich nicht hingehen und riskieren soll Tessa mit diesem Kerl hingehen zu lassen oder die Schule an diesem Abend besuchen und die Erstbeste darum bitten soll mein Date zu sein. Nun ist mir klar, dass ich die falsche Entscheidung getroffen habe.

Sicher hätte es mich innerlich zerrissen zu wissen, dass das Mädchen, welches ich eigentlich haben möchte, mit jemand anderem tanzt und wer weiß was sonst noch tut. Dafür hätte ich aber nicht den ganzen Abend von irgendeiner Tusse voll quatschen lassen und müsste nicht dabei zu sehen, wie mein Mädchen ohne mich Spaß hat.

In diesem Moment spüre ich, wie die Eifersucht besonders stark hoch kommt und Wut in mir hervorruft. Schnell versuche ich allerdings tief durchzuatmen und mich darauf zu konzentrieren, dass sie am Ende sowieso mir gehören wird. Schließlich kann kein Mädchen meinem Charme wirklich lange widerstehen. Das sehe ich ja täglich.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie mich die Rothaarige erwartungsvoll anblickt und sehe sie fragend an: "Ist was?" "Hast du mir vielleicht zufällig irgendwas mitgebracht?", sie klimpert mit den Wimpern, während sie scheinbar versucht mir irgendwas zu verklickern. Die Antwort lautet eigentlich 'Nein', doch um ihr nur für einige Minuten zu entkommen – schließlich hat sie noch den Rest des Abends Zeit mich zu nerven, während ich Tessas kleinen Freund nur jetzt einschüchtern kann – gebe ich eine andere Antwort: "Äh, klar. Leider liegen die Blumen, die ich für dich besorgt habe noch im Auto. Ich gehe sie eben holen, während du schon mal reingehst und mir einen Drink holst, ja Süße!" Während ich spreche, verändere ich meine Stimme so, dass auch ihr klar sein sollte, dass das der letzte Teil keine nett gemeinter Vorschlag war.

Ohne auf eine Antwort von ihr zu warten, begebe ich mich in Richtung Parkplatz, um den Anschein zu erwecken, dass ich tatsächlich zum Auto gehe. Eigentlich will ich aber weiterhin nach Tessa suchen, zumal ich auch keine Blumen besitze.

Um allerdings nicht mit völlig leeren Händen wieder zu kommen, reiße ich einen kleinen Strauß gelber Blumen aus dem Beet, das den Weg zu unserer Schule säumt. Diese hängen ein wenig schlaff in meiner Hand herum, doch für die Ansprüche der Rothaarigen sollen sie reichen.

In Gedanken höre ich Tessas spöttischen Kommentar zu meinen Gedanken: "Das wird ihr wohl reichen, wenn sie sich dazu bereit erklärt hat, mit dir auf ein Date zu gehen." Der Gedanke wie sie das zu mir sagt, bringt mich zum Grinsen. Genau sowas würde sie sagen. Gleichzeitig entsteht auch ein leichtes Stechen in meinem Herzen. Sie würde sicher niemals mit mir ausgehen und das nicht, weil ich ihr Stiefbruder bin, sondern weil sie mich nicht mag und auf Leute hinuntersieht, die sich mit mir einlassen. Trotzdem ist das diese Hoffnung, die weiterhin tief in mir schlummert. Schließlich habe ich von ihr in der Vergangenheit das Gleiche gedacht und meine Meinung geändert.

Als ich mich wieder auf die Welt um mich herum konzentriere, sehe ich etwas, was mir die Sprache verschlägt. Nur wenige Meter von mir entfernt steht das Mädchen, das mich seit Wochen nicht mehr loslassen will. Allerdings hält sie mit Jake Shaffer, einem Footballspieler aus der Schulmannschaft, Händchen.

Augenblicklich kochen Wut und Eifersucht erneut in mir hoch und ich spüre, wie sich meine Hand so fest um die Blumenstängel schlingt, dass sie leicht zermatschen. Das kann doch nicht wahr sein.

Ich schaue zu wie sie sich voneinander lösen und wie sie dann verschwindet und sehe genau das als meine Chance.

Hemmungslos gehe ich auf diesen Typen zu und spreche ihn an: "Hey." "Hey, du bist doch Elijah, oder? Nett dich kennenzulernen", erwidert er mit einem charmanten und viel zu freundlichen Lächeln. Darauf gehe ich allerdings nicht ein: "Ja, der bin ich und du wirst mich noch besser kennenlernen, wenn du mit Tessa heute irgendwo anders Spaß hast als auf der Tanzfläche. Haben wir uns da verstanden?" Diesem Typen zu drohen fühlt sich auf eine besondere Weise gut an. "Was ist denn los, Bro?", er hebt eine seiner blonden Augenbrauen und sieht mich perplex an. "Ich bin nicht dein Bro und wenn du dich nicht an das hältst, was ich sage, wird das hier kein schöner Abend für dich. Also lass gefälligst die Finger von ihr, sonst wird dir das später noch leidtun", ich schenke ihm einen letzten Todesblick, bevor ich mich mit einer schlimmen Wut im Bauch wieder auf den Weg ins Schulgebäude mache und ihn alleine stehen lasse.

East Kids - Tessa & Elijah | ✔️Where stories live. Discover now