Kapitel 20

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Tessa

Mir rutscht mein Herz in die Hose, als ich Jil im Flur unserer Wohnung entdecke. Es muss angefangen haben zu regnen, da ihre Kleidung völlig durchnässt sich. Sie ist so klitschnass, dass sich bereits einige Tropfen auf unserem Parkettboden ansammeln.

Ihre Augen sind total rot und aufgequollen, als hätte sie geweint. Langsam gehe ich auf sie zu, während sie mich einfach weiterhin wortlos anstarrt. Jils Lippe zittert, wodurch sie auf mich nur noch verletzlicher wirkt.

"Was ist los?", frage ich. Meine Stimme ist warm und sanft, fast so als würde ich mit einem Kleinkind oder einem Welpen sprechen. Vorsichtig nehme ich erst ihre rechte und dann ihre linke Hand in meine. Sofort fühle ich, dass sie ihre Hand fest umklammert in ihrer zitternden Hand hält, als würde ihr Leben daran hängen.

Sie öffnet den Mund einen Spalt breit und kurz denke ich, dass sie etwas sagen würde, dann schließt sie ihn wieder und sieht mich für einige Sekunden mit großen Augen einfach nur an. Dann, ohne dass ich sagen kann, wie oder wieso es passiert, beginnt sie wässrig zu werden und eine stille Träne rollt ihre Wange hinunter. Doch sie ist nur der Vorbote des Wasserfalles, der noch folgen wird.

Von der einen Sekunde auf die andere beginnt sie erneut zu schluchzen und noch fester zu zittern. Tränen rollen ihr mehr Tränen über die Wangen, während ihr ganzer Körper sich verkrampft.

Automatisch nehme ich ihr das Handy aus der Hand, stecke es in meine Hosentasche und ziehe sie in meine Arme. Der Wunsch ihr zu helfen pocht schmerzhaft in meinem Kopf, doch ich weiß gar nicht was los ist. Am liebsten würde ich sie fest schütteln und sie so dazu bringen mir zu sagen, was los ist, doch das wäre wohl das Gefühlloseste, was man in so einer Situation tun könnte. Deshalb halte ich sie einfach nur im Arm und versuche ihr dabei zu helfen sich zu beruhigen. In diesem Moment will ich ihr einfach nur Schutz bieten und ihr zeigen, dass alles okay ist, obwohl es das für sie wahrscheinlich ganz und gar nicht ist.

Nach einigen Minuten, in denen wir einfach nur im Flur gestanden und einander fest gehalten haben, hebt sie ihren Kopf wieder von mir, mittlerweile fast feuchten, Schulter und sieht mich an: "Kann ich heute hier bleiben?" Sanft streiche ich ihr eine ihrer nassen Strähnen aus dem Gesicht und betrachte sie für einen Moment.

Seit ich sie kenne, habe ich sie noch nie so aufgewühlt gesehen. Ihre Augen scheinen alle Hoffnung verloren zu haben und wirken stattdessen nur noch trostlos und vor Traurigkeit triefend. Mit einem Daumen wische ich ihr eine kleine Träne weg und nicke ohne überhaupt darüber nachzudenken: "Natürlich, du weißt, dass dir die Türen dieses Hauses immer offen stehen." "Aber was ist mit deiner Mom?", ihre Stimme klingt unsicher und gebrochen. "Ich werde mit ihr reden und im Notfall auch diskutieren, aber sie kennt und mag dich", das ist die Wahrheit. Schon als ich Jil vor vielen Jahren zum ersten Mal mit nach Hause gebracht habe, hat meine Mutter gesagt, dass sie gerne öfter kommen kann. "Danke", Jil versucht mir ein Lächeln zu schenken, doch es wirkt viel eher wie eine Grimasse.

"Komm, wir gehen mal lieber hoch. Dann kann ich dir mal ein paar frische Sachen heraussuchen. Wenn du noch länger in den nassen Sachen rumläufst, erkältest du dich", zwar sind wir gerade kurz vorm Herbstanfang, doch ich will nicht diejenige sein, die Schuld ist, wenn sie am Ende krank ist. Schließlich schafft sie es meistens auch im Hochsommer sich eine Erkältung einzufangen. Wie sie das nur schafft.

Sie nickt dieses Mal nur und watschelt mir dann anschließend hinterher, als ich die Treppe hinauf steige. Zwar brennt mir die Frage, was eigentlich los ist, unter den Fingernägeln, doch das wird wohl warten müssen. Denn auf keinen Fall will ich sie zu etwas zwingen. Wir werden dann darüber reden, wenn sie von alleine dazu bereit ist. Und wenn das nicht heute ist, dann ist es eben nicht heute. Vielleicht ist das nicht mal morgen, nächste Woche oder nächsten Monat, doch das ist egal. Wenn sie selbst dazu bereit ist sich mir anzuvertrauen, werde ich da sein und zuhören. Und in der ganzen Zeit, die sie davor brauchen mag, werde ich einfach nur für sie da sein und ihr einen Ort geben, an dem sie sich nicht erklären muss.

East Kids - Tessa & Elijah | ✔️Where stories live. Discover now