Kapitel 6

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Elijah

"Dad?", rufe ich durch das ganze Haus, in der Erwartung aus irgendeinem Raum das gewohnte Brummen wahr zu nehmen, dass mir zeigen soll, dass er mich gehört hat. Allerdings ertönt zu meiner Verwunderung ein: "Wenn du was willst, musst du herkommen." "Warum?", rufe ich erneut und versuche herauszufinden aus welcher Richtung seine Stimme an meine Ohren dringt. "Weil ich nicht durchs ganze Haus schreien will", brüllt nun auch er. Die Ironie seiner Worte scheint ihm wohl nicht aufgefallen zu sein.

Glücklicherweise kann ich die Richtung, in der er sich befinden mag, nun relativ gut einschätzen. Mit dem Handy in der Hand bleibe ich vor seiner Zimmertür stehen und klopfe an: "Kann ich reinkommen?" "Klar, ich hab doch gesagt, dass du herkommen sollst", ertönt die männliche Stimme meines Vaters von drinnen.

Kurz überlege ich ihn daran zu erinnern, dass er sowas nicht zu voreilig sagen sollte, weil es echt lange gedauert hat das Bild meines Vaters auf einer nackten Frau wieder aus meinem Kopf zu löschen, doch dann lasse ich es. Trotzdem zähle ich vorsichtshalber innerlich noch einmal bis Zehn, um ihm wenigstens die Möglichkeit zu geben, sich schnell etwas anzuziehen.

Umso überraschter bin ich, als ich die Tür nach wenigen Sekunden öffne und meinen Dad vor dem Spiegel wiederfinde. Er hat sich merklich in Schale geworfen. Nur sein braun-blondes Haar, welches meinem Dunkelbraunen in keinster Weise ähnlich ist, ist so verwuschelt wie immer. Fast könnte man denken, dass es sein Markenzeichen wäre.

"Wow, hab ich was verpasst?", frage ich überrumpelt und lasse mich auf sein Bett fallen: "Vielleicht eine Party für Singles ab sechzig plus?" Ganz genau sehe ich seinen leicht säuerlichen Gesichtsausdruck im Spiegel und seine Augen, die in meine Richtung wandern.

"Erstens solltest du mal besser in Mathe aufpassen, mein Sohn, denn dann wüsstest du, dass ich für diese Partys noch zu jung wäre", fast klingt er wie ein verantwortungsvoller Fünfzehnjähriger, der seinen Freunden erklärt, warum er noch nicht mit in die angesagten Clubs kommen kann: "Und zweitens ist heute Elternabend. Da kann ich nicht in T-Shirt und kurzer Hose auftauchen."

"Aber im zweitausend Dollar Anzug oder was?", skeptisch mustere ich den schwarzen Anzug und die dazu passende Fliege: "Das ist ein Elternabend und kein Tinderdate." "Das weiß ich", nun dreht er sich zu mir herum: "Außerdem würde ich so niemals bei einem Date auftauchen." "Aber auf einem Elternabend", grinse ich und lasse mich in seine Kissen sinken, um seinem vorwurfsvollen Blick auszuweichen: "Du versuchst dich aber nicht schon wieder an eine der Single Moms ran zu machen oder? Das lief letztes Mal schon nicht gut. Außerdem bekommst du so nur die alte Assistentin unseres Direktors ab." "Darin brauchst du mich nicht immer wieder zu erinnern", er streicht seine dunkle Anzugjacke glatt: "Ich will einfach nur einen guten Eindruck machen. Solltest du auch mal versuchen."

Ich werfe ihm einen beleidigten Blick zu. "Was wolltest du eigentlich?", nun lässt er sich neben mich in die Kissen sinken. "Ich wollte nur sagen, dass ich Freitag vielleicht auf die Party von jemanden aus der Stufe gehen werde", erkläre ich kurz. "Fragst du mich gerade auf eine merkwürdige Weise, ob du hin darfst oder teilst du es mir nur mit, ohne um Erlaubnis zu fragen?", bohrt er nach.

"Eigentlich war es nur eine Info", ich beiße mir auf die Unterlippe. "Nehmen wir an, dass ich diese Info so hinnehme, wessen Party wäre es dann?", springt er auf diesen Zug auf. "Ist mir doch egal, wer der Veranstalter ist", ich zucke gelangweilt mit den Schultern. Jedes Jahr veranstaltet irgendwer eine Party zum Beginn des Schuljahres und nie interessiert es mich, wer sie veranstaltet. Warum sollte ich also in diesem Jahr darauf achten.

"Hey, ich will nur wissen, wo ich dich abholen soll, wenn die Nachbarn mal wieder die Polizei rufen. Mehr nicht", tut mein Vater gespielt uninteressiert. Allerdings weiß ich genau, dass es ihm wichtig ist, zu wissen, wo ich hin gehe. Ich bin die einzige Familie, die er noch hat, nachdem Mom einfach verschwunden ist. Er will mich einfach nicht verlieren.

Also seufze ich ergiebig und beginne die Nachricht noch einmal durchzulesen, um nach dem Ort zu suchen. " 991 5th Avenue", lese ich vor, schenke dem Namen des Absenders aber immer noch keine Aufmerksamkeit. Schließlich gehe ich nicht wegen dieser Person hin, sondern erscheinen nur wegen meinen Freunden und des gratis Alkohols.

"Ist das nicht gleich nebenan?", harkt mein Vater ein weiteres Mal nach. Um seinen weiteren Fragen auszuweichen, werfe ich einen Blick auf meine Armbanduhr:"Solltest du dich nicht eigentlich weiter fertig machen? Die Single Ladys warten auf dich."

Aus Angst, dass er einen Hausschuh nach mir wirft, wenn ich ihn noch weiter piesacke, stehe ich nun wieder von seinem Bett auf und mache mir auf den Weg zur Tür.

Doch gerade als ich einen Fuß in den Flur gesetzt habe und mich in Sicherheit zu wiegen beginne, folgt noch ein Kommentar: "Denk am Freitag aber an die Kondome. Du wärst ein mieser Vater!"

Kurz will ich stehen bleiben und darauf kontern, belasse es dann allerdings dabei. Schließlich ist mein Dad schon sehr locker und zeigt viel Verständnis für mich. Würde ich ihn jetzt an Moms eigene frühe Schwangerschaft und die Tatsache, dass er sie deshalb erst verlassen wollte, erinnern, würde ich mich später dafür selbst hassen.

East Kids - Tessa & Elijah | ✔️Where stories live. Discover now