Kapitel 61

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Tessa

Gerade noch über den angenehm kühlen Flur gelaufen, schlägt mir plötzlich ein Schwall stickiger Luft entgegen, als ich die Tür zur Turnhalle aufschließe. Fast alles ist so wie ich es verlassen habe. Während vereinzelt Schüler herumsitzen oder kleine, stehende Menschentrauben gebildet haben, befinden sich die meisten auf der Tanzfläche und bewegen sich zu der Musik.

Die einzige Person, die mich in diesem Szenario allerdings interessiert ist Jake. Wenn ich mich nämlich nicht wenigstens verabschieden würde, wäre ihm das gegenüber nicht fair und außerdem würde ich mich selbst schrecklich mies fühlen.

Ich drängele mich, so gut es geht, durch die Menschen und achte dabei nicht auf die zornigen Blicke, mit denen einige mir begegnen. Den Mut etwas zu sagen, habe sie ja sowieso nicht. Jake finde ich jedoch nicht. Ich hätte erwartet, dass er mit seinen Teamkollegen etwas trinkt oder mit ihnen spricht. Aber das Gegenteil scheint der Fall zu sein.

Also ziehe ich mein Handy aus der Handtasche, auch wenn es mir nicht lieb ist, und suche nach Jakes Nummer. Glücklicherweise hat er sie mir gegeben. Andernfalls wäre ich in diesem Moment wirklich aufgeschmissen.

Schnell tippe ich mit meinen Daumen auf der Tastatur herum und versuche Erklärung und Entschuldigung so miteinander zu verbinden, dass man die Lüge gar nicht bemerkt. Wirklich gut gelingt mir das aber nicht wirklich.

Hey Jake, da ich dich gerade nicht finden kann, schreibe ich dir jetzt, obwohl ich lieber persönlich mit dir gesprochen hätte. Jedenfalls wollte ich dir nur schnell sagen, dass ich dringend nach Hause muss. Meine Mutter meinte, dass irgendwas ist und ich kann sie nicht hängen lassen.
Hoffentlich verzeihst du mir das,
xoxo Tessa

Normalerweise schreibe ich niemals so lange Nachrichten, doch gerade jetzt fällt es mir irgendwie schwer mich kurz zu fassen. Zwar beginnt mein Herz schneller zu schlagen, wenn ich daran denke mit Elijah von hier zu verschwinden und für den Rest des Abends Zeit mit ihm zu verbringen, doch gleichzeitig fühlt es sich meinem wirklichen Date gegenüber nicht fair an. Hätte ich gewusst, dass sowas heute passieren würde, hätte ich niemals 'ja' gesagt und wäre stattdessen mit der Person hier aufgetaucht, die ich wirklich mag und für die ich etwas empfinde. Leider hatte ich die Gelegenheit die Fähigkeit in die Zukunft sehen zu lernen noch nicht.

Schlagartig wird mir bewusst, dass dies der erste Tag ist, an dem ich wirklich zu einem Jungen gesagt habe, dass ich ihn liebe und dann auch noch zu Elijah. Vorher habe ich so etwas nicht einmal gedacht. Wie kommt es also dazu, dass ich mir diese Gedanken auf einmal erlaube?

Mein Smartphone lasse ich behände wieder in meine Tasche zurückgleiten und mache mich dann auf den Weg zum Eingang, um wenige Sekunden später erneut durch den Hauptflur zu laufen. Für meinen Geschmack bin ich diesen Weg heute schon viel zu oft abgelaufen.

Plötzlich denke ich keine Sekunden mehr an Jake und bin dabei ganz bei Elijah und mir selbst. Alleine mit seinen Worten hat er es geschafft mich dazu zu bringen es mit ihm in einem Klassenzimmer zum ersten Mal zu treiben.

Zugegebenermaßen ist es nicht so, dass ich es noch nie an ungewöhnlichen Orten getan habe, doch die Schule ist definitiv am verwerflichsten. Und zudem ist er der Erste, bei dem ich wirkliche Gefühle hatte und bei dem es mir nicht teilweise egal war, wer vor mir steht. Ich wollte jede Sekunde mit ihm auskosten.

"Da bist du ja wieder", ertönt Elijahs tiefe, raue Stimme und ich hebe den Blick. Elijah hat, zu wieder komplett bekleidet, gegen die blauen Spinde gelehnt und sieht mich amüsiert an: "Hat ganz schön lange gedauert. Hoffentlich hattest du nicht noch einen weiteren Liebhaber, den du beglücken solltest." Ich werfe ihm einen teils geschockten und, teils wütenden Blick zu. Was denkt der denn von mir?

Zwar ist diese Befürchtung nicht komplett unbegründet, doch sowas würde ich ihm niemals antun. "Warum sollte ich das tun?", ich schenke ihm einen festen Blick, der vor Ernsthaftigkeit nur so strotzt: "Ich liebe dich und deshalb gibt es für mich gar keinen Grund dazu sowas zu machen."

Er hebt sofort abwehrend die Hände, grinst mich allerdings gewinnend an. Diese Geste sorgt in meinem Inneren für eine Erkenntnis:"Du wolltest nur, dass ich das sage, oder?" "Ich kann es nicht oft genug hören", er stößt sich von den Schränken ab und kommt langsam auf mich zu, bis er bei mir angekommen ist.

"War ja klar", necke ich ihn leicht und binde seine Krawatte locker. Dass er es nicht selbst konnte, verrät mir, dass es wirklich sein Vater gemacht haben muss. "Wohin gehen wir jetzt?", versuche ich ein paar Informationen aus ihm heraus zu quetschen.

"Lenkst du etwa vom Thema ab?", neckt er mich spitzbübisch. Ich beiße mir kurz sanft auf die Unterlippe, nicke dann aber selbstsicher: "Ja." Daraufhin rollt er sofort mit den Augen:"Gut, das akzeptiere ich heute einmal, aber sonst kannst du dich nicht davor drücken mir zu sagen, wie toll du mich findest." "Das muss ein Witz sein. Ich werde dein Ego, nämlich noch zusätzlich pushen. Du bist schon selbstverliebt genug", erst klinge ich ernst, doch je mehr ich rede, desto klarer wird, dass ich nur scherze. "Moi?", fragt er und setzt den Unschuldsblick auf.

"Also, was hast du noch mit mir vor?", ich ziehe ihn sanft am Ärmel, als ich mich wieder in Bewegung setze. "So einiges", er folgt mir bereitwillig: "Aber heute steht nur noch eine Sache auf meine To-Do-Liste." "Du hast eine Liste?", grinse ich.

Der Gedanke daran, dass er darüber nachgedacht hat, was er mit mir tun könnte, gefällt mir irgendwie, und zusätzlich lässt es mich denken, dass ich schon seit Längerem in seinem Kopf herumschwirre.

"Natürlich", er sieht mich gespielt empört an: "Du etwa nicht?" "Nein", kontere ich frech. "Dann wird es ja mal Zeit", tadelt er mich mit einem aufgesetzten tadelnden Gesichtsausdruck. Nun bin ich an der Reihe mit den Augen zu rollen: "Ich bin eben spontan."

Mit diesen Worten stoße ich die Ausgangstüren auf und spaziere mit Elijah im Schlepptau nach draußen. Der Ausblick auf den Rest dieser, bereits hereingebrochenen, Nacht, lässt mein Herz einen Satz machen.

East Kids - Tessa & Elijah | ✔️Where stories live. Discover now