Kapitel 22

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Tessa

Ich stolpere die letzten Treppenstufen hinunter und stehe augenblicklich meiner Mutter gegenüber. Sie hat die Arme vor der Brust verschränkt und schenkt mir einen Blick, den ich nicht ganz einordnen kann. Er ähnelt der Art, auf die sie mich ansieht, wenn sie mal wieder sieht, dass ein neuer Typ in meinem Zimmer ist, doch dieses Mal ist es nicht nur das. Stattdessen schwingt auch ein wenig Unsicherheit darin mit. Das sehe ich nicht oft bei ihr. Sonst ist sie die Selbstsicherheit in Person.

"Hast du mir irgendwas zu sagen?", sie deutet auf Jils nasse Jacke, die am Kleiderhaken hängt. Ich schlucke. Wie soll ich ihr das nur erklären?

"Ja, ich weiß aber nicht, wie ich es erklären soll", sage ich ehrlich. "Fang am besten einfach damit an, zu erklären, welchen Gast wir hier in unserem Haus haben", schlägt sie vor. "Es ist Jil", ich beiße mir auf die Lippe. "Jil?", fragt sie nochmal nach: "Wie ist es denn dazu gekommen?" "So genau kann ich das auch nicht beschreiben", sage ich vorsichtig. "Versuch es bitte einfach", sanft legt sie mir eine Hand auf die Schulter. "Was genau mit ihr los ist, weiß ich nicht, aber vor etwa einer halben Stunde ist sie hier aufgetaucht. Mit völlig tränenüberströmtem Gesicht. Sie war total fertig und hat gefragt, ob sie für heute hier bleiben kann."

Sorge flackert in ihren Augen auf: "Und was hast du gesagt?" "Ich hab gesagt, dass sie immer hier bleiben kann, wenn sie das will", verunsichert sehe ich sie an.

Normalerweise habe ich genug Selbstvertrauen, um zu meinen Entscheidungen zu stehen, doch in diesem Moment habe ich keine Ahnung wie meine Mutter reagieren wird. Ich habe einfach Angst, dass sie Jil verbietet hier zu bleiben und sie zu ihren Eltern zurückschickt. Das würde ich meiner besten Freundin nicht antun wollen. Es ist zwar nicht so, dass sie schlimme Eltern hat, aber heute schien irgendwas bei ihr zu Hause nicht richtig zu laufen. Sonst hätte sie nicht gefragt, ob sie für heute hier bleiben könnte. Dann wäre sie einfach nach Hause gegangen.

Sie seufzt nachdenklich und starrt mich mit festem Blick an. Fast könnte man denken, dass mir ins Gesicht geschrieben steht, was sie darauf antworten soll. Auch sie wirkt in dieser Situation völlig ratlos. Wir beide wollen dem Mädchen helfen, wissen aber auch nicht, was los ist und, was wir für sie tun können. Das nennt man wohl die berühmte Zwickmühle.

"Na gut", sie atmet tief durch: "Für heute kann sie hier bleiben, aber ich muss ihre Eltern anrufe und sagen, dass sie heute hier schläft. Außerdem wäre es schön, wenn du versuchen würdest noch ein bisschen mehr herauszufinden. Ich würde ihr auch gerne helfen."

Ein freudiges Grinsen schleicht sich auf meine Lippen: "Danke, Mom. Ich weiß das wirklich zu schätzen." "Komm mal her", sie breitet ihre Arme ein Stück aus und fordert mich still zu einer Umarmung auf: "Tut mir leid, dass ich dir nicht vorher gesagt habe, dass ich mit Cole zusammen ziehen möchte. Ich hätte dich vorwarnen sollen." "Ja, das hättest du vielleicht machen sollen", ich lasse mich auf die Umarmung ein: "Aber mir tut es leid auch, dass ich so reagiert habe. Ich hätte dem Ganzen eine Chance geben müssen. Elijah kenne ich aber leider schon länger und wir haben uns bisher noch nie verstanden." Sie antwortet nicht, doch sie muss es nicht sagen. Ich weiß selbst, dass ihr diese Äußerung nicht gefällt. Schließlich wünscht sie sich so sehr eine intakte Familie, die sie endlich einmal glücklich macht. Ich stehe dem total im Weg.

East Kids - Tessa & Elijah | ✔️Where stories live. Discover now