Kapitel 35

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Tessa

"Halt mal die Luft an", verlangt meine Mutter, als sie versucht den Reißverschluss des weißen Kleides zu schließen, in das sie mich seit Minuten zu zwängen versucht. Dass es vielleicht zu eng sein könnte, scheint ihr bisher noch nicht in den Sinn gekommen zu sein.

Dass ich mich für die Party schick machen muss, war mir schon im Voraus klar. Daran, dass sie das übernehmen will, habe ich aber leider nicht gedacht.

"Es passt nicht", widerspreche ich nun, während ich mir die müden Augen reibe. Ich habe in dieser Nacht fast gar nicht geschlafen. Warum es mir so geht, weiß ich nicht, aber ich versuche mir darüber auch keine Gedanken darüber zu machen. Wenn ich darüber zu viel nachdenke, werde ich unsicher und das kann ich mir einfach nicht leisten.

"Doch, es passt und wenn es das nicht tut, dann mache ich es halt passend", leider kann sie im Spiegel sehen, dass ich just in diesem Moment mit den Augen rolle. "Kann ich nicht einfach was anderes anziehen?", frage ich und versuche mich absichtlich dick zu machen, damit es erst recht nicht passt. Auf diesen weißen Fummeln, der bei gefühlt jeder Bewegung irgendwo aufzureißen droht, habe ich echt wenig Lust.

"Nein, Tessa, keine Diskussionen", ich hasse diesen Satz: "Damit machst du einen guten Eindruck. Außerdem war es teuer." "Das sind doch alle Sachen, die du kaufst", merke ich an und halte die Luft an, sodass sie es doch irgendwie schafft den Reißverschluss des Kleides zuzuziehen. Ich spüre, wie mir im ersten Moment die Luft wegbleibt.

Sobald sie mich endlich fertig angezogen hat, betrachtet sie mich im Spiegel. Ihr Blick ist zufrieden. Ich finde mich allerdings nur schrecklich. Zwar ist der Ausschnitt am Rücken ganz okay, doch der Rock – sowas gehört üblicherweise zu einem Kleid dazu – ist einfach viel zu bauschig. Die weiße Farbe gefällt zwar, doch irgendwie fühle ich mich wie in einem viel zu kurzen Hochzeitskleid.

Als sie zufrieden zu sein scheint, wendet sie sich meinen Haaren zu. Von meinem Schreibtisch nimmt sie ausgerechnet, die am meisten weh tut – als würde sie mich absichtlich quälen wollen – und beginnt mein dunkles Haar zu kämen. "Aua, Mom", beschwere ich mich, als sie einen festen Zopf zu binden beginnt, der nebenbei gesagt auch noch viel zu hoch ist. Warum muss mir ihre Verzweiflung anzusehen sein? Ich bin in diesem Moment sowas wie die Braut der Verzweiflung und das sorgt in meinem Inneren für Unbehagen. Normalerweise bin ich meistens ziemlich selbstbewusst – ist ja kein Geheimnis -, aber das hier ist mir gerade echt peinlich. Ich fühle mich total unwohl.

"Mom, ich möchte das echt nicht anziehen", versuche ich sie erneut zu überreden mir das nicht aufzuzwingen. "Tessa, sei doch bitte einmal nicht so stur und mach was ich sage", ihr Ton ist streng: "Das ist mir echt wichtig."

Ich seufze und entscheide mich tatsächlich dazu nicht weiter zu diskutieren. Allerdings nicht ihretwegen. Ich weiß einfach nur, dass er Tag generell schlimm werden wird und sie wird es mir nicht angenehmer machen, wenn ich mich jetzt verdrücke.

"Gute Entscheidung", kommentiert sie mich, bevor ich überhaupt etwas gesagt habe: "Bitte verhalte dich heute gut. Keine Streite mit den Baxters oder sonst irgendwem. Und besonders keine Flirts. Ich dulde keine Beziehung zwischen irgendwelchen entfernten Familienmitgliedern meines Freundes." Ich lege den Kopf schief und will etwas sagen, doch bisher ich überhaupt den Mund öffnen kann, unterbricht sie mich. "Ich will dich morgen unter keinen Umständen mit dem Cousin von Elijah im Bett erwischen", warnt sich mich, bevor sie ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer stürmt. Ungläubig starre ich ihr hinterher.

Wie kommt sie auf so einen Gedanken? Ich unterbreche meinen Gedankengang sofort selbst. Wenn ich genau darüber nachdenke, wäre es wirklich etwas, was man ihm zutrauen könnte. Obwohl ich an sowas bisher noch gar keinen Gedanken verschwendet habe. Nun stelle ich mir selbst die Frage, ob ich soweit gehen würde. Schließlich ist Elijah selbst bald vielleicht mein Halbbruder. Würde ich also wirklich etwas mit seinem Cousin oder sonst wem anfangen, der mit ihm verwandt ist?

Am liebsten würde ich mich in diesem Moment einfach nur aufs Bett schmeißen und allem entfliehen, was momentan um mich herum geschieht. Allerdings bringt meine Mutter mich sicher um, wenn ich das Kleid zerknitterte. Also bleibe ich einfach vor dem Spiegel stehen und sehe mich weiterhin und zufrieden an. Wenn es schon so anfängt, kann der Rest des Tages nur schrecklich werden.

East Kids - Tessa & Elijah | ✔️Hikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin