Kapitel 32

8.9K 298 64
                                    

Tessa

Als Elijah seine Beine auf meinen Oberschenkeln ablegt, bleibt mir kurz die Luft weg. Das hat er nicht wirklich getan!

"Runter!", fauche ich regelrecht. Für seine Spielchen habe ich jetzt echt nicht genug Geduld. "Nein", entgegnet er, genauso knapp angebunden wie ich selbst.

Ich sehe ihn ernst an und versuche ihm so zu verdeutlichen, dass er sich endlich mal seinem Alter entsprechend benehmen soll, doch er starrt einfach nur gebannt auf den Fernseher. Fast kommt es mir so vor, dass er glaubt, ich würde verschwinden, wenn man mich nur lange genug ignoriert.

Er zappt durch die Filme und Serien, die sich auf meiner Merkliste befinden. Bei einigen Serien bleibt er stehen und teilt mir seine Meinung dazu mit.

"Pretty Little Liars?", sein Ton ist abschätzig. Sofort kann ich mir denken, was als Nächstes kommt. "Ist das nicht voll die langweilige Mädchenserie", spricht er augenblicklich das aus, was ich von ihm erwartet habe. "Nein, ist es nicht", widerspreche ich prompt und versuche erneut die Fernbedienung zu ergattern, scheitere allerdings kläglich.

Auch "The Vampire Diaries" und "Gossip Girl" müssen sich seiner Kritik beugen, bis er bei einer ganz bestimmten Serie hängen bleibt. Sofort färben sich meine Wangen knallrot, während sein rechter Mundwinkel zufrieden in die Höhe wandert. Warum hatte ich da nicht dran gedacht?

Das pinke Thumbnail der Serie, die ich nur dann sehe, wenn ich alleine bin, taucht riesig auf dem Fernseher auf. Wahrscheinlich hätte dieses ihm nicht verraten, was der Inhalt ist. Das scheint nämlich schon der Titel übernehmen zu wollen, der dem Leser geradeso zuschreit, dass die Serie sich um das Leben eines Callgirls dreht.

"Dass ich es hinzugefügt habe, heißt nicht, dass ich mir das auch ansehe", lüge ich ihm direkt ins Gesicht: "Und jetzt gib endlich die verdammte Fernsteuerung her."

"Na gut", er reicht mir tatsächlich den geforderten Gegenstand. Erst bin ich von seinem plötzlichen guten Benehmen überrascht und starre perplex auf die Steuerung, nehme sie dann aber und schaue meine Bibliothek durch. Dabei versuche ich sein dümmliches Grinsen zu ignorieren.

Nach einiger Zeit entscheide ich mich für einen Marvel Film, den ich zugegebenermaßen gar nicht so schlecht finde. "Du musst das nicht nehmen, weil du denkst, dass ich es sehen will", meldet sich allerdings sofort Elijah zu Wort. Das überrascht mich ziemlich, weshalb ich ihm einen fragenden Blick zu werfen. Sein zufriedenes Grinsen ist verschwunden und wurde durch einen Gesichtsausdruck ersetzt, den ich nicht ganz deuten kann. "Das tue ich nicht", widerspreche ich und lege die Fernbedienung auf den Tisch: "Warum ist es so abwegig, dass ich auch solche Filme mag?" "Keine Ahnung, weil ... ", setzt er an, doch ich will seine Antwort gar nicht hören. "Nur weil ich ein Mädchen bin, heißt das nicht automatisch, dass ich die 'Sex and the City' – Filme auf und ab schaue. Auch Mädchen können Superhelden mögen."

Nun ist er ziemlich sprachlos, was mir augenblicklich ein Gefühl der Macht verschafft. Erst schaut er zu Boden und scheint zu überlegen, was er nun sagen soll, und hebt dann den Kopf: "Du hast recht. Tut mir leid." Seine Worte und dieser zerknirschte Ton, den er aufgesetzt hat, verwundern mich. Dass er mir recht geben und sich sogar noch entschuldigen würde, hätte ich wirklich nicht gedacht.

"Schon gut", sage ich deshalb und fragt mich, warum auch ich plötzlich so nett bin. Fühle ich mich etwa schlecht, weil ich ihm meine Meinung gesagt habe? Sonst mache ich doch auch Leute zur Schnecke und fühle mich danach nicht schlecht – ich weiß, nicht meine beste Qualität. Was ist also plötzlich mit mir los?

Um möglichst schnell einer peinlichen Stille aus dem Weg zu gehen, schiebe ich seine Beine von mir runter und springt regelrecht vom Sofa auf: "Ich sollte mal Mom und Cole holen gehen." Das ist die beste Ausrede, die mir gerade einfällt, um zu verschwinden.

Zwar setzt er zu seinem kurzen "Warte" an, doch ich habe mich schon auf den Weg zu Moms Schlafzimmer gemacht. Allerdings werfe ich ihm noch ein "Ich kann mal schauen, ob wir Popcorn haben" zu, bevor ich an die Tür meiner Mutter klopfe.

Es dauert einige Sekunden, bis das gewohnte "Komm rein, Tessa" folgt. Woher sie immer weiß, dass ich es bin, ist mir ein Rätsel. Auf ihre Aufforderung hin, öffne ich die Tür, stecke allerdings nur meinen Kopf hindurch.

Cole liegt auf dem Bett und tippt auf seinem Handy herum, während meine Mutter sich, mit skeptischem Blick, im Spiegel betrachtet. Ich komme ich darum herum mit den Augen zu rollen. Das ist mal wieder so typisch für meine Mutter. Es ist doch egal, wie sie aussieht, bevor sie ins Bett geht. Und wenn ich das sage, bedeutet das wirklich viel.

"Kommt ihr? Wir haben uns schon einen Film ausgesucht", bitte ich und sage extra 'uns', damit meine Mutter nicht schon wieder herummeckert und mir vorwirft, dass wir immer nur das schauen, was ich will. Das stimmt nämlich nicht. Meistens benutzt sie das nur immer als Begründung, um die Nachrichten oder 'Desperate Housewives' sehen zu können.

"Gib mir noch eine Sekunde", verlangt meine Mutter ohne mich anzusehen. Ich muss ein Seufzen unterdrücken. Meistens verpasst sie sowieso immer die Hälfte des Filmes, aber wenn sie an diesem "Familien" Filmabend nicht dabei sein muss, will ich auch nicht.

"Ich komm direkt mit", Cole legt sein Handy weg und erhebt sich dann schwungvoll: "Aber erst sollten wir noch schauen, ob deine Mutter irgendwelche guten Süßigkeiten hat." Diese kindliche Seite von Cole gefällt mir. Er ist ganz anders als meine Mutter. Nicht so verbissen, sondern locker und offen. Das vermisse ich manchmal bei meiner Mutter. Sie soll nicht immer Zeit damit verschwenden ihre Macken auszubessern und sie lieber einfach akzeptieren.

"Wir haben, wenn ich es nicht doch schon aufgegessen habe, Popcorn", erkläre ich. "Großartig", erwidert Cole und zieht mich regelrecht mit sich in die Küche. Sofort steckt mich seine gute Laune ein wenig an. Vielleicht wird es ja gar nicht so schlimm wie gedacht.

Das Kapitel habe ich aus Langeweile während meiner zwei Freistunden geschrieben. Bald haben wir übrigens schon die 5K Reads erreicht. Das ist so krass. Ich liebe euch!

East Kids - Tessa & Elijah | ✔️Where stories live. Discover now