Kapitel 15

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Tessa

"Tessa, sie sind da", verkündet meine Mutter so fröhlich, dass ich mir bereits denken kann, dass sie vor sich hin lächelt wie ein Affe auf Drogen. Zwar brumme ich etwas, hebe meinen Blick allerdings nicht von dem Handy in meinen Händen.

Vor etwa einer halben Stunde hat Jil mich angerufen und unter Tränen irgendwas davon erzählt, dass jeder sie hassen wird. Während dieses Telefonates bin ich kaum zu Wort gekommen und habe auch nicht richtig verstanden, wovon sie spricht. Genau das versuche ich jetzt herauszufinden. Allerdings antwortet Jil gerade auf keine meiner Fragen, was mich fast um den Verstand bringt. Sie klang echt fertig und ich mache mir wirklich große Sorgen um sie. Am liebsten würde ich einfach aus dem Restaurant zu stürmen, ein Taxi rufen und zu ihr fahren. Sie ist das Einzige woran ich gerade denken kann. Wenn sie mir nur endlich sagen würde, wovor sie scheinbar so eine große Angst hat, könnte ich sie ihr nehmen. Doch jetzt gerade ist erst mal meine Mutter dran.

Als ich ihr nicht antworte, nimmt sie mir einfach kurzerhand mein Handy weg: "Mom, das ist nicht fair. Ich brauche mein Handy echt dringend." Sie reagiert, in dem sie ihre rechte Augenbraue in die Höhe wandern lässt. "Bitte, du verstehst das nicht", versuche ich ihr die Bedeutsamkeit meines Handelns klar zu machen: "Es geht um Leben und Tod." "Tessa!", beginnt sie mit einem scharfen Tonfall, der mich, ihr gegenüber gleich viel kleiner erscheinen lässt: "Das sagst du immer und am Ende geht es nur um die nächste Shoppingtour mit Thalia." "Dieses Mal ist es aber wirklich wichtig", beharre ich. "Wenn wir wieder zu Hause sind, kannst du gerne stur sein, aber nicht jetzt", ermahnt sie mich: "Mir ist es wirklich wichtig einen guten Eindruck zu machen und dafür musst du mit spielen." "Warum sollte ich?", zische ich wütend. "Weil du dein Handy sonst nicht wieder bekommst", mit diesen Worten lässt sie mein Smartphone in ihrer rechten Manteltasche verschwinden.

Am liebsten würde ich darauf etwas erwidern, ihr sagen, dass ich das nicht so einfach mit mir machen lasse, doch der Anblick des Jungen neben Cole bringt mich völlig aus der Fassung. Regelrecht kann ich spüren wie mir die Kinnlade herunterfällt. Oh mein Gott! Ich muss wirklich all meine Beherrschung aufbringen, um nicht laut zu fluchen.

Dort, neben dem neuen Freund meiner Mutter, steht Elijah Baxter. Lang verhasster Klassenkamerad, beliebtester Junge der Schule und Womanizer. Er trägt ein Hemd – niemals hätte ich vermutet, dass er sowas besitzt – und eine schwarze Jeans, die viel eher nach etwas aussieht, was er tragen würde. Allerdings sitzt sie heute nicht so tief, dass man glaubt, sie möge jeden Moment von seinen Hüften rutschen. Stattdessen trägt er sogar einen schwarzen Ledergürtel. Auch sein dunkles Haar fällt ihm heute zur Abwechslung mal nicht in die Augen. Stattdessen scheint er es irgendwie nach hinten gekämmt zu haben. Dieser neue Look lässt ihn fast wie einen neuen Menschen wirken. Ich weiß allerdings genau, dass er sein Innerstes niemals so drastisch ändern würde. Dafür mag er sich selbst viel zu sehr.

Kurz wandert mein Blick zu Cole, der meine Mutter ebenso glücklich anstarrt, wie sie ihn. Die Gesichtsausdrücke von ihren Kindern scheinen beide völlig auszublenden oder einfach nur nicht zu beachten.

Erst als ich auch Cole betrachte, wird mir klar, warum ich niemals gedacht hätte, dass das sein Sohn sein könnte. Im Gegensatz zu Elijah sind seine Haare viel heller und auch in der Augenfarbe unterscheiden sich beide gänzlich. Coles Augen sind strahlend blau und sanft, während die seines Sohnes grün und unaufrichtig sind. Scheinbar kommt Elijah mehr nach seiner Mutter.

"M-Mom, mir ist schlecht", ist das Einzige, was ich heraus zu bringen imstande bin. Kurz starrt sie mich an, hat aber keine Zeit mehr irgendwas zu sagen, denn just in diesem Moment kommen beide gemeinsam zu uns rüber. Obwohl man, wenn man genau hinschaut, eher meinen könnte, dass Cole seinen Sohn regelrecht mit sich schleift. Der stand bis gerade nämlich noch wie angewurzelt da und hat mich angestarrt.

Cole schenkt mir ein merkwürdiges Lächeln, was nur dafür sorgt, dass ich mich wie ein Kleinkind fühle, dem man beizubringen versucht, dass das Lieblingskuscheltier leider in der Wäsche verschwunden ist. "Schön, dass du auch mit gekommen bist", sagt er freundlich: "Dann habt ihr auch mal die Möglichkeit euch kennenzulernen."

Meiner Mom zu liebe setze ich ein Lächeln auf und nicke. Sagen kann ich allerdings nicht, denn dann würde ich ihm sicher auf eine, nicht gerade vornehme, Art erklären, dass ich schon mal das Vergnügen hatte Elijah kennenzulernen und das nicht gerne wiederholen würde.

Würde ich das aber machen, würde meine Mutter mit mir allerdings nie wieder ein Wort sprechen, sobald wir ins Auto steigen. Deshalb halte ich mich lieber zurück und nicke einfach nur.

"Elijah, das ist Tessa", stellt er seinem Sohn mich vor, als er merkt, dass ich nicht vorhabe irgendwas zu sagen: "Und Tessa, das ist mein Sohn Elijah." "Das weiß ich leider schon, Dad", kommt es sofort von ihm.

Reflexartig schicke ich ihm einen Todesblick. Er scheint gar nicht vorzuhaben sich für seinen Vater gut zu benehmen, was mich dazu bringt, ihn noch mehr zu hassen.

Zwar kann ich von mir auch nicht behaupten, dass ich erfreut darüber bin, dass er ausgerechnet Coles Sohn ist, aber ändern lässt sich das nun auch nicht mehr. Aber man kann sich seine Kinder ja auch nicht aussuchen.

"Ach, stimmt. Ihr geht ja auf die gleiche Schule", erinnern sich beide Eltern gleichzeitig. "Ja, wir gehen in eine Klasse", meine Laune sinkt in den Keller.

Hatte ich nicht gesagt, dass ich meine Mutter unterstützen werde? Momentan ist diese Entscheidung dabei wie die Titanic unterzugehen. Denn wenn ich noch eine Minute mit diesem unerträglichen Jungen verbringen muss, werde ich wahrscheinlich verrückt. Zwar versuche ich mich wirklich, mich für meine Mutter zusammen zu reißen, aber Elijah bringt mich echt an meine Grenzen. Wie schafft es überhaupt jemand seine Anwesenheit zu ertragen, ohne schreiend aus dem Raum zu rennen! Wenn der irgendwann mein Stiefbruder wird, ziehe ich aus.

East Kids - Tessa & Elijah | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt