69. Haltsuchend

1.4K 126 6
                                    




Sloan Dewayne

Wir waren einmal zehn, wenn wir zusammen waren. Unzertrennlich und trotz Streitereien irgendwie füreinander da. Und nun sitzen nur noch sieben hier. Dallas und Keaton sind unauffindbar. Corey wird operiert. Wegen innerer Verletzungen. Wegen einer Eisenstange die auf ihn eingeschlagen wurde. Wegen einer Verletzung die Keaton wahrmachen wollte. Neue Übelkeit steigt in mir auf, aber ich schlucke sie wie all die anderen Male runter, während ich zu dem wippenden Bein von Caleb schaue, der neben seinem Vater sitzt. Jarrett wurde kontaktiert. Jarrett kam sofort. Jarrett hat geweint.

Ich habe ihn noch nie weinen sehen.

Dann hat er gefragt was das soll. Was wir darüber wissen. Ob wir was damit zutun hätten. Als ob wir jemanden provoziert hätten, damit sie so eine Scheiße abziehen. Aber das haben wir nicht. Sie haben es alle nicht ... ich vielleicht schon. Was ist wenn Keaton nicht so weg ist, wie es eigentlich der Fall sein sollte? Was ist, wenn er mir nun so sehr wehtun möchte, in dem er all den anderen wehtut? Wenn er so wütend auf uns alle ist, weil ... weil ich nicht mehr bei ihm bin und sie mir geholfen haben?

Ich habe bereits versucht meinen Vater in der Entzugsklinik zu erreichen, aber dort ging nur der Anrufbeantworter dran, der meinte, dass es gerade keine Zeit ist Anrufe entgegenzunehmen.

Meine Augen sind bereits geschwollen und sie brennen so sehr, dass ich sie nur noch schließen kann. Mein Kopf ruht auf Calebs Schulter, sein Arm ist um die meine geschlungen.

Trotzdessen das ich seinen Körper spüre, fühle ich mich einsam. Schuldig. So unfassbar schuldig, dass es mich von innen heraus auffrisst. Das es mich verschlingt und ich am liebsten einfach meine Augen schließen möchte, damit sie erst gar nicht wieder geöffnet werden können.

Aber ich öffne sie. Ich öffne sie, als ein Schatten an uns vorbeizieht und Jarrett das Wartezimmer verlässt. Ich öffne sie, als jeder andere hier sie öffnet und wir uns alle gleichermaßen beschissen anschauen. "Hat Corey was sagen können?" Diese Frage stammt mit kratzender Stimme von Willow, die Heavens Hand umschließt. Val sitzt auf Zacks Schoß, welcher ihr immer wieder beruhigend über den Rücken streicht. Und Heaven hat ihren Kopf gegen Anthonys Schulter gelehnt, der seinen Arm um sie geschlungen hat, aber ebenso Willows Schulter beruhigend berührt.

Lediglich Chastity sitzt stumm etwas abgelegener und ich frage mich ehrlich was für eine Rolle sie hier spielt.

"Nein, er war nicht ansprechbar."

Sie bemerkt meinen Blick und hebt ihren Kopf trotzend an. "Was machst du hier?" Ich achte nicht auf Höflichkeiten und die anderen korrigieren mich auch nicht weiter. "Ich habe ihn gefunden." Meine Stirn legt sich in Falten. "Wo?"

"Vor dem alten Schrottplatz. Ich war joggen." Meine Augen gleiten über die Sportkleidung, allerdings komme ich nicht umhin mich ernsthaft zu fragen, was sie in solch einer Gegend alleine gemacht hat. "Du hast ihm vielleicht das Leben gerettet, Chas." Ihre Augen werden glasig, als Caleb sich aufrichtet und sie anschaut. Er hat noch nie so sanft mit ihr gesprochen. Sie nickt es einfach ab, während mir durch den Kopf gleitet, wie Corey sie erst noch beleidigt hatte. Sie als Aspens Schlampe betitelt hat. Sie hätte ihn auch einfach liegen lassen können. Sie hätte nie einen Krankenwagen rufen müssen.

"Ich glaube wir denken alle das Gleiche, oder?" Zacks Stimme klingt merkwürdig hohl, als er sein Kinn auf Vals Kopf stützt. "Was habt ihr mit Keaton gemacht?" Traue ich mich zu fragen und zum ersten Mal habe ich nicht das Gefühl, gleich abgewiesen zu werden. Sie wollen es uns erzählen, sie wollen es uns erklären, damit wir unsere eigenen Schlüsse daraus ziehen können, ob er es nun gewesen sein kann oder nicht. Allerdings kommt mein Onkel in diesem Moment wieder zurück und schüttelt auf unsere fordernden Blicke den Kopf. Es gibt nichts Neues. Es gibt keine Neuigkeiten, die uns in Sicherheit um sein Leben wiegen wird.

Mir wird kalt.

"Ich brauche frische Luft." Murmle ich leiernd und stehe langsam von meinem Platz auf, um rauszugehen. Schritte ertönen hinter mir, sobald sich die Glastüren aufschieben und ich hindurch gehe. Sobald ich mein Kinn der untergehenden Sonne hinstrecke. Sobald ich meine Finger in mein Haar grabe und so tief Luft hole, dass ich das Zittern jedes einzelnen Momentes in mir spüre. Das ich meine Augen öffne, der Straße entgegen blicke und ... einem Handy.

Ich folge der Hand, dem Stoff der Jacke, bis hin zu dem blassen Gesicht. Chastity schaut mich nicht an, aber ich nehme ihr Handy ebenso wenig ohne Erklärung. "Er blockiert nur deine Anrufe. Ruf ihn von meinem Handy aus an und sage ihm was passiert ist." Ich habe kaum Worte über, wie ich es finden soll, dass er mich ignoriert, mit jedem anderen – mit ihr – in Kontakt steht, mich aber ... abweist. Letztendlich ist es mir jedoch egal, denn als sie ihre Augen auf mich heftet, kann ich für einen Moment eine gewisse Sanftheit darin erkennen. Und eine Entschlossenheit. "Du brauchst ihn gerade und er wird auch immer für dich da sein. Er wird dir irgendwann erklären, warum er dich gerade nicht zu sich durchlässt." Irgendwann. Da ist wieder dieses Irgendwann, dass ich zu hassen lerne.

Meine Finger schließen sich um das Handy, wodurch sie sich wieder umdreht und ins Innere des Krankenhauses verschwindet. Ich glaube kaum, dass wir beide wieder Freundinnen werden können, aber ich rechne ihr all das so unfassbar hoch an, dass sie mein krächzendes Danke noch gehört haben muss.

Sie besitzt keinen Code, sodass ich seinen Kontakt schnell ausfindig und anrufen kann. Ich hänge ungeduldig in der Leitung und mir stechen allein bei dem Gedanken an seine Stimme und an Coreys Zustand die Tränen in meine Augen.

"Chas ich habe dir gesagt, dass ich keine Zeit –"

"Ich bins." Sein donnernder Ton verstummt augenblicklich, während ich mit meinen Fingern über meine Stirn streiche und Abdrücke von meinen Nägeln hinterlasse, damit ich nicht zu weinen beginne. Nicht jetzt schon. "Also Sloan. Ich ... ich bins." Meine Stimme bricht zum Ende, sodass ich die Luft anhalte und nicht weiß was schlimmer ist. Die Stille die sich ausbreitet, das Wissen das er meinen rasselnden Atem hört oder das Wissen das er gleich eine so simple Frage stellen wird, die mich zusammenbrechen lässt.

Die ich nicht hören möchte.

Denn ich möchte nicht darüber reden.

Ich kann nicht. Bereits nun tanzen schwarze Flecken vor meinem Auge und verzerren die ganze Wirklichkeit.

"Kannst du–" Ich breche ab, als meine Kehle sich so schmerzhaft zusammenzieht. Es ist meine Schuld. Meine. "Es ist soweit." Murmle ich stattdessen, denke an all die Momente als ich darauf wartete auseinander zufallen. Aber ich dachte ich tue es aus einem so anderen Grund.

"Ich – Corey, er–" Die Worte fallen aus meinem Mund wie Überreste meines Verstandes. Ich kann nicht denken, ich kann nicht atmen. Da ist nur Angst, Schmerz, Wut, Trauer. Da ist nur dieser Sturm der mich zusammenfallen lässt, wie ein Kartenhaus.

"Beruhige dich, Prinzessin." Im Gegensatz zu mir ist er ruhig. Er zwingt sich selbst dazu. Für mich. Das Auge des Sturmes und er lässt mich mit seinen Worte zusammen atmen. Einmal. Dann noch einmal. "Jetzt oder später?" Eine so leise Frage, die mich bereits in seine Nähe hüllt. Eine so einfache Frage, die mich für diesen Moment weniger einsam – weniger schuldig fühlen lässt. "Später." Hauche ich krächzend und umfasse das Handy noch fester, um mich daran zu halten.

Um mich an etwas zu halten. Irgendwas und wenn es jetzt gerade nur seine Stimme ist.

Ich möchte und ich muss hier sein, wenn Coreys OP fertig ist. Ich muss hier sein, wenn er aufwacht. Ich muss einfach. Meine Gedanken überschlagen sich derartig, dass mir schwindelig wird und ich auf meinen Beinen kaum mehr einen Halt finden kann. Das ich bemerke wie meine Welt für einen Moment ins Schwanken gerät. "Okay Prinzessin. Atme. Du wirst damit fertig. Du wirst mit allem fertig, wenn du stark genug bist. Für dich und für die anderen, verstanden?" Er weiß nicht einmal worum es wirklich geht und doch findet er Worte die passen – Worte die er aufgrund von meinem Gestammel herausgefiltert hat.

"Verstanden." Hauche ich und atme und breche nicht zusammen.

Nicht für diesen Moment.

It hurts me. Deep. In my heart.

Wenn wir schweigenWhere stories live. Discover now