624 Stunden

2.4K 355 38
                                    

Seit fast zwei Wochen ist Harry nun weg und ich kann mit Verlaub sagen, dass meine Laune nicht tiefer im Keller hätte sein können. Ich vermisse ihn, vermisse es neben ihm zu schlafen und vermisse es ihn einfach nur anzusehen. Zwar Telefonieren wir oft, aber das ist einfach nicht das Gleiche und auch ist es deutlich weniger geworden, da Harry schon wieder durch Amerika fliegt und einen vollen Terminplaner hat. Und wenn er doch mal kurz zehn Minuten Zeit hat, bin ich meistens so müde, dass ich fast einschlafe, weil es bei uns mitten in der Nacht ist.
Es nervt und ich zähle schon die Tage, bis wir uns endlich wieder sehen.

Fröstelnd ziehe ich mir an diesem Mittwochmorgen meinen Schal etwas enger. Gestern hat es geschneit und heute Nacht sind die Temperaturen stark in den Minusbereich gefallen. Zudem ist es dauerhaft dunkel und man könnte meinen, dass sich das Wetter an meine Stimmung anpasst.
Warum ich vorhin die glorreiche Idee hatte, zu Fuß zur Arbeit zu gehen und nicht mit dem Auto oder einem Taxi zu fahren, weiß der Geier. Ich hatte schon einmal bessere Ideen und als ich um die nächste Ecke biege, eine Windböe genau in mein Gesicht pfeift und es sich anfühlt, als wenn sich ein Nagelkissen mit voll Karacho in meine Haut bohrt, spiele ich kurz mit dem Gedanken mich einfach krank zu melden.
Leider kann ich das meiner Mutter nicht antun und so komme ich eine Viertelstunde später als Eiszapfen im Büro an, überglücklich, dass ich Unterwegs nicht einfach eingefroren bin.
"Louis!".
Genervt schließe ich kurz meine Augen, drehe mich dann um und erblicke meine Mutter, die eilig auf mich zu kommt. "Ich bin so froh dich zu - warte...bis du etwa gelaufen? Bist du Irre? Willst du dich umbringen?".
Ich reibe meine Hände aneinander und führe diese zu meinem Mund, damit ich sie ein bisschen wärmen kann, indem ich hineinpuste. Doch es scheint sinnlos. Warum auch Handschuhe anziehen bei den Temperaturen? Tomlinson, du bist echt ein Vollidiot.
"Was gibt es Mom?". Ich versuche nicht allzu genervt zu klingen, aber ich möchte ehrlich gesagt nichts sehnlicher als einen heißen Kaffee, damit meine Hände und mein Inneres endlich wieder auftauen.
"Wieso trägst du keine Mütze?". Augenrollend verschränke ich meine Arme vor der Brust und sehe sie auffordernd an. "Mom", dränge ich und denke an den Haufen Arbeit, der auf meinem Schreibtisch liegt.
Meine Mutter rollt ebenfalls ihre Augen, seufzt dann einmal und drückt mir eine Mappe in die Hand.
"Du musst Lydia vertreten. Sie hat sich krankgemeldet und eines unserer Models braucht dringend eine Begleitung. Ich würde es ja selbst machen, aber ich hätte doch lieber einen Mann dabei."
Stirnrunzelnd sehe ich auf die Mappe und erkenne sofort den Grund.
"Wir sollten nicht mehr mit ihm arbeiten", brumme ich genervt, als ich den Namen des Fotografen erkenne. Jetzt weiß ich auch, warum meine Mutter unbedingt einen Mann dabei haben will.
Carlos Savanto ist ein ekliger, dickbäuchiger Geierlappen. Er kann seine Hände nicht bei sich behalten und auch wenn es nur wie beiläufig aussieht, weiß jeder, dass seine angeblichen Korrekturen in der Haltung, wenn er die Mädels am Hintern anfasst und dadurch in die Richtige Pose schiebt, wirklich nicht sein müssen.
"Wir haben ihn letztes Mal verwarnt. Sollte er noch einmal eines unserer Mädchen unsittlich berühren, wird das fatale Folgen für ihn haben. Beobachte ihn mit Adleraugen, Louis."
Zustimmend nicke ich, auch wenn ich eigentlich wirklich keine Zeit habe. Auf meinem Schreibtisch liegen viel zu viele Aufträge und ich muss ihnen noch passende Models heraussuchen. Zudem muss ich Unmengen an Mails beantworten. Vielleicht mache ich heute ein paar Überstunden.
Ich wende mich zum gehen, als meine Mutter noch einmal meinen Namen ruft. Fragend drehe ich mich zu ihr um, als sie mir ein entschuldigendes Lächeln schenk und auf die Mappe deutet.
"Das Model ist übrigens Jelena".
Gigi. Immerhin ein kleiner Lichtblick an diesem trostlosen Tag.

Zwei Stunden später befinde ich mich in einer stickigen Lagerhalle, meine Augen stets auf den Fotografen gerichtet. Bis jetzt hat er Gigi nur an den Schultern berührt und sie in die richtige Pose geschoben und ich hoffe für ihn, dass das auch so bleibt. Zudem schaue ich immer wieder Gigi an, damit sie mir signalisieren kann, falls sie Unbehagen fühlt.
Als Savanto dann endlich beginnt die Fotos zu knipsen, hole ich mein Handy heraus und schaue auf meinen Nachrichtendienst. Ich habe Harry heute morgen eine Nachricht geschrieben, aber er hat sie noch nicht gelesen. Aber eigentlich ist es auch kein Wunder, denn er wird vermutlich noch schlafen.
Gerade als ich mein Handy wieder weglegen will, beginnt es allerdings zu vibrieren und Harrys Name erscheint auf dem Display. Kurz sehe ich zu Gigi, entferne mich einige Meter, sehr darauf bedacht den Fotografen noch sehen zu können und nehme den Anruf entgegen.
"Hi". - "Hi", kommt es rau und müde aus der Leitung und sofort breitet sich eine angenehme Wärme in mir aus. "Wieso bist du schon wach", möchte ich wissen und sehe erneut zu Gigi, die allerdings kein Problem zu haben scheint. Harry gähnt und ich kann ihn mir bildlich vorstellen, wie er mit verwuschelten Haaren und knautschiger Wange im Bett liegt.
Ich will neben ihm liegen.
"Ich kann nicht schlafen. Ich werde immer wieder wach", gesteht er und gähnt erneut. Kurz ist es still, doch dann vernehme ich ein leises Seufzen. "Du fehlt mir, Love".
Mein Herz wird schwer und ich unterdrücke den Drang sofort loszuheulen. "Du fehlst mir auch".
Auch ich kann nicht richtig schlafen. Ich habe mich viel zu sehr an Harrys Wärme gewöhnt.
"Vier Wochen noch", hauche ich, merke, wie die Sehnsucht Besitz von mir ergreift.
"Es sind noch 26 Tage. 624 Stunden".
Ein leises Lachen kommt über meine Lippen, als ich Harrys Antwort höre. "Du hast wirklich die Stunden ausgerechnet?". Mein Lockenkopf schnaubt. "Ungefähr.... wie gesagt, ich kann nicht richtig Schlafen und habe eine Menge Zeit wenn ich hier wach liege."
Kurz schweigen wir und ich sehe erneut zum Fotografen, der gerade die Linse wechselt.
"Wann musst du heute los?".
„In Vier Stunden. Ich muss für irgendein Parfum eine Fotoreihe machen. Ich lade nachher ein paar Bilder davon auf Instagram hoch, wenn sie es erlauben." Es ist ein unausgesprochenes Hobby, dass ich Harrys Arbeiten auf Instagram verfolge. Ich möchte einfach sehen, was er so macht und außerdem ist seine Arbeit sehr gut.
"Ich-" - "LOUIS!".
Erschrocken drehe ich mich zu Gigi, die dem Fotografen in genau diesem Moment eine saftige Ohrfeige gibt. Sofort steigt die Wut in mir auf und ich mache mich auf den Weg zu den beiden.
"Haz, ich rufe später wieder zurück. Der Fotograf hier hat gerade mein Model begrapscht".

Amor manet.Where stories live. Discover now