Dahergelaufener Fotograf

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Harry regt sich nicht, sieht mich einfach nur an. Mein Magen zieht sich noch mehr zusammen und ich befürchte, dass die Idee vielleicht doch nicht so gut ist. Vermutlich geht es ihm zu schnell, ist zu viel auf einmal.
Doch plötzlich regt sich Harry, schüttelt seinen Kopf und sieht mich mit großen Augen an.
"Du willst nach New York ziehen?".
Unsicher nicke ich und zucke zeitgleich mit meinen Schultern. Hilflos greife ich nach meinem Weinglas, habe den Drang mich irgendwo festzuhalten. "Ich dachte, dass es die einzige Lösung ist."

Ich erzähle ihm von meinem Gespräch mit Liam, mit meiner Mutter und auch was meine Gedanken dazu sind. Immer wieder schüttelt er während meiner Erzählung den Kopf und der Druck um mein Weinglas wird immer fester. Wenn ich nicht aufpasse, zerspringt es noch in meiner Hand. Was, nebenbei bemerkt, eine ziemliche Sauerei anrichten würde, aber das ist in diesem Moment eigentlich nebensächlich.
Als ich dann mit meinen Erzählungen fertig bin, bleibt es ruhig. 
Ich wage es nicht weiterzusprechen und Harry sieht mich einfach nur an, ohne auch nur den geringsten Mucks von sich zu geben.  

"Du würdest einfach dein komplettes Leben aufgeben, nur um zu mir nach Amerika zu kommen?", unterbricht mein Lockenkopf auf einmal die Stille. Seine Stimme dabei leise, fast so, als wenn er unsicher ist. Es nicht glauben kann.
Ich räuspere mich. Muss diesen Kloß in meinem Hals irgendwie loswerden.
"Wie gesagt...diese ständigen Verabschiedungen und die zeitliche Trennung machen mich fertig."
Unsicher trinke ich einen Schluck von meinem Wein, ehe ich Harry erneut in die Augen sehe. "Natürlich ist mir bewusst, dass wir trotzdem das ein oder andere Mal getrennt voneinander sind. Aber es ist ein Unterschied, wenn ich von einem Shooting irgendwo in Europa nach Hause komme und weiß, dass du irgendwo tausende Kilometer entfernt bist, oder ob du zu Hause auf mich wartest und wir die Zeit bis zur nächsten Reise gemeinsam genießen können."

Harrys Mundwinkel zucken. Seine Grübchen erscheinen und mein Herz beginnt schneller zu schlagen. Das ist ein gutes Zeichen. Denke ich.
"Ich...ich bin sprachlos", gesteht er dann und nimmt mir mein Weinglas aus der Hand. Gemeinsam mit seinem eigenen Glas stellt er dieses auf den Tisch und greift anschließend nach meinen Händen. Er verschränkt unsere Finger ineinander, führt unsere Hände zu seinem Mund und küsst meine Fingerknöchel. Wie immer sterbe ich innerlich bei dieser Geste, während mein Puls sich beschleunigt und sich die Enge in meinem Hals und das Drücken in meinem Magen langsam auflöst. 

"Womit habe ich das verdient?", möchte er wissen und schüttelt erneut seinen Kopf, unsere Hände dabei noch immer fest ineinander verflochten. 
Womit er das verdient hat? Soll das ein Witz sein? Ich komme nicht umher leise zu lachen.
"Sun, ich liebe dich. Du hast mir gezeigt, dass ich noch leben kann. Du hast mir gezeigt, dass es noch eine andere Welt, außer die der Arbeit gibt. Also, wenn nicht du es verdient hast, wer dann?".
Mein Lockenkopf neigt seinen Kopf ein wenig, mustert mich, der Druck auf meine Hände fest und warm.
Und dann, dann beginnt er plötzlich zu lachen. Erst nur leise, dann laut und ausgelassen. Ich bin irritiert, kann mir ein Schmunzeln allerdings nicht verkneifen. Was auch immer ihn jetzt zum Lachen bringt, es steckt an.

Es dauert eine Weile, bis er sich wieder beruhigt hat und mich dann einfach in seine Arme zieht. Etwas überrumpelt schlinge ich meine Arme um seinen Nacken, begegne seinem Blick, bevor sein Lachen vollkommen verstummt und er wieder Ernst wird. 
"Weißt du was lustig ist?", möchte er wissen und automatisch schüttele ich meinen Kopf. Liebevoll legt er seine Hand auf meine Wange, lässt sie in meine Haare fahren und sorgt damit für ein angenehmes Prickeln auf meiner Haut.
"Ich hatte genau den gleichen Gedanken. Also nicht, dass du zu mir nach Amerika kommst, sondern dass ich hier her nach London ziehe."

Nun bin ich es, der geschockt aussieht. Er wollte zu mir nach London kommen? Einfach sein Leben aufgeben und hier herziehen? "Aber das ist doch unsinnig", widerspreche ich schnell, beginne ihm erneut zu erklären, dass seine Arbeit doch fast hauptsächlich in Amerika stattfindet, bevor er mich mit einem kurzen Kuss unterbricht und mich für einen Moment komplett aus der Fassung bringt.
"Natürlich wäre es unsinnig", gesteht er und lächelt. "Aber auch ich finde diese Entfernung zwischen uns doof. Auch ich kann diese Trennungen am Flughafen nicht ertragen und natürlich habe auch ich mir Gedanken darüber gemacht."
Erneut küsst er mich, sanft, kurz, aber unglaublich liebevoll.
"Ich wollte dich nicht aus deinem Umfeld reißen. Wollte nicht so egoistisch sein und von dir verlangen zu mir zu kommen."

Egoistisch?
Gott, ich liebe diesen Mann.

"Also ist das jetzt ein Ja?", frage ich grinsend nach und lasse meine Hände aus seinem Nacken verschwinden. Stattdessen lege ich sie gegen seine Brust, spüre dabei seinen Herzschlag. Schnell und stark.
"Wenn du wirklich dein ganzes Leben für einen dahergelaufenen Fotografen ändern willst, dann...oh Louis, dann würde ich mich wirklich sehr freuen."

Und dann treffen endlich unsere Lippen aufeinander und besiegelt damit diese Entscheidung.

Amor manet.Where stories live. Discover now