Sorry, hab es eilig.

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"Hallooooo New York!", rief mein bester Freund, als er aus dem Gebäude des JFK Flughafens herausging und euphorisch seine Arme ausbreitete. Ich gleichen Moment kam er allerdings wieder zu mir gerannt, verschränkte seine Arme vor der Brust und suchte Schutz unter dem kleinen Vordach der Tür.
"Es regnet", murmelte er beleidigt und schaute in den Himmel.
"Auch in New York regnet es, Liam."
"Ja, aber wir machen doch jetzt Urlaub. Da hat es nicht zu regnen".
Seufzend schaute ich auf mein Handy und startete die Navigationsapp. "Bis zum Hotel sind es knapp 30 Kilometer. Damit fällt Laufen wohl flach".
"Du wolltest doch nicht wirklich laufen, oder?"
Schulterzuckend nahm ich meinen Koffer und trat in den Regen. Mir machte Regen nichts aus. Im Gegenteil. Eigentlich fand ich Regen immer gut. Er wirkte irgendwie beruhigend auf mich und ich fand es gemütlich abends am Fenster zu sitzen und hinauszuschauen. Außerdem liebte ich den Geruch des Regens. Gerade im Sommer.
"Komm, da steht ein Taxi!"; rief ich meinem besten Freund zu und hob meine Hand, damit das Taxi auf mich aufmerksam wurde. Der Wagen hielt und gerade als ich die Tür öffnen wollte, wurde ich zur Seite gerempelt und ein Mann zwängte sich an mir vorbei auf den Beifahrersitz.
"Hey!".
"Sorry, hab es eilig!", rief er und knallte mir die Tür vor der Nase zu. Grüne Augen sahen mich durch die geschlossene Scheibe an, zwinkerten mir einmal zu, ehe der Wagen sich in Gang setzte.
Vollkommen perplex starrte ich dem davonfahrenden Taxi hinterher.
"Also höflich sind die Menschen hier schonmal nicht", grummelte Liam und hob erneut die Hand, damit ein weiteres Taxi anhalten würde.
"Der...der hat mir einfach mein Taxi geklaut."
Ich meine, ich hatte doch schon den Türgriff in der Hand. Wie dreist kann man denn eigentlich sein?
Liam zuppelte an meinem Ärmel und deutete auf den Wagen, der nun wieder vor uns gehalten hatte.
Immer noch mies gelaunt stieg ich in das Innere, nachdem der Fahrer unsere Koffer in den Kofferraum getan hatte und nannte ihm unsere Adresse.
" 50 Central Park Street. Ritz-Carlton, bitte."

"Okay, Louis, also entweder muss deine Mutter mich adoptieren, oder ich muss sie heiraten".
Angewidert sah ich meinen besten Freund an. "Bevor du meine Mutter heiratest, friert die Hölle zu".
Liam ließ sich lachend auf das King-Size-Bett fallen und breitete seine Arme aus.
"Diese Suite ist der Wahnsinn".
Gut, ich musste meinem besten Freund Recht geben. Diese Suite war wirklich beeindruckend.
Zwei Schlafzimmer, ein geräumiges Wohnzimmer und ein großer Balkon mit Blick auf den Central Park.
Ich wollte gar nicht wissen, wie teuer eine Nacht hier war, aber meine Mutter meinte, dass ich mich nur hier erholen kann. Meinetwegen hätte auch ein billigeres Hotel gereicht - ach was sage ich da, meinetwegen hätte ich diesen Zwangsurlaub gar nicht gebraucht.

Während Liam freudig den Kleiderschrank einräumte, holte ich meinen Laptop heraus und öffnete meinen E-Mail-Verteiler.
Schnell klickte ich mich durch die ganzen Anfragen und schnappte mir mein Notizbuch, damit ich mir aufschreiben konnte, wen ich von den kommenden Aufträgen zurückrufen würde und wen nicht.
"Louis". Ich hob meinen Blick und sah in das mahnende Gesicht meines besten Freundes. Kopfschüttelnd klappte er meinen Laptop zu und bekam von mir ein empörtes "Ey!".
"Du bist nicht hier zum arbeiten".
"Ich habe doch nur mal kurz-".
"Nichts da! Du weiß was deine Mom gesagt hat. Arbeitsverbot."
Genervt verdrehte ich meine Augen. "Ich weiß nicht was ihr alle habt. Jeder kann mal einen Kreislaufkollaps bekommen. Andere werden aber nicht gleich in Zwangsurlaub geschickt".
Nun verdrehte Liam seine Augen und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Andere würden sich auch freuen, wenn die eigene Mutter eine Reise nach New York springen lässt."
Ja, Andere. Ich arbeite aber gerne und für mich war diese eine Woche in New York reinste Zeitverschwendung. Ich könnte sonst was schaffen in der Zeit.
"Außerdem-", meckerte Liam weiter und ließ sich neben mich auf die Couch fallen. "Außerdem war das  nicht nur ein Kreislaufkollaps und das weißt du ganz genau, Louis."
"Ihr mit eurem blöden Burnout. Ich habe keinen Burnout!".
Wütend sprang ich von der Couch und ging zum großen Fenster. Auch wenn es noch immer regnete, war die Aussicht meiner Meinung nach wirklich wundervoll.
Ein Seufzen ertönte hinter mir und als ich mich wieder zu Liam umdrehte, bekam ich sofort ein schlechtes Gewissen. Ich wollte ihn nicht so anmeckern, aber mir brannte einfach die Sicherung durch. Alle wollten mir unterstellen, dass ich einen Burnout hatte, dass ich zu viel arbeitete und zu wenig für meine Freizeit machte. Aber Arbeit war meine Freizeit.
Ich liebte es.
"Tut mir Leid", gestand ich leise und ließ mich wieder neben Liam nieder. Erneut seufzte mein bester Freund und legte seinen Arm um mich.
"Nimm das alles bitte nicht auf die leichte Schulter. Meine Tante Rosie wollte auch lange nicht wahrhaben, dass sie überarbeitet war und dann hatte sie den Salat. Ein halbes Jahr war sie in der Klinik, Louis. Ein halbes Jahr. Sie konnte gar nichts mehr. Sie war selbst zum essen zu schwach, geschweige denn zum umziehen, oder duschen".
Ich schwieg lieber.
Diskutieren war hier eh zwecklos.
Euphorisch klatschte mein bester Freund dann in die Hände und sprang auf.
"Los, wir erkunden jetzt die Stadt!".

Amor manet.Where stories live. Discover now