Du hast mir wirklich weh getan.

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Schweigend laufen wir an der Seine entlang. Es dämmert bereits, der Himmel ist in ein wundervolles Rot getaucht und eigentlich würde das hier verdammt romantisch sein.
Eigentlich.

Wir holen uns einen Kaffee zum Mitnehmen, suchen uns eine Bank und setzen uns, den Blick auf die Seine. Das Wasser ist ruhig, Schiffe fahren gerade nicht und so genießen wir die Stille, die sich um uns ausbreitet.
So angenehm ist die Stille nach einer Weile dann allerdings nicht mehr. Dieses Schweigen legt sich drückend auf meine Brust und ich weiß genau, dass ich derjenige bin, der den Anfang machen muss.
Ich lege mir die Worte zurecht, doch nach einer gefühlten Ewigkeit beschließe ich, dass es so nicht funktionieren wird. Ich kann mich nicht erklären. Ich weiß ja selbst nicht, was gerade in meinem Kopf los ist.
"Okay", unterbreche ich die Stille und schaue zu Harry, der seinen Becher an die Lippen hält und weiterhin auf das Wasser schaut.
"Ich...darf ich es dir erklären?".
Der Lockenkopf nickt, den Blick weiterhin starr auf das Wasser.
Den Kloß in meinem Hals schlucke ich runter, dann richte auch ich meinen Blick wieder auf die Seine.
"Gut, ich...ich sage es einfach, wie es in meinem Kopf ist. Vielleicht ergibt das keinen Sinn für dich, aber glaube mir, auch für mich ist es verdammt verwirrend."
Tief atme ich durch, dann beginne ich einfach.
"Weißt du, ich war schon immer der Mensch, der viel gearbeitet hat. Schon als Jugendlicher habe ich bei meiner Mutter in der Firma ausgeholfen, selbst in den Ferien war ich dort und habe Erledigungen getätigt. Ich habe mir so ein wenig Taschengeld dazu verdient und es war schnell klar, dass ich nach meinem Studium in die Firma einsteigen werde."
Mein Blick gleitet einmal kurz zu Harry, doch dieser hat sich noch immer nicht bewegt.
"Ich hatte nie wirklich Zeit für eine Beziehung und habe mir auch nie wirklich Gedanken darüber gemacht. Natürlich hatte ich mal welche, doch die hielten meist nicht lange."
Wie viele Diskussionen ich mit meinem Ex hatte, weil ich zu viel arbeitete.
"Ich arbeite gerne und viel und nun...naja...dann kam es halt irgendwann wie es kommen musste. Ich habe die Anzeichen nicht wahrgenommen, habe sie einfach verdrängt und dann...dann kam der Zusammenbruch. Ich bin einfach umgefallen und als ich wieder wach wurde, ging gar nichts mehr. Ich war verdammt schlapp. Zu schlapp, um einfach aufzustehen und mir einen Kaffee zu machen."
Im Großen und Ganzen kennt Harry diese Geschichte schon. Ich habe sie ihm bereits schon in New York erzählt, doch es ist wichtig, dass ich das jetzt erkläre.
"Gegen meinen Willen haben mich Liam und meine Mutter dann nach New York geschickt. Ich wollte nicht, hatte so gar keine Lust auf diesen Urlaub und dann...dann ist da auf einmal dieser Mann."
Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, während mein Blick über das Wasser gleitet.
"Er hat mir einfach mein Taxi geklaut. Zwei Mal. Ich war so wütend und dann...dann war er in dieser Bar und ich wollte ihn einfach nur hassen, aber...es ging nicht. Ich habe noch immer Lücken, was diese Nacht betrifft. Ich weiß nicht mehr alles, aber ich weiß, dass sich danach etwas in mir getan hat."
Erneut schaue ich zu Harry, der nun ebenfalls seinen Blick von der Seine weggedreht hat und mich ansieht.
"Da ist dieser unglaublich hübsche Mann, der mir gezeigt hat, was es heißt, wieder richtig zu leben. Dieser Mann hat Unglaubliches in mir angestellt und...scheiße, ich bin wirklich überfordert damit. Ich wollte das nicht. Wollte mich nicht auf solche Gefühle einlassen und als ich dann wieder nach Hause musste, war es zu spät. Ich habe mich damals in New York in nur einer Woche in diesen Mann verliebt und dieses Geständnis macht mir verdammte Angst."
Ich habe es ausgesprochen.
Habe es mir gerade selbst eingestanden.
Ich bin verliebt.
"Der Gedanke daran, dass ich diesen Mann nicht mehr sehen kann, der macht mich fertig. Ich....ich wollte zu diesem Zeitpunkt vor sechs Monaten einfach weiter machen. Wollte nicht verliebt sein und wollte keinen Liebeskummer. Ich habe gedacht, dass wenn ich diesen Mann ignoriere, dass die Gefühle dann verschwinden und ich habe mir eingeredet, dass es auch geklappt hat. Und dann steht er vorhin vor mir. Einfach so, wie aus dem Nichts und soll ich dir etwas verraten? Nichts hat sich geändert. Die Gefühle sind nicht verschwunden. Ich...ich bin immer noch so schrecklich verliebt und die Tatsache, dass ich diesen Mann mit meinem Verhalten von mir gestoßen habe, ihn damit verletzt habe...das macht mich fertig. Ich...es tut mir so Leid. Ich...ich kann nicht in Worte fassen wie sehr und...scheiße, ich...er...er hatte Recht. Wir hätten es versuchen sollen. Wir hätten schauen sollen, ob es funktioniert, aber stattdessen war ich feige, war egoistisch und habe nur an mich gedacht."
So. Meine wirren Gedanken sind raus.
Ich weiß nicht, was ich will. Ob ich mit Harry zusammen sein will, oder nicht, aber ich weiß, dass dieser Mann mir verdammt viel bedeutet und am liebsten würde ich mich in seine Arme schmeißen. Ich will mich an ihn kuscheln und für immer dort bleiben.
Vielleicht können wir es wirklich schaffen. Vielleicht. Aber...ich kann verstehen, wenn Harry nichts mehr mit mir zu tun haben möchte. Ich habe ihm wirklich verdammt weh getan.

Harry nimmt einen Schluck seines Kaffees und steht auf. Fragend sehe ich ihn an und er nickt in Richtung Straße.
Wir gehen wieder nebeneinander her. Wir schweigen wieder, aber in mir prickelt es vor Neugier, aber auch vor Angst, was er zu sagen hat.
Wir gehen immer weiter und mittlerweile ist es Dunkel.
Meine Lederschuhe klackern auf dem Asphalt und ich wünsche mir, dass ich diesen dummen Anzug bald ausziehen kann. Er ist unbequem und mir wird allmählich kalt.
Als wir bei dem Eifelturm ankommen, bleiben wir stehen. Mein Blick gleitet nach Oben, ich betrachte diesen großen Haufen Stahl und unweigerlich frage ich mich, was alle an diesem Klotz so schön finden.
"Du hast mir wirklich weh getan", haucht Harry auf einmal und ich zucke zusammen.
Mein Blick liegt sofort wieder auf ihm, mustert ihn und ich kann seinen Blick absolut nicht deuten.
Sein Blick ist so unergründlich wie die Tiefen des Ozeans und es könnte gleich einfach alles passieren.
"Nicht nur für dich war das alles Überraschend. Auch ich habe nicht damit gerechnet in einer Bar, bei einem gemütlichen Männerabend mit meinem besten Freund, einen Mann zu treffen, der mir im wahrsten Sinne des Wortes den Verstand raubt. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich diesem Mann von Sekunde Eins an verfallen bin und noch weniger habe ich damit gerechnet, dass ich mich verlieben werde."
Mein Herz beginnt schneller zu schlagen und am liebsten möchte ich seine Hand nehmen, möchte ihn an mich ziehen, aber ich reiße mich zusammen.
Ich sehe ihn an, beobachte ihn dabei, wie er seinen Blick nach oben richtet, den Eifelturm anschaut. Plötzlich lacht er auf, schüttelt seinen Kopf.
"Ist es nicht absurd?", will er wissen und neigt seinen Blick zu mir.
"Da treffen wir uns ausgerechnet in Paris wieder. In der Stadt der Liebe." Wieder lacht er auf, sein Blick gleitet durch die Ferne.
"Hier machen sich die Menschen Versprechen, hier schwören sie sich ewige Liebe und machen sich Anträge und wir? Wir stehen hier und wollten uns eigentlich nie wiedersehen."
Ich möchte etwas sagen, aber er unterbricht mich.
"Falsch! DU wolltest mich nie wiedersehen."
Sein Blick gleitet erneut zu mir, ich stehe unter Strom und weiß nicht, wie ich mit dieser gesamten Situation umgehen soll.
"Du hast mich überall blockiert, hast sogar Gemma und Niall ignoriert und jetzt, jetzt stehst du hier vor mir und sagst, dass es dir Leid tut? Scheiße, Louis, es sind sechs Monate vergangen. Sechs! Das ist ein halbes Jahr, verdammt. Und jetzt auf einmal merkst du, dass du in mich verliebt warst und das du vielleicht doch alles hättest anders machen sollen?".
Ich schlucke, kann seine Wut vollkommen verstehen. Wirklich. Doch mit Einem hat er unrecht.
"Ich war nicht verliebt", korrigiere ich ihn und versuche seinem Blick zu halten.
"Ich bin verliebt."

Amor manet.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt