Bitte mach es nicht noch schlimmer als es ist.

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Der nächste Morgen kommt viel zu schnell.
Noch bevor mein Wecker klingelt, bin ich wach. Eigentlich bin ich die ganze Zeit wach gewesen, konnte einfach kein Auge zumachen, aber Harry neben mir ist irgendwann eingeschlafen.
Kurz überlege ich, ob ich nicht einfach leise und heimlich verschwinden soll. Es würde Alles so viel einfacher machen und der Moment des Abschieds wäre nicht so schwer. Dann aber wieder will ich mich richtig bei Harry verabschieden. Ich will ihn noch einmal umarmen und noch ein letztes Mal küssen.
Ich drehe mich auf die Seite, beobachte Harry einen Moment dabei wie er friedlich vor sich hin schlummert und streichele dann vorsichtig über seine Wange. Es ist unglaublich, was in dieser einen Woche alles passiert ist und wenn ich ehrlich bin, kann ich das alles gar nicht richtig glauben.
Es ist mir ein Rätsel, wie Harry das alles geschafft hat. Wie er mich dazu gebracht hat, endlich mal wieder Spaß zu haben. Wenn ich zurück in London bin, muss ich wirklich darauf achten, dass ich nicht wieder zu viel arbeite. Vielleicht muss ich doch wieder öfter ausgehen. Mich wieder öfter mit meinen Freunden treffen.
"Guten Morgen".
Erschrocken zucke ich zusammen und begegne dann Harrys schmunzelnden Blick. Ich war so in Gedanken, dass ich gar nicht mitbekommen habe, wie er aufgewacht ist.
Unsere Blicke begegnen sich, schmelzen ineinander, als Harry mich zu sich zieht und mir einen Kuss auf meine Lippen drückt. Seufzend presse ich mich gegen ihn, erwidere diesen Kuss, wohlwissend, dass es der Letzte ist, den ich gemeinsam mit Harry an einem Morgen teile.
Als sich unsere Lippen dann trennen, macht sich Wehmut in mir breit. Ich will nicht gehen. Ich will weiter hier mit Harry liegen bleiben und nie wieder aus diesem Bett aufstehen.
Aber das Leben ist eben kein Ponyhof.
"Bleib bitte hier", kommt es leise aus Harrys Mund, fast zu leise, aber ich habe ihn verstanden. Mein Magen zieht sich zusammen und ich merke einen verdächtigen Kloß in meinem Hals. "Das geht nicht, Harry". Wir hatten das Thema schon. Mehrere Male. Ich kann nicht nach New York ziehen, genauso wenig wie Harry nach London kommen kann. Wir haben nun mal unsere Leben aufgebaut, haben gute Jobs und Freunde, Familie. Keiner von uns kann einfach alles hinter sich lassen und sich in ein neues Abenteuer stürzen.
Als Harry meinen Blick sieht, seufzt er und nickt. "Lass mich euch wenigstens zum Flughafen fahren".
Das macht den Abschied nicht einfacher, dennoch nicke ich. "Ich werde mir das Auto von Gemma ausleihen".

Eine halbe Stunde später bin ich auf den Weg in das Hotel.
Die Stimmung zwischen Harry und mir ist kühl. Erneut hat Harry mich auf eine Fernbeziehung angesprochen und erneut musste ich Harry enttäuschen. Es bringt einfach nichts. Eine Fernbeziehung ist schon kompliziert, wenn man im gleichen Land wohnt. Wie also soll das ablaufen, wenn man auf unterschiedlichen Kontinenten lebt? Es wird nicht funktionieren und ich bin realistisch genug, um mich keiner Wunschvorstellung hinzugeben, so schön wie es auch wäre.

"Louis?".
Liam kommt in den kleinen Flur unserer Suite, als ich leise die Tür hinter mir schließe. Ich versuche zu lächeln, wobei mir einfach nur noch zum heulen zumute ist. Ich habe jetzt schon Liebeskummer und dabei bin ich noch nicht mal im Flugzeug.
"Harry wird uns zum Flughafen fahren", murmele ich, gehe durch das Wohnzimmer und steuere meine Zimmertür an. "Ich bin noch eben duschen".
Meine Koffer habe ich Gott sie Dank weitestgehend schon gepackt.
Als das warme Wasser auf meinen nackten Körper trifft, schließe ich müde meine Augen. Hoffentlich kann ich im Flugzeug ein wenig schlafen, so werden die fast elf Stunden Flug nicht so lang und meine Gedanken werden hoffentlich leiser. Ich bin mir klar darüber, dass es verdammt schwer werden wird, nicht mehr an Harry zu denken. Dieser Mann hat mich einfach verzaubert und mir eine wundervolle Welt gezeigt. Er hat mir gezeigt, dass es doch noch Schmetterlinge in meinem Bauch gibt und er hat mir gezeigt, das Vieles wundervoll sein kann.
Kopfschüttelnd verlasse ich wieder die Dusche, versuche einen klaren Kopf zu bekommen, bevor ich noch eine Dummheit begehe und wirklich hier bleibe. Aber das kann ich meiner Mutter nicht antun. Ich kann sie nicht mit der Firma alleine lassen. Und wenn ich ehrlich bin, wäre es auch ziemlich dumm zu einem Typen zu ziehen, den man gerade mal eine Woche kennt.

Als ich das Badezimmer verlasse, sitzt Harry auf meinem Bett. Mit einem gequälten Lächeln sieht er mich an, streckt seine Arme nach mir aus und ich lasse mich ein letztes Mal auf seinen Schoß fallen, lasse mich ein letztes Mal in seine Arme ziehen und genieße ein letztes Mal seine Lippen auf meinen.
Es ist ein Abschiedskuss.
Die Schwere in meinem Körper breitet sich aus und der Kloß in meiner Kehle wird von Minute zu Minute größer. Wenn ich ihn doch einfach in meinen Koffer packen könnte.
Unsere Lippen trennen sich voneinander, Stirn an Stirn sitzen wir dort, der Atem geht schwer und die Zeit scheint sich zu ziehen.
Keiner von uns sagt ein Wort. Eine gefühlte Ewigkeit sitzen wir so dort, bis es klopft und Liam das Zimmer betritt. "Wir müssen langsam los".
Ich nicke, den Tränen nahe und stehe zögernd auf. Alles in mir sträubt sich, doch ich muss los.
"Louis".
Harry hält mich an meiner Hand zurück, mein Blick geht zu Liam, welcher nickt und das Zimmer wieder verlässt. Mein Lockenkopf steht auf, greift nach meinen Händen und zieht mich an sich.
"Bitte überleg es dir noch einmal. Wir können das schaffen. Ich...bitte wirf das Alles nicht einfach weg. Es ist zu wertvoll, um daraus eine Urlaubsromanze zu machen".
Zitternd schließe ich meine Augen, versuche die aufkommenden Tränen zu unterdrücken.
Er ist und bleibt ein hoffnungsloser Romantiker, aber ich... ich bin da eher realistisch.
Seufzend öffne ich wieder meine Augen, lege meine Hand auf seine raue Wange und hauche ihm einen Kuss auf die Lippen. "Du weißt, dass es scheitern wird. Du weißt, dass es auf Dauer nicht klappen kann und du weißt, dass es besser ist, wenn wir das hier und jetzt beenden, bevor es überhaupt richtig angefangen hat."
Tief in seinem Inneren weiß er das alles. Er weiß das ich Recht habe.
"Aber-".
"Bitte...mach es nicht noch schlimmer als es ist."

Amor manet.Donde viven las historias. Descúbrelo ahora