Wie absurd.

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Die Fahrt zum Flughafen hätte nicht eisiger sein können. Es herrscht eine unheimliche Stille im Auto, nicht mal das Radio läuft und während Harry verbissen auf die Straße starrt, ich mit meinen Gedanken auch komplett abwesend bin, weiß Liam nicht, wie er mit der Situation umgehen soll.
Die ersten paar Kilometer hat er noch versucht ein Gespräch anzuzetteln, doch als er gemerkt hat, dass weder Harry noch ich darauf eingehen, hat er es dann gelassen und starrt stattdessen auf sein Handy.
Ich würde Harry gerne so viel sagen, würde ihm gerne diese Situation schön reden, doch hier gibt es nichts zum schön reden. Es ist und bleibt einfach beschissen.

Als wir dann am Flughafen ankommen, springt Liam schon fast panisch aus dem Auto und macht sich zugleich am Kofferraum zu schaffen, um unsere Koffer herauszuholen.
Ich hingegen bleibe sitzen, sehe zu Harry, der sofort meinen Blick erwidert.
"Ich werde nicht mit reinkommen", gesteht er und wendet seinen Blick von mir ab. Zögerlich nicke ich, auch wenn ich mir wünschen würde, er würde noch so lange wie es geht bei mir bleiben.
"Ich kann einfach nicht mit dir dort stehen und darauf warten, dass du für immer aus meinem Leben verschwindest."
Der Kloß kommt zurück in meinen Hals. Wenn er das so sagt, dann hört es sich verdammt grausam an, aber - nun, das ist es ja auch. Es ist grausam.
Erneut sieht er mich an, greift nach meinen Händen und umschließt sie fest.
"Ich kann dich nicht doch noch irgendwie umstimmen?".
Seufzend schüttele ich meinen Kopf, rutsche ein wenig näher zu ihm. "Es bringt doch nichts".
Meine Stimme ist brüchiger als sie sein sollte. Ich werde nicht weinen, nicht hier und auch nicht im Flugzeug. Ich werde hier nicht zur Schau stellen, wie sehr mich das mitnimmt und wie viel mir dieser hübsche Lockenkopf in kurzer Zeit bedeutet.
"Gut, dann...dann heißt es jetzt wohl Abschied nehmen".
Auch Harrys Stimme bricht langsam. Ich kann ihm nicht in die Augen schauen. Habe Angst, dass dann doch Tränen kommen und alles nur noch schlimmer machen.
"Ich danke dir", hauche ich leise, starre wie gebannt auf unsere Hände. "Für Alles. Du...du hast diese eine Woche zu etwas Besonderem gemacht."
Von Harry kommt keine Antwort. Aber das ist okay. Er muss nichts sagen.
Wenige Sekunden ist es still, als Harry plötzlich seine Hände aus meinen nimmt, sie auf meine Wangen legt und binnen eines Wimpernschlags seine Lippen auf meine legt.
Dieser Kuss spiegelt die Pure Sehnsucht wieder, pures Verlangen und jagt einen warmen Schauer durch meinen Körper. All die Gefühle, die ich irgendwie versuche zu ordnen brechen über mir zusammen, treiben mir nun doch die Tränen in die Augen, die ich versuche irgendwie zu unterdrücken.
Atemlos lösen sich unsere Lippen, Stirn an Stirn verweilen wir eng beieinander. Sein Atem zittert, meiner geht nur stoßweise. Zaghaft löse ich mich von ihm, wage dann doch einen Blick in seine Augen. Wässrig und schimmernd schauen sie mich an, lassen meinen Magen sich damit zusammenziehen und ein unangenehmes Pochen erscheint in meinem Hals.
"Wenn ich könnte, glaube mir, ich würde", hauche ich leise und stehle mir einen letzten Kuss.
Er nickt, lässt meine Wangen los und senkt seinen Blick.
Ich muss los. Liam steht schon wartend an der Tür des Gebäudes.
"Ich...-", ich schüttele meinen Kopf. Ich weiß nicht was ich noch sagen soll. Meine Hand geht zum Türgriff, zitternd fechte ich den inneren Kampf mit mir aus und schaffe es dann tatsächlich die Autotür zu öffnen. Ich kann nicht noch einmal zurück schauen. Kann ihn nicht ansehen.
"Auf wiedersehen", hauche ich stattdessen und steige schnell aus dem Wagen.
Panisch schmeiße ich die Autotür hinter mir zu und renne dann zu meinem besten Freund, damit ich nicht noch auf dumme Gedanken komme.
"Louis-".
"Bitte, Liam. Nicht".
Wieder ist meine Stimme brüchig, meine Augen brennen und kündigen den Schmerz an.
Schnell nehme ich meinen Koffer und eile in das Gebäude, nicht sicher, ob Harry noch immer im Auto sitzt, oder schon davongefahren ist.
Erst vor dem Check-In halte ich an, atme tief durch.
"Vor etwas wegrennen sollte man nicht so wörtlich nehmen, wie du", murmelt Liam neben mir, schnauft auf und sieht dann auf die Tafeln vor uns.
"Willst du-".
"Nein."
Ich will nicht darüber reden.

Während wir auf das Boarding warten, schweift mein Blick immer wieder durch die Gegend.
Es ist absurd, aber irgendwie hat sich eine Szene in meinem Kopf festgebrannt.
Eine Szene, in der Harry sich ein Ticket kauft, nur damit er den Sicherheitsbereich durchqueren kann und mich hier am Gate findet. Er würde auf mich zulaufen, mich in seine Arme ziehen und würde mir sagen, dass er mit nach London kommt.

Wie absurd.

Und verdammt egoistisch von mir.
Ich kann nicht von ihm verlangen sein Leben hier aufzugeben, wenn ich dazu nicht selbst auch bereit bin. Es ist eben ein verdammter Unterschied in eine andere Stadt oder in ein anderes Land, oder wie hier auf einen anderen Kontinent zu ziehen.

"Zayn wird uns abholen", höre ich Liam neben mir und ich kann wieder einmal nur nicken.
Erneut gleitet mein Blick durch die ganzen Menschen, aber die Szene aus meinem Kopf wird sich nicht verwirklichen.
Unser Flug wird aufgerufen und das Boarding beginnt.
Erneut merke ich die Tränen aufsteigen, während Liam und ich uns in die Schlange anstellen.
Gleich ist alles vorbei.
Gleich sitze ich in diesem Flugzeug und die letzte Woche wird nur noch eine Erinnerung sein.
Liams Arm legt sich um meine Schulter. Sanft knufft er mir in diese, schenkt mir ein mattes Lächeln, ehe wird der Dame vor uns unsere Tickets zeigen.
"Na dann, auf nach Hause."

Amor manet.Where stories live. Discover now