Kapitel 48

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»Sie hat ihn geheiratet.« War das Erste, was Isabelle darauf einfiel, als sie abermals den Namen ihrer Schwester las.

ʷᶤᵉˢᵒ ʰᵃᵗ ˢᶤᵉ ᶤʰᶰ ᵍᵉʰᵉᶤʳᵃᵗᵉᵗ?

Obwohl Isabelle sich der Antwort selber im Klaren war, hallte diese Frage in ihrem Kopf, als wäre sie in einer Höhle und es würde ein andauerndes Echo auf sie zurückfeuern.

Seit sie damals vor einem Jahr von ihrem Bruder und ihrem Vater nach Köln gebracht, und von Dag und ihren Freunden wieder ins heimische Berlin zurückgeholt wurde, hatte sie zu keinem ihrer Familienmitglieder Kontakt gehabt.

Zu Marleen hatte sie eh nie ein geschwisterliches Verhältnis, geschweige denn ein freundschaftliches, gehabt. Sie waren wie zwei Fremde, die eine Zeitlang miteinander gewohnt haben.

»Willst du ihn lesen?« , fragte ihr Freund und befreite sie von dem Widerhall in ihrem Kopf.

»Ich ... ich weiß nicht.«

ᶤᶜʰ ʷᵉᶤß ᵉˢ ʷᶤʳᵏˡᶤᶜʰ ᶰᶤᶜʰᵗ.

Wie hypnotisiert starrte sie auf den Absender, als würde dies schon die Antwort für den Inhalt des Briefes sein.

ʷᵃʳᵘᵐ ˢᶜʰʳᵉᶤᵇᵗ ˢᶤᵉ ᵐᶤʳ? ᵘᶰᵈ ʷᶤᵉˢᵒ ʲᵉᵗᶻᵗ? ʷᵃˢ ᵏᵃᶰᶰ ˢᵒ ᵈʳᶤᶰᵍᵉᶰᵈ ˢᵉᶤᶰ, ᵈᵃˢ ˢᶤᵉ ˢᶤᶜʰ ᵇᵉᶤ ᵐᶤʳ ᵐᵉˡᵈᵉᵗ? ᵈᵉᶰᶰ ˢᶤᵉ ʷᶤʳᵈ ᵐᶤᵗ ˢᶤᶜʰᵉʳʰᵉᶤᵗ ᵉᶤᶰ ᵛᵉʳᵇᵒᵗ ʰᵃᵇᵉᶰ ʲᵉ ᵏᵒᶰᵗᵃᵏᵗ ᶻᵘ ᵐᶤʳ ᵃᵘᶠᶻᵘᶰᵉʰᵐᵉᶰ. 

Isabelle hatte nie Groll gegen ihre Schwester gehegt. Und sie wusste immer, dass Marleen sie ebenso nie gehasst hatte.

»Soll ich ihn zuerst lesen und dann entscheiden, ob es gut wäre, dass du ihn liest?« , bot Katja ihr an.

»Ja.« Ohne großartig darüber nachzudenken, war sich Isabelle sicher, dass sie eventuell belanglose Sachen, die sie nur wieder an ihre schlimme Zeit erinnern würde, nicht wissen wollte.

Ihr Herz pochte wie wild, als sie ihrer Freundin den Brief in die Hand gab.

»Was möchtest du denn nicht wissen?«

Isabelle zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich möchte keine Vorwürfe, oder ... an letztes Jahr erinnert werden.«

Doch schon allein dieses Schriftstück weckte in ihr das Erlebnis an die kurze Tortur. Sie griff sich wie in Trance an den Oberarm und drehte ihren Kaugummiautomaten-Ring. Dag registrierte auch diese Handlung und tauschte mit Vincent seinen Platz, um neben seiner Freundin zu sitzen, dann zog er den Stuhl von ihr ganz nah an seinen und ließ ihren Kopf auf seine Brust verweilen. »Hey, das ist Vergangenheit. Egal was sie wollen. Du bist hier in Freiheit und daran ändert sich nichts.« , sagte er leise und küsste ihre Stirn.

»Ich weiß.« , flüsterte sie.

Katja öffnete den Brief und faltete das Blatt auseinander. Isabelle achtete nur auf ihre Augen, die wieder und wieder von links nach rechts gingen ... und auf die Falte zwischen ihren Augenbrauen, die immer ausgeprägter schien, umso weiter sie las.

Als Katja fertig war, blickte sie zu Dag.

»Und?« , fragte er vor Isabelle.

»Sie sollte ihn lesen, aber ... vielleicht solltet ihr besser in ihr Zimmer.« Ihre Stimme war abgehakt.

»In mein Zimmer? Wieso?« Isabelle setzte sich gerade hin.

»Das ... Vertrau mir einfach okay. Es ist besser, wenn du alleine bist ... mit Dag. Damit jemand bei dir ist, wenn ...« Sie faltete den Brief wieder zusammen und steckte ihn in das Kuvert, bevor sie diesen ihrer Freundin wiedergab.

Mit einem Stirnrunzeln nahm sie ihn entgegen und sah zu Dag, der auf Katja achtete, die nur den Kopf schüttelte. »Was ist los?« , fragte sie sofort. »Was stand dadrin?«

»Lies ihn in deinem Zimmer.« Katja zog die Augenbrauen hoch, als sie Dag ansah.

»Nein.« Isabelle knallte ihn auf den Tisch. »Du sagst mir jetzt, was drin steht.«

Katja sah wieder zu Dag. »Kann ich kurz mit ihm alleine reden?«

Er wartete die Zustimmung seiner Freundin nicht ab und stand sofort auf. Beide verschwanden auf den Balkon. Isabelle ließ sie nicht aus den Augen. Während Katja ihr den Rücken zukehrte, nachdem sie die Balkontüre schloss, konnte sie Dag direkt ins Gesicht sehen ... und das sagte nichts Gutes.

Seine Mimik veränderte sich schlagartig und er sah mit seinen blauen Augen auch augenblicklich auf Isabelle, bevor er sich an den Kopf fasste und seine Stirn darauffolgend merklich rieb, als würde er überlegen.

Isabelles Stirn legte sich in Falten.

ʷᵃˢ ˢᵗᵉʰᵗ ᶤᶰ ᵈᶤᵉˢᵉᵐ ᵇʳᶤᵉᶠ?

Sie griff nach dem Kuvert und holte das Stück Papier heraus.

Vincent, der das bemerkte, ging wankend zur Balkontüre und öffnete diese. »Sie liest.«

Dag schnellte an Katja vorbei. »Warte, lass uns das drinnen machen.«

Sie las ihn nicht gedanklich. Sie wusste, dass sich innerlich Gelesenes mehr im Kopf einzementierte als laut Vorgelesenes. Und sollte es wahrlich etwas Schlimmes sein, denn das befürchtete sie mittlerweile, nach Dags und Katjas Reaktion, würde sie es lieber gern sofort vergessen wollen.

Hallo Isabelle,

Zuerst wollte ich dir sagen, dass ich dich schon immer für eine starke Persönlichkeit gehalten habe. Du hast mehr Mut bewiesen, als ich jemals hatte.

Ich habe dich stets still dafür bewundert, wie stur du sein konntest und in erster Linie Moritz die Stirn geboten hast.

Hätte ich nur eine Winzigkeit von dir gehabt, würde ich dir jetzt nicht schreiben, denn ich würde freisein, wie du es bist meine liebe kleine Schwester.

Doch mein Weg hat mich dazu gebracht ein anderes freisein anzustreben.


Isabelle hielt kurz inne und runzelte die Stirn, bevor sie schließlich weiterlas.


Ich habe in den letzten Wochen verstanden, dass das Wichtigste am Tod ist, sich sicher zu sein die Welt zufrieden zu verlassen.

So, wie ich mein Leben gelebt habe, wird meine Existenz, oder ihr Verlust, in keiner Weise zählen, denn ich habe existiert, ohne irgendetwas Beeindruckendes getan zu haben.

Doch mein Brief an dich Isabelle, soll etwas Wichtiges sein, daher schreibe ich diese Zeilen an dich.


Isabelles Miene verdunkelte sich, als sie die nächsten Reihen vortrug.


Angst schwächt und lähmt dich. Ich war immer die Schwächere von uns beiden.

Wenn man es zulässt, sich zu unterdrücken, wird es mehr und mehr, bis nur noch eine leere Hülle übrig bleibt.

Höre weiterhin auf deine innere Stimme, sie wird dich leiten. Ich habe meine unterdrückt, bis zu diesem Zeitpunkt.

Ich bereue es, dass ich dir nie die große Schwester sein konnte, die ich gerne für dich gewesen wäre. Ich denke, in einem anderen Leben ... in einer anderen Familie, wären wir beste Freundinnen und unschlagbar geworden.

Am liebsten hätte ich dich noch ein letztes Mal gesehen. Doch ich gebe meinen Glauben nicht auf, dass wir uns irgendwann wiedersehen werden. Sei es auf der anderen Seite oder in einem anderen Leben.

Es wird Zeit für mich auch endlich meine Flügel auszustrecken und freizusein.

Ich liebe dich.

Nicht immer drauf, doch für immer auf dir (Band 1)Hikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin