Kapitel 97

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Vincent sah sich andauernd um. Andis Bar war halbvoll. Im Grunde hatte er einen guten Überblick von dem Platz, auf dem sie immer saßen, aber von Isabelle fehlte bisher jegliche Spur. Sein Blick fiel wieder mal zur Türe, als diese aufging, jedoch kamen wiederholt andere Leute hinein als die von ihm erwünschte Person.

Dag saß ruhig zurückgelehnt und gedankenversunken auf der Bank.

»Bist du sicher, das du nachher auftreten willst?« , fragte Vincent.

»Ja. Ein Song.« , antwortete er. »Ich muss singen. Ich hab gestern zwar anders geredet, aber meine Gefühle stauen sich sonst. Ich bekomme dadurch ein wenig Normalität.«

»Trotzdem hast du die Instrumente kaputt geschlagen.«

»Ja ich weiß.« Dag sah betroffen nach unten. »Es tut mir leid. Ich war irgendwie wütend und dann ... ich ersetze die alle. Versprochen.«

»Wir machen das schon.«

»Weißt du noch ... damals ... als wir draußen vorbeigingen und Isy Junimond sang?« Vincent nickte. »Ohne sie gesehen zu haben wusste ich damals schon, dass sie das schönste Wesen überhaupt sein musste. Erst verliebte ich mich in ihre Stimme. Danach in ihre Ausstrahlung. Dann in ihre Augen ... ihr Aussehen, ihre Figur. Ich wäre ein Lügner, wenn ich sagen würde, dass es nicht auch ihr Äußerliches war, das mich angezogen hatte. Ich verliebte mich in ihren Humor. Ihren Vanille-Geruch, den ich so sehr vermisse. Ihr musikalisches Talent ... der Sex mit ihr war ...« Er lächelte ein wenig. »Ich vermisse es, wie sie danach immer in meinen Armen eingeschlafen ist oder wie empört sie mich manchmal angesehen hat, wenn ich neue Dinge vorgeschlagen habe. Sie fehlt mir so krass.«

Vincent hatte keine Ahnung, was er darauf sagen sollte. Er hatte den ganzen Tag über gegrübelt, ob es nicht verkehrt gewesen war, zu gehen. Gegebenenfalls hätte er auch Dag anrufen sollen, um ihn zu Isabelle zu schleifen. Aber er war sich nicht sicher, ob sie das vielleicht zu sehr aufgeregt hätte. Sie war im Krankenhaus, und er hatte ganz vergessen, sich deswegen bei ihr zu erkundigen. Auch die Panik, dass sie wieder die Flucht ergriffen hatte, stieg bei ihm allmählich an. Eventuell waren es einfach zu viele Informationen für Isabelle gewesen?! Wer würde schon gerne zu einer Person zurückwollen, beziehungsweise ein Kind mit jemandem großziehen, der von einer Sucht in die nächste schlitterte?

»Isabelle würde nicht wollen, das ich am Ende noch zu härteren Sachen greife. Also bleibe ich lieber bei der Musik.« , sprach Dag plötzlich, als hätte er Vincents Gedanken gelesen.

»Ja. Da hast du Recht.«

»Ich hab gestern so nachgedacht und ... vielleicht sagt ihr jemand, was ich alles für scheiße baue, und eventuell ist das der Grund, weshalb sie nicht wiederkommt.« Dag lächelte ihn ein wenig an. »Wenn ich mich also jetzt bessere und von meiner guten Seite zeige, kommt sie unter Umständen wieder.«

»Das wäre möglich.« , sagte Vincent und lächelte ihn ebenfalls an.

Dag stand auf. »Die Bühne ruft mich.«

»Dag?« , rief sein Freund ihm hinterher.

»Ja?«

»Es freut mich, das du zur Vernunft gekommen bist.«

Dag lächelte und trat dann seinen Weg zur Bühne an. Er gab ein Zeichen und die Musik verstummte.

Ein wenig schüchtern sprach er in das dort stehende Mikro. »Hey Leute. Ich weiß, ihr seid hier eigentlich großartige Künstler gewohnt, aber dieser Bühne verdanke ich die beste und wundervollste Zeit in meinem Leben. Hier oben, wo ich jetzt stehe, sah ich sie das erste Mal. Ich glaube einige der Stammgäste wissen sofort, von wem ich spreche. Sie hat hier immer für super Stimmung gesorgt, aber für mich war, und ist, sie viel mehr.« Er nahm sich einen Hocker und setzte sich drauf. »Sie hat stets an mich geglaubt und mir Mut zugesprochen. Isy hat mir geholfen, ein besserer Mensch zu sein und weil ich tief in meinem Inneren glaube, das sie das hier erreichen wird, stehe ich hier an der Stelle, wo sie mich damals in ihren Bann gezogen hat.« Er zog ein zusammengefaltetes Stück Papier aus seiner Hosentasche. »Den hab ich gestern gefunden. Sie hat ihn damals als Stichpunktliste geführt, um einen Song für mich zu komponieren. Traurigerweise hat sie gar nicht alles davon verwendet. Aber er hat mich daran erinnert, was ich für sie bin ... und ich hoffe, wenn sie hier von erfährt, erinnert sie sich auch an unsere schöne Zeit.« Er räusperte sich und las dann den Zettel in seiner Hand vor. »Warum ich dich liebe ... weil du so spontane, verrückte Ideen hast ... weil du nie zu eitel bist und ich selbst in einem hässlichen Zweiteiler für dich schön genug bin ... weil du genau so verrückt bist wie ich ... weil du auch im verschwitzten Sportshirt noch gut riechst ... weil du auf jedes Konzert mit mir gehen würdest, selbst wenn du die Musik nicht magst ... weil ich bei dir nicht wie ein Model aussehen muss ... weil du mich immer um meine Meinung fragst ... weil du auch aus den Resten in der Küche etwas Leckeres für mich kochst, wenn ich Hunger habe ... weil ich mich ohne dich verloren fühle ... weil ich auch deine verletzliche Seite kenne ... weil du mein Fels in der Brandung bist ... weil dein Lachen so ansteckend ist ... weil du niemals aufgibst ... weil wir ein gemeinsames Ziel haben ... weil ich dir grenzenlos vertraue ... weil du mir vertraust ... weil du mein bester Freund bist ... weil du an deinen Träumen festhältst ... weil ich mich wie ein halber Mensch fühle, wenn du nicht neben mir im Bett liegst ... weil ich bereits bei unserer ersten Begegnung wusste, das du der Richtige für mich bist ... und, weil du mir meine Fehler verzeihst.« Er faltete das Blatt Papier wieder klein und steckte es zurück. »Es tut mir leid, das ich euch hier vollschwafele, aber für mich ist das hier extrem wichtig.«

»Schon okay, Süßer.« , hörte er jemand mit einer älteren weiblichen Stimme rufen und die Leute applaudierten darauf.

Er sah sich um, konnte trotz alledem nicht ausmachen, wer gesprochen hatte. Er lächelte ein wenig. »Dankeschön. Im Grunde bin ich ja schon fertig, mit dem begründen, daher wird es Zeit für einen Song.« Dag stand auf und holte Isabelles alte Gitarre hervor.

Vincent sah ihm ebenso dabei zu, wie die Menge. »Ist der Platz noch frei, schöner Mann?« , sprach dieselbe ältere Stimme wie vorhin.

Er drehte sich um. »Katja?! Du ... du bist hier?« Etwas verlegen stand er auf.

»Ach komm schon her Großer.« , sagte sie nun in ihrer normalen Tonlage. Eilig umarmte sie ihn und gab ihm einen dicken Schmatzer auf den Mund, dann setzte sie sich auf die Stelle, wo Dag vorhin gesessen hatte.

Vincent nahm wieder Platz. »Du bist wirklich hier?!«

»Ja.«

»Isabelle?«

Katja nickte und zeigte rechts neben die Bühne auf eine Person mit einer Kapuze, die ihr tief ins Gesicht gezogen war.

»Sie ist hier.« , sagte er freudig.

»Ja. Sie ist hier.«

»Ja. Wurde langsam auch mal Zeit.« , entgegnete Hannah und setzte sich ebenfalls dazu.

Dag glitt mit dem Plektrum über die Saiten der Gitarre.

»Dieser Song ist mir sehr wichtig, auch wenn ich ihn davor eigentlich nie sonderlich gemocht habe ... aber es war das erste Lied, das ich zusammen mit ihr gesungen habe.« Er glitt erneut über die Saiten. »Ich weiß, das dies ein Duett ist, aber ich hoffe, ihr verzeiht mir, wenn ich ihn alleine singen werde.«

Katja sprang derweil auf.

»Hey wo willst du hin?« , rief Vincent.

»Ich hab' eine Idee. Nach all dem Drama, benötigen wir jetzt ein wenig Kitsch. Wartet. Ich komm' sofort wieder.« Er sah ihr nach, wie sie eilig zu Andi verschwand, der ihr dann etwas in die Hand drückte, mit dem sie gebückt durch die Menge abschwirrte, bis hin zu Isabelle.

Dag schloss die Augen und begann zu singen. »Mit dir steht die Zeit still. Du bist, was ich will. Spürst du was ich fühl′, denn was ich fühl' ist real. Es ist mehr als nur ein Spiel. Ich lieb′ deinen Stil. Dein Sexappeal komm' relax mit mir. Ich will nichts tun, was du später mal bereu'n wirst, doch heut′ Nacht brauch′ ich bisschen mehr als Freundschaft. Bitte schau' mich nicht so an deine Blicke sind gefährlich. Uuh ehrlich ich begehr′ dich.«

Als ihre Stimme unerwartet erklang, dachte Dag erst, es wäre ein Traum. Irgendwas was er sich einbildet ... doch an der Reaktion der Leute, wusste er, dass es keine Fata Morgana war. Er stellte die Gitarre ab und sah sich um, während sie weitersang.

»... spür' wie du mein Willen brichst. Ist es mehr als nur ein Spiel? Leg′ die Karten auf den Tisch. Meinst du, ich bleib' kühl, wenn du bei mir bist. Ich will nichts tun, was ich später mal bereu′n wird'. Doch heut' Nacht brauch ich bisschen mehr als Freundschaft ...«

Ihre Stimme verstummte. Dag sah sich weiterhin um und er sprang leichtfüßig von der Bühne.

»Deine Küsse machen süchtig. Nimm Rücksicht. Ich weiß, du bist berüchtigt.« , sang sie nun das letzte Stück. Dag sah sich weiter um, und erstarrte, als sie plötzlich mit eingezogenen Lippen auf ihn zu kam.

»Isy?!« , sagte er fast tonlos. Sein Blick fiel in ihr Gesicht .... dann hinab auf ihren Bauch. »Ist das ...?«

Sie nickte. »Unser Wunderknubbel.«

Er lächelte, während seine Unterlippe zitterte. Isabelles Gemütsbewegung glich seiner. »Unser Baby.« , sagte er und umarmte sie.

Isabelle schloss die Augen, konträr dazu nahm sie alles in sich auf. Sein Geruch. Seine Berührung ... alles, was sie so sehr vermisst hatte. »Es tut mir so leid.« , flüsterte sie.

»Nichts muss dir leid tun.« , gab er zurück und sah sie an. Er küsste sie vorsichtig, sanft ... voller Liebe zu ihr.

Dann ging er auf die Knie und küsste ihren Bauch.

Nicht immer drauf, doch für immer auf dir (Band 1)Where stories live. Discover now