Kapitel 94

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»Du sollst mehr Essen und damit meinte der Arzt nicht, das du Eisklümpchen lutschen sollst.« Katja nahm Isabelle den gefrorenen Wasserklumpen aus der Hand. »Setz dich hin. Hannah kommt gleich und dann frühstücken wir erstmal in Ruhe.«

Isabelle setzte sich widerwillig an den kleinen runden Esstisch in Katjas Wohnung.

»Hast du denn gut geschlafen?« , fragte die Blondine und platzierte sich neben sie.

»Besser als im Krankenhaus.« , antwortete sie.

Katja schüttete sich einen Kaffee ein, als es klingelte. »Ah endlich.« Sie stand auf und rannte zur Wohnungstüre. »Was bummelst du so lang?«

»Isabelle hat mir geschrieben, das ich Eis mitbringen soll.« , antwortete Hannah.

Katja schob sich mehr nach hinten und sah ihre Freundin mit zusammengekniffenen Augen an. »Noch mehr Eis?«

»Ich mag das halt.«

»Du bist echt nicht normal. Du kannst dich doch nicht nur von Eis ernähren.« Trotz ihres Vortrages stellte Katja das Eis ins Eisfach ihres Kühlschranks.

Hannah setzte sich an den Tisch. »Wie geht es dir heute?«

»Joa etwas besser.«

»Ich war gestern Abend bei dem Auftritt der Jungs.« , sagte sie plötzlich und unerwartet.

»Stopp.« , rief Katja und lief zurück zum Tisch. »Wir hatten uns darauf geeinigt. Du bist still. Isabelle soll sich nicht aufregen.«

»Das sagst du, aber ich bin der Meinung, das diese Scheiße langsam enden muss. Das kann so nicht weitergehen.«

»Sie soll sich nicht aufregen.« , sprach Katja abermals.

Hannah ging gar nicht darauf ein, sondern drehte sich mehr zu Isabelle. »Hast du vor das auf ewig zu verheimlichen und ihm für immer aus dem Wege zu gehen?« Isabelle schüttelte stumm den Kopf. »Dann mach es endlich. Red mit ihm.«

Wiederholtes Kopfschütteln.

»Lass sie das alleine entscheiden.« , meinte Katja.

»Nein. Beiden geht es scheiße.« Sie knallte ihr Handy auf den Tisch. »Schau dir das letzte aufgenommene Video an. Es ist von gestern.«

»Nein macht sie nicht.« Katja versuchte, das Handy an sich zu nehmen, doch Hannah war schneller.

»Du hast doch gerade selber gesagt, sie solle allein entscheiden. Also ... es ist Isabelles Entscheidung.«

»Isabelle mach das nicht, okay. Ich kenne das Video. Bitte.«

Abwechselnd fiel ihr Blick jetzt von einer zur anderen Freundin, bis sie dann schließlich ihre Handfläche hinhielt und das Handy entgegennahm.

Sie öffnete auch sofort das angegebene Video. Man sah Dag und Vincent von der oberen Empore gefilmt auf der Bühne stehen.

Isabelle huschte ein kleines Lächeln übers Gesicht, als sie ihn dort sah. Sie performten gerade Streitwagen und Dags Part hatte begonnen.

»Wir sind Sprechschurken, Westgurken, Possenreißer, Pestboten, Flashmeister, Flaschengeister, Vollidioten, Hasenpfoten, Peaceraucher, Bongsüchtig, schreiben uns're Songs tüchtig, unvernünftig! ... Wir sind Kettenraucher, Hubschrauber, poposauber, böser Zauber, lose Räuber, haarsträubend, betäubend, aufbaulich und zutraulich, stubenrein, winzig klein, bekannt aus Samt und Seide, haben keine Scheine sondern Dingsbums - sag ich nicht - dir jedenfalls nicht ins Gesicht, is' auch nicht wichtig, komm und korrigier' mich nicht! Du bist so zierlich, ich bin Steinbeißer, Stahlseil, Stretcher oder Beastman!«

Isabelle liebte den Song. Daher blieb ihr kleines Lächeln bestehen, bis zum Ende des Liedes.

»Habt ihr irgendeinen Wunsch? Welchen Song sollen wir als Nächstes spielen?« , fragte Vincent gut gelaunt. Seine Hand verweilte kurz neben seinem Ohr und er lauschte der Menge. Schließlich bückte er sich und hielt einem Mädchen das Mikrofon hin, während Dag irgendwas in hinunter kippte. »Hast du 'nen Wunsch?«

»Ja habt ihr auch irgendein Liebeslied?« , fragte sie.

Dag gab im Hintergrund ein abwertendes Lachen von sich, als er sein Mikro vor sich hielt. »Liebeslied. Soll ich dir mal was sagen über Liebe?« Er stellte sich neben Vincent. »Ich habe vor Jahren mal einen Song verfasst, weil ich dieses Mädchen vom ersten Moment an geliebt habe. Ich wusste, dass sie diejenige ist, die ich auf ewig lieben werde ... doch dann habe ich scheiße gebaut ... und jetzt ist sie weg.« Er ging auf und ab. »Meine Liebe zu ihr ist geblieben und das wird auch für immer so sein. Ich vermisse alles an ihr. Ich vermisse ihren Atem zu lauschen, wenn sie nachts eingeschlafen ist. Ihre Hände, die mich berühren. Sie fehlt mir jede Sekunde meines Lebens und das bringt mich mehr und mehr um. Ich fühle mich tot ... tief in mir drin. Und nur dieser beschissen Schmerz den ich empfinde, erinnert mich daran, das ich noch lebe.«

»Komm, ist gut.« , sagte Vincent und lächelte das Publikum an, als wäre das Teil ihrer Show.

»Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Lass mich.« , gab Dag von sich.

»Nein. Es ist gut jetzt.«

»Ich weiß, das sie ihre Gründe hat, weshalb sie nicht mehr bei mir ist, aber ich will einfach nicht aufgeben, daran zu denken, das sie irgendwann zurückkehren wird und egal wie lange das dauert ... ich werde warten. Weil nichts und niemand sie ersetzen kann. Wenn man etwas wirklich liebt, gibt es keinen Ersatz. Sie war einzigartig. Ein Unikat. Mein Unikat.«

»Komm is' jut jetzt.« Vincent versuchte, ihm das Mikro abzunehmen, doch ohne Erfolg.

»Neee. Lass mich.« , sagte Dag, als er seinem Freund auswich und über die Bühne wetzte. »Worauf ich hinaus wollte ... es gibt quasi so gut wie gar keinen Liebessong. Im Grunde ist das, was ihr alle so toll findet und weshalb ihr schwärmt, Lieder über Trennungen. Herzschmerz. Ihr feiert Songs, wo jemand dudelt, dass er betrogen wurde, das er verlassen wurde ... das ist die Kehrseite der Liebe. Der Schmerz, den wir empfinden, wenn das Wichtigste aus unserem Leben einem den Rücken kehrt.«

»So, ich glaube, wir spielen jetzt Bananensaft.« , teilte Vincent lautstark mit, um Dag zu übertönen.

»Nein ich hör jetzt auf.« , sagte Dag.

»Ja. Gut.«

»Nein, ich mein komplett. Ich hab keine Lust mehr, hier einen auf gut gelaunt zu spielen. Ich pfeife mir eine Scheiße nach der anderen rein, um den Tag zu überstehen, und für was? Für ein bisschen Applaus?« , schrie er herum. »Darauf kann ich verzichten.« Wütend schmiss er das Mikro in die Menge, dann knallte er die Gitarre mehrmals auf den Boden ... er trat gegen das Schlagzeug, als das Video endete.

»Merkst du, wie fertig er ist?« , fragte Hannah.

»Was hat er genommen?« , wollte Isabelle wissen.

»Ich hab keine Ahnung.« , antwortete sie. »Aber Isabelle du musst das in Ordnung bringen.«

»Ich hab gestern im Krankenhaus erfahren, was wir bekommen.« , sagte sie leise. »Das Nächste, was ich Dag genommen habe. Niemals wird er mir das verzeihen können. Egal wie sehr er mich liebt, aber das, was ich ihm angetan habe, was ich ihm verheimlicht habe, das kann ich nicht rückgängig machen. Es sind Sachen, die er als Erstes hätte erfahren müssen.« Isabelle stand auf und verschwand im Badezimmer, während Katja und Hannah sich beide Blicke zuwarfen.

Nicht immer drauf, doch für immer auf dir (Band 1)Where stories live. Discover now