Carolyne

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Als ich klein war hatte mir mein Vater oft Märchen vorgelesen. Damals stellten sie für mich immer den normalen lauf eines Lebens da. Ich war immer der festen Meinung gewesen, dass man in seinem Leben zuerst großes Leid erleben muss, um dann Freude und Glück zu bekommen. Wenn das wirklich so wäre, dann müsste ich ja irgendwann ein wirklich tolles Leben führen. Genug gelitten hatte ich ja wohl schon.

Doch wo blieb nur meine Belohnung. Meine Belohnung für so viele psychische Qualen. Die viele Trauer.

Noch ganz in Gedanken versunken bemerkte ich zunächst gar nicht, dass meine Mutter in der zwischen Zeit herunter gekommen war.

„Na, mein Schatz, immer noch am Träumen." Sie lächelte mich an und ich erwiderte es. Ihre Haare waren immer noch etwas nass. Wahrscheinlich hatte sie sich heute nach dem Duschen wieder nicht die Haare geföhnt.

„Ich hab nur gerade daran Gedacht, wie mein Vater mir früher immer Geschichten von Schneewittchen und Konsortien vorgelesen hatte." Und wie dankbar er mir immer war, wenn ich ihm mal von der Arbeit wegholte. „Danke, Prinzessin, dass du mich aufgeweckt hast."

Meine Mutter begann zu kichern.

„Achja, er hat es immer geliebt dir etwas vorzulesen." Auch sie schien bei diesem Gedanken etwas abzudriften. Tja ich hatte diese Fähigkeit anscheinend nicht nur von meinem Vater.

„Ähm,.. willst du was Essen mein Schatz?" Ich dachte genau über die Frage nach. Eigentlich hatte ich inzwischen nicht mehr wirklich Hunger. Zwar war ich beim Aufwachen etwas hungrig gewesen, aber irgendwie war der nun verschwunden. Also schüttelte ich nur den Kopf. Meine Mutter schien daraufhin enttäuscht. Irgendwie versetzte ihr Gesichtsausdruck mir einen Stich. Ich wollte sie nicht traurig sehen.

„Aber,...kannst du mir vielleicht einen Smoothie machen." Nun begannen ihre Augen wieder zu strahlen.

„Natürlich mein Schatz." Sie drehte sich rasch um und ging in die Küche. Ich trottete ihr dabei hinterher. Ich der Küche angekommen legte ich meine verschränkten Arme auf einen der Tresen und blickte aus dem Fenster. Es war schön draußen. Die Sonne schien und wenn man das Gras genauer beobachtete, sah man dass ein leichte Wind ging. Mich überkam die Lust nach draußen zu gehen.

Da tauchte plötzlich eine Hand neben mir auf und reichte mir ein blaues Gefäß mit einer dickflüssigen Flüssigkeit darin.

„Hier mein Schatz dein Smoothie." Ich blinzelte ein paar mal und nahm dann dankend den Smoothie entgegen. Meine Mutter lehnte sich nun mit den Rücken zum Tresen und blickte genau in die Gegengesetzte Richtung. Ich nippte genüsslich an meinem Smoothie, als meine Mutter zu sprechen begann:

„Ich muss heute noch einmal rüber fahren. Es gibt einige Probleme mit der neuen Lieferung. Ich werde aber versuchen spätestens heute auf Nacht zurück zu kommen." Sie blickte mich an. Ich lächelte leicht und nickte.

„Ist gut, Mama. Ich versteh dass." Sie lächelte nun ebenfalls leicht und strich mir mit einer Hand über die Schulter.

„Nun gut. Dann werde ich mich mal fertig machen, sonst komm ich ja nie weg."

Sie strich mir noch einmal über den Rücken und ging dann. Ich blieb noch eine Weile in der Küche stehen und blickte nach draußen, dann ging ich ebenfalls hoch.

In meinem Zimmer angekommen schloss ich die Tür. Mitten im Raum blieb ich stehen. Ich überlegte, was ich nun tuen sollte. Meine Stimmung war nun doch etwas getrübt. Eigentlich sollte ich es ja gewohnt sein, dass meine Eltern oft arbeiten, doch irgendwo tief in mir drin spürte ich jedes mal diese Trauer und Einsamkeit. Sie war kalt und erbarmungslos, doch ich hatte mich mittlerweile daran gewohnt.

Ich beschloss mich nun doch umzuziehen und einwenig rauszugehen, um mich selbst auf andere Gedanken zu bringen. Als ich fertig war schnappte ich mir wieder Gabriel's Jacke und steckte in eine der Taschen mein Handy, dann ging ich die Treppen hinunter. An der Tür zog ich mir meine blauen Converse an und schnappte mir den Schlüssel aus der Schale. Bevor ich allerdings entgültig das Haus verließ lief ich noch schnell zum Fuß der Treppe und schrie:

„Mama, Papa. Bin draußen. Hab mein Handy mit. Ihr braucht für mich nichts zu Mittagessen machen. Ich besorg mir was unterwegs." Dann rannte ich zu Tür und war kurze Zeit später auch schon aus der Tür. Ein kühler Wind wehte um meine Beine.

Ich ging den Weg hinunter, den ich auch gestern in der Nacht gegangen war. Ich kam wieder auf den selben kleinen Feldweg, er wirkte weit weniger mystisch als gestern. Er wirkte schon beinahe etwas langweilig. Vielleicht schraubst du auch nur deine Erwartungen zu hoch. Er wird sicher nicht noch einmal hinter dir auftauchen.

Unbeeindruckt von meinen eigenen Gedanken ging ich weiter und ließ die Landschaft an mir vorbeiziehen. Ich ging immer weiter den Weg entlang, keine Ahnung wohin er mich führte.

Langsam ließ ich meine Hand in die Jackentasche gleiten und holte mein Hand heraus. Um die Hülle waren meine Kopfhörer gewickelt. Vorsichtig entwirrte ich sie und steckte mir die Hörer in die Ohren. Ich drehte die Lautstärke voll auf und drehte eins meiner Lieblingslieder auf:


Those times in life we learn to try,

with one intention

Of learning how and when we'll die,

but we can't listen

I wish to God I'd known that I,

I didn't stand a chance

Of looking back and knowing why,

or pain of circumstance



Ich hatte das Lied mal zufällig irgendwo aufgeschnappt und es begann dann mehr und mehr mein Lieblingslied zu werden, auch wenn ich von der Band sonst nichts kannte so liebte ich doch diesen Lied. Es wirkte auf mich immer so hoffnungsvoll. Als würde irgendwo jemand darauf warten mich zu treffen und mir dann zu helfen. Er würde all das Beenden.

You're not alone

We'll brave this storm


Der Weg schien noch ewig so weiter zu gehen. Ich blieb einmal kurz stehen und überlegte, ob ich vielleicht quer durch den Acker laufen sollte. So ähnlich wie Gestern, doch ich ließ es.

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