Sein Geruch

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Langsam lief ich wieder in den Flur und die Treppe hinauf. Im obersten Stock lag mein Zimmer. Ich ließ mich auf das alte Bett meiner Mutter fallen und starrte an die Decke. Da hängt ja immer noch ein Beatles Plakat.

Ich drehte mich zur Seite und kuschelte mich weiter ins Bett. Mein Körper war schwer und ausgelaugt. Sanft strich ich über meinen Bauch und schloss dann meine Augen.

Nein, ich will das nicht. Bitte lass es mich nicht noch einmal sehen. Ich will ihn nicht noch einmal so sehen.

Ich drückte meine Augenlieder fest aufeinander und hielt mir die Ohren zu. In den letzten Wochen hatte ich diesen Traum so oft gehabt und er schien mit jedem mal schlimmer zu werden. Bitte...

Eine ganze Weile verweilte ich so und rührte mich keinen Millimeter. Ich wagte es auch kaum zu atmen. Irgendwann wurde ich allerdings stutzig und wagte es meine Augen einen kleinen Spaltbreit zu öffnen. Um mich herum war es dunkel und ich schien mit angezogenen Beinen im Nichts zu schweben. Ich ließ meine Lieder ganz aufgleiten und sah mich um, doch ich war allein. Langsam glitten meine Hände von meinen Ohren. Es blieb still. Ich ließ meinen Blick wandern, doch es war nichts zu sehen. Schon komisch.

Plötzlich stieg mir allerdings ein vertrauter Geruch in die Nase. Ich schloss für einen Moment meine Augen. Oh nein. Bitte nicht. Ich kann das nicht!

Langsam öffnete ich meine Augen wieder und sah, wie es um mich herum heller wurde. Eine Landschaft baute sich um mich herum auf. Ich sah mich um und beobachtete wie unter mir begann Gras aus dem Nichts zu wachsen. Bäume krochen in die Luft und langsam, wie Wasser begann sich über mir ein Himmel zu bilden. Vorsichtig streckte ich meine Beine aus und berührte vorsichtig den Boden. Ganz sanfter Wind begann um mich herum zu blasen. Ich begann mich am Stand langsam zu drehen und mir alles um mich herum genau anzusehen. Die Dunkelheit war komplett verschwunden und ich war komplett im Wald eingetaucht. Wo bin ich hier?

Dieser süßlich und gleichzeitig leicht bittere Geruch von vorhin war komplett verschwunden und für einen Moment war ich mir nicht sicher, ob ich ihn mir vielleicht nur eingebildet hatte. Nein! Der Geruch war sicher da. Ich kenne ihn inzwischen so gut...ich kann mir das nicht eingebildet haben. - Wäre nicht das erste mal, dass du dir etwas nur eingebildet hast.

Ich schüttelte den Kopf und versuchte den Gedanken zu verdrängen. Erneut ließ ich meinen Blick weiter wandern und versuchte herauszufinden, wo ich hier war. Irgendetwas kommt mir hier seltsam vertraut vor. - Wieso fühlst du dich dann so verloren.


Langsam und mit vorsichtigen Schritten begann ich mich in Bewegung zu setzten. Komplett orientierungslos begann ich durch den Wald zu laufen, da es weder einen Weg, noch sonst irgendeinen Orientierungspunkt gab. Die Bäume waren hoch gewachsen und keine Äste ragten so tief, dass sie mich auch nur ansatzweiße berührten. 

Zunächst lief ich einfach nur gerade aus, doch ich bekam das Gefühl, dass ich nicht wirklich voran kam, als bog ich irgendwann einmal nach oben. Um mich herum sah alles so ziemlich gleich aus und irgendwann blieb ich dann einfach nur noch frustriert stehen. Ich renn hier glaub ich auch nur noch im Kreis.

Plötzlich stieg mir wieder dieser Geruch in die Nase. Mein ganzer Körper begann sich sofort anzuspannen und meine Sinne waren in Alarmbereitschaft. Allerdings sah ich weder etwas vor mir noch hörte ich irgendetwas außergewöhnliches. Nicht einmal den leisesten hauch eines Windes spürte ich auf meiner Haut. Es war beinahe so als würde die Welt um mich herum die Luft anhalten. Nach einer Minute etwa drehte ich mich dann langsam um, doch auch hinter mir befand sich niemand. Der Geruch stieg dennoch weiterhin in meiner Nase. Er muss hier doch irgendwo sein.

Mein Herz schlug deutlich schneller, doch ich versuchte cool zu wirken. Ich wusste genau, dass er hier irgendwo war und mich vielleicht sogar beobachtete. Plötzlich stieß eine starke Böe gegen meinen Rücken und blies mir mein langes Haar ins Gesicht. Sofort begann ich mir die Haare wieder aus dem Gesicht zu wischen und meine Sicht frei zu machen. Dabei drang ein dumpfes Lachen an mein Ohr. Ich hielt meine Haare, die durch den plötzlichen starken Wind wild tanzten, zurück und suchte nach der Quelle des Lachens. Der Duft wurde langsam stärker und mein Herz schlug noch ein kleines bisschen schneller. Wo bist du?

„Hast du deinen Kopf nicht sonst immer in den Wolken?" Rasch drehte ich mich um und folgte der Stimme. Mein Blick wanderte langsam nach oben zu einem der Bäume. Auf einem niedrig sitzenden Ast sah ich dann etwas aufblitzen. Langsam ging ich näher auf den Baum zu und immer mehr einer Silhouette begann sich auszubilden. Ich wusste es!

„Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen." Seine Stimme klang sichtlich amüsiert . Ich hingegen stand versteift da und starrte einfach nur nach oben. In diesem Moment fühlte ich mich nämlich wirklich als hätte ich einen Geist sehen. Immer wieder blitzen vor meinem geistigem Auge Bilder von Gabriel auf, wie er vor mir am Boden lag. Nur noch eine leere Hülle mit Flüssigkeit, die aus seinem Mund tropfte. 
Ich drückte mir eine Hand fest auf den Mund und versuchte so den aufkommenden Schock zu unterdrücken. Gabriel schien meinen Stimmungsumschwung zu bemerken und reagierte erstmal leicht verwirrt. Er begann seinen Kopf leicht schief zu legen und mich mit musternden Augen anzusehen. Er versteht nicht was los ist.

„Miriam?" Erneut blitzen wieder Bilder auf. Gabriel komplett in schwarz auf dem blau Leuchtenden Spinnennetz. Seine Augen die mich durchbohren. Intuitiv wich ich bei diesem Bild einen Schritt zurück. Er hat mir damals schreckliche Angst gemacht.

Gabriels Stirn begann sich leicht in Falten zu legen. Es sah für mich so aus, als wollte er etwas sagen, doch dann drehte er mir plötzlich den Rücken zu. Ich blieb weiterhin stehen und versuchte mit aller Macht meine Gefühle im Zaum zu halten. Sprechen konnte ich in dem Moment kein Wort. Ich bin so schrecklich verwirrt.

Zu viele Erinnerungen, Gefühle und Szenen von diesem einen Traum blitzen gleichzeitig in mir auf. Angst, Freude, Trauer, Wut und noch zahlreiche andere Gefühle begannen in diesem Moment in meinem Körper einen Kampf auszufechten. Jedes von ihnen wollte die Oberhand und sie schienen keine Rücksicht auf Verluste zu nehmen. 
Gabriel begann sich plötzlich wieder zu bewegen und lenkte so wieder meine Aufmerksamkeit auf sich. Er stieß sich von dem dicken Ast ab und sprang zu Boden. Ich hielt währenddessen kurz die Luft an. Zu meiner Überraschung begann er wieder leise zu Lachen und wand sich mir wieder zu. 

„Eigentlich müsstest du von mir inzwischen schlimmeres gewohnt sein." Meine Augen begann fürchterlich zu brennen und ich konnte gerade noch so Tränen zurückhalten.

„Gabriel." Meine Stimme war ganz leise und brüchig, zusätzlich noch gedämpft von meiner eigenen Hand. Er schien mich aber dennoch verstanden zu haben. Auf seinen Lippen zauberte sich ein selbstsicheres Lächeln. 

„Willst du sonst nichts mehr sagen?" Er begann zu lachen, doch ich zuckte nur zusammen. 

Willst du jetzt nichts mehr sagen.

Gabriel bemerkte meine Reaktion natürlich sofort. Er schien nicht zu verstehen was in dem Moment mit mir los war. Wie kann er sich nicht daran erinnern!

„Miriam!?" Ich begann leise zu winseln und noch einen Schritt zurück zu gehen. Du musst dich beruhigen! Das ist nicht nicht das selbe. Lass dich nicht von diesen Bildern in die Irre führen.

Gabriel kam auf mich zu, doch ich wich weiter zurück. Konzentrier dich! Lass dich nicht von Gefühlen leiten
.
„Warum läufts du Weg Miriam?" Nein! Nein! Nein! Das ist nicht der selbe Traum.

So sehr ich auch versuchte mich an diesen Ort zu klammer, immer mehr Bilder flammten auf und begannen langsam das direkt vor meinen Augen zu verändern. Wie in kleinen Ausschnitten begann dieser Albtraum wieder vor meinen Augen abzulaufen. Nur kurz von unterbrochen. Immer fester drückte ich mir die Hand auf den Mund und versuchte alles drinnen zu behalten. Irgendwann hielt meine Körper es allerdings nicht mehr aus.

„Nein...nein...nein!" Ich nahm die Hand hastig von meinem Mund und drückte mir beide fest gegen die Brust. Weg mit euch! Verschwindet!

„Miriam!" Gabriels Stimme wurde immer dumpfer, zu sehr wurde sie von den Schreien in meinem Inneren überlagert. Ich war in diesem Moment schrecklich verwirrt und verzweifelt. Vor meinen Augen begann die Situation immer mehr mit meinem Traum zu verwachsen und es viel mir zunehmend schwerer klar zu denken. Schließlich sah ich wieder Gabriels leeren Körper vor mir liegen und schwarze Augen mit roter Iris die mich anstarrten.

Du hast ihn umgebracht.

„Miriam! Komm zurück!" Ich spürte einen Ruck, beinahe wie ein Blitz. Die Erinnerung an den Traum begann zu zerbrechen, wie ein Spiegel und ich landete mit einem Schlag wieder im hier und jetzt. Mein Körper hatte sich schrecklich verkrampft und ich konnte mich kaum noch rühren. Mit schockgeweiteten Augen sah ich zu Gabriel. Er stand direkt vor mir und ich konnte diesen ganz bestimmten Geruch nun ganz stark riechen. Sein Geruch.

„Gabriel?" Es kam mir alles so surreal vor. In diesem Moment war ich überzeugt davon, dass Gabriel einfach nicht vor mir stehen konnte. Ich war wirklich davon überzeugt, dass ich ihn umgebracht hatte und ich ihn für immer verloren hätte. Wenn ich damals die ganze Wahrheit gekannt hätte, oder eher den Teil den ich jetzt auch weiß, dann hätte ich vielleicht ganz anders reagiert, doch meine Gefühle für diesen Jungen mussten einfach so stark sein. Es hätte sonst sicher nicht funktioniert. 

„Ja!?" Ich begann wieder leise zu winseln und die erste Träne bahnte sich ihren Weg.

„Du bist nicht tot?" Meine Stimme war noch ganz leise und etwas brüchig. 
„
Nein. Ich bin noch hier." Mit diesen Worten brach der Damm und meine Tränen begannen zu fließen. Ich stürzte mich beinahe schon reflexartig nach vorne und schlang meine Arme um seinen Körper. Sein Geruch begann mich zu durchströmen und ich drückte meine Gesicht fest gegen seine Brust und vergrub mich darin.

„Ich hab dich nicht umgebracht." Er sagte nichts, sondern legte einfach nur seine Arme um meinen Körper. Ein umglaubliches Gefühl begann durch meinen Körper zu fließen und mich begann nun nicht einmal mehr die Dunkelheit in mir zu stören.

„Du bist wirklich unglaublich Naiv."

Pregnant Where stories live. Discover now