Süß

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Ich wagte es nicht in den Spiegel zu sehen, aus angst meine Wut nicht kontrollieren zu können. Langsam öffnete ich die Tür zu meinem Zimmer, die Luft darin fühlte sich etwas kühler an und meine Haut begann leicht zu kribbeln. Mein Blick glitt zu dem Fenster. Kaum Licht schien hindurch zu fallen. Eine dicke graue Wolkendecke war auch heute wieder über den Himmel gezogen und schien die zu meiner Stimmung passende Umgebung zu schaffen.

Ich lief zu meinem Schrank und holte eine rot karierte Jogginghose und ein schwarzes kurzärmliches T-Shirt heraus. Meine ganze Kleidung verteilte ich auf meinem Bett und ließ das Handtuch langsam von meinem Körper rutschen, dabei flossen einige Wassertropfen aus meinen Haaren meinen Rücken hinunter. Ich begann zu zittern. Das fühlt sich an wie eine ganz zarte Berührung.

Ich schüttelte meinen Kopf und versuchte es zu verdrängen. Eilig schlüpfte ich in meine Unterhose und dann in meine Hose. Als ich mir dann das T-Shirt überzog hörte ich es leise Klippern. Ich sah zu Boden und fand nur unweit von mir einen kleinen silbernen Ohrring. Ich zog den Saum des T-Shirt über den Bund meiner Hose und beugte mich Richtung Boden. Das Metall war noch leicht feucht als ich es aufhob, als ich mich dann aufrichten wollte viel mein Blick auf etwas weiter vor mir. Vor einiger Zeit hatte ich meinen alten Standspiegel ja wieder heraus geräumt und ihn nie wieder verstaut. Nun leuchteten mir zwei grell strahlende Augen entgegen. Noch auf mein Spiegelbild fixiert richtete ich mich wieder, dabei wanderte mein Blick unbewusst zu der nun schon mehr als deutlich zu erkennenden Wölbung unter meinem T-Shirt. 
Der Anblick begann puren Hass in meinen Kreislauf zu spritzen. In meinem Körper wächst die Brut des Teufels heran. Wird es genauso ein Monster wie er? Wird es Menschen töten und alles um mich ins verderben stürzten? Vielleicht sogar mich töten? Ob meine Eltern wohl doch recht hatten....hätte ich es abtreiben sollen?

Erschrocken von meinen eigenen Gefühlen und Gedanken wich ich zurück. Eilig schüttelte ich meinen Kopf. Was denkst du den da! Unmöglich können das meine Gefühle sein! Ich wollte dieses kleine Wesen doch beschützen und jetzt kann ich es doch nicht einfach so hassen! Es muss nicht wie sein Vater werden.

Der Hass floss weiter durch meinen Körper und brachte ihn zum beben. Ich versuchte mich zu wehren und diese Gefühle nicht zuzulassen. Ich habe für dieses Kind gekämpft! Mich sogar gegen meine Eltern gestellt und meinen Vater so verloren. Unmöglich kann ich jetzt hassen! Wie soll ich etwas hassen, dass noch nicht einmal geboren wurde.

Du kannst es doch spüren oder? Dieses kleine Wesen, dass in dir heranwächst. Es ist seine Verbindung zu dir. Solange du es bei dir behältst wird er dich auch nie in ruhe lassen.

Diese Gedanken schienen absolut schrecklich. Es durften einfach nicht meine sein. Ich drückte meine fest angespannten Fäuste gegen meinen Kopf und versuchte diese Gedanken auszusperren. Ich hasse mein Kind nicht!


Warum schaffst du es dann nicht diese Gedanken auszusperren? Ist es nicht dein sehnlichster Wunsch ihn zu vergessen? Hattest du nicht selbst die ganze Nacht Albträume?
Hört doch alle auf in meinem Kopf herum zu spuken!
Lasst mich in ruhe! Ich will das nicht.


Mein Spiegelbild begann mir böse entgegen zu funkeln und seinen Bauch zu streicheln.
Es hat dich in die Dunkelheit geholt und deinen Geist für Lucifer zugänglich gemacht. Diese kleine Kind wird sein stärkster Knecht.

Hör auf!

Ich wich noch ein paar Schritte zurück. Befreie dieses Kind vor seinem Leid und unabkömmlichen Schicksal. Löse den Fluch und schenke ihm nicht noch einen weiteren Knecht, dem es zum Opfer fallen wird. 

Ich kann mein Kind doch nicht umbringen! 

Spürst du nicht den Hass und den Ekel gegenüber diesem Kind. Es wird dich immer an all das Erinnern, was du doch einfach nur vergessen wolltest. Zeig einmal in deinem Leben stärke und befreie diese arme Seele.

Das böse Geflüster wurde in meinem Kopf immer lauter. Unaufhörlich schlug es mit Worten auf mich ein, die mich an meiner eigenen Vernunft zweifeln ließen. Es war eine unbeschreibliche seelische Folter. 

Töte das Kind!

Nein! 
Töte das Kind!

Nein...

Von zurückgehaltenen Tränen brennenden Augen begannen verzweifelt durch den Raum zu wandern. Mein Blick blieb an dem Tablett mit den Resten meines Frühstückes hängen. Auf dem kleinen weißen Teller lag noch ein Messer, mit dem ich das Croissant aufgeschnitten hatte. Es schien mir gerade zu verführerisch entgegen zu leuchten.

Nimm das Messer!

Töte das Kind.

Immer weiter begann die Stimme das Mantra in meinem Kopf zu wiederholen. Jeder weitere Gedanke wurde langsam in den Hintergrund gedrängt. Mit zitternden Beinen begann ich mich von dem Spiegel abzuwenden. Mit Armen um meinen Körper geschlagen lief ich langsam auf mein Bett zu. Zögerlich, beinahe als würde mich etwas zurück ziehen lief ich weiter. Als der Rand des Bettes gegen meine Knie schlug blieb ich erst stehen. Langsam löste ich eine Hand von meinem Körper und streckte sie aus. Unter Panik und Wut begann sie stark zu zittern. Nur langsam und zögerlich legte ich meine Finger um den Griff des Messers und hob es in die Luft.

Töte das Kind.

In dem wenigen Licht, dass durch mein Fenster zu diesem Moment herein fiel, begann die Klinge zu leuchten. Ich löste auch meine zweite Hand und fuhr mit einem Finger die Klinge entlang. Zunächst kitzelte die Klinge nur leicht meinen Finger, doch mit jedem Millimeter den ich weiter fuhr schien sich die Schneide weiter in mein Fleisch zu drücken, bis die Haut an der Stelle einen riss bekam. Die Klinge riss ihn weiter auf, bis der Schmerz in meinem Gehirn ankam und meinen Finger wegzog. Meine Finger zitterten immer noch, als ich den Finger in die Luft gestreckt etwas drehte, um den Schnitt besser betrachten zu können. Von Dunkelheit angehauchten Blut quoll aus dem Schnitt. Die Schneise war schmal, doch der Tropfen dick. Langsam floss er an meinem Finger hinunter, in meine Handfläche. Ich zog meine Hand näher an mein Gesicht. Die Luft um meine Hand begann ich einzusaugen, um zu sehen, ob mein Blut genauso stank, wie das der Engel. Sein Blut hat süßer gerochen.

Ein leicht bitterer und dennoch angenehmer Geruch stieg mir in die Nase. Du bist nunmal kein Engel.

Ohne darüber nachzudenken leckte ich über meine Hand und führte mein eigenes Blut wieder meinem Körper zu. Erinnerungen an einen so weit entfernt scheinenden Traum stiegen in mir auf. Durch das unheilbringende Mantra in meinem Kopf gelähmt, begriff ich überhaupt nicht, was ich dabei fühlte. Sein Geruch war viel süßer. Ich kann seinen Lebenssaft noch auf meiner Zunge spüren. Warum ist mir damals nicht schon aufgefallen wie gut er geschmeckt hat. Die Versuchung war ja beinahe teuflisch.

Ich hörte auf mein eigenes Blut mir einzuverleiben. Stattdessen kam mir ein schrecklich verhängnisvoller Gedanke. Würde ohne dieses Kind mein Blut ebenfalls so süß schmecken.

Mein Körper hatte nun komplett aufgehört zu zittern. Die Mordlust hatte mich bereits gepackt, als ich wieder einen genaueren Blick auf das Messer warf. Wie sich wohl die Klinge eines Messers in meinem Körper anfühlen würde. Würde das Blut anders aus der Wunde fließen?

Sanft strich ich mit meinem Finger über den Griff und spielte mit dem Gedanken es zu versuchen.

Töte das Kind.

In meiner linken Hand begann ich das Messer zu drehen und die Spitze mich direkt anblicken zu lassen. Meine zweite Hand strich über den Rücken, des doch eher kleinen Messer und legte sich auf den Griff. So und jetzt nur noch...

„Stopp, Miriam!" Eine beinahe schon heilige Stimme ließ das Mantra leiser werden. Langsam sank das Messer, als ich plötzlich eine Hand sah und spürte, die mir gewaltsam das Messer aus den Händen riss. Ich hörte bereits wie klinge auf den Boden knallte und einen dumpfen Klang von sich gab, als sich eine Hand um mein Armgelenkt schlang und mich herum drehte. Die Stelle begann leicht zu brennen. Auch meine zweite Hand wurde ergriffen und ich wurde ganz leicht geschüttelte, doch es reichte um die Stimme zumindest etwas verstummen zu lassen.

„Was ist nur in dich Gefahren Kind?!" Es war Anitas besorgte Stimme, die mich aus der Trance riss.


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