Kein Licht

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Der Bus war an dem Tag überraschend voll, weshalb eine etwas dicklichere Dame neben mir platz nahm. Sie schien recht jung und eigentlich nett zu sein. Ihre Haare waren wasserstoffblond gefärbt und zu einem Dutt nach oben gebunden, einzelne Strähnen legten sich an ihren Nacken. Ihre Augen waren leicht geschminkt mit einem hauchdünnen schwarzen Lidstrich und feinem hellrosa Lidschatten. Ihre Arme steckten in einem zartrosa Blaiser und darunter ein schwarzes Top. In ihren Ohren steckten die kleinen weißen iPhone Kopfhörer. Sie wirkte entspannt. 

Die ganze Fahrt über saßen wir nebeneinander, aber sprachen kein Wort. Mit mir verließ sie dann den Bus und bog nur eine Straße vor meiner Schule ab. Noch Wochen später fragen ich mich, was sie wohl für ein Mensch ist. 

Die Müdigkeit nagte an meinen Kräften. Ich lehnte mich gegen die Wand und schloss in dem einsamen Klassenzimmer meine Augen. Meine Glieder begannen sich taub zu fühlen und alles an mir wurde schwer. Es brauchte sehr viel Kraft, um nicht einzuschlafen und nur in diesem eigenartigen Zwischenstadion zu verharren. Lichtgefüllte Schatten tauchten hinter meinen Lidern auf. Sie begannen durcheinander zu tanzen und sich miteinander zu verbinden, dann sprangen sie wieder auseinander. Es wurden immer mehr, bis sie mein gesamtes Sichtfeld ausfüllten. Das Licht war ganz warm und schien so verführerisch. So schön.

Ich begann mich dem Licht entgegen zu strecken, doch etwas ließ mich zögern, damals wusste ich noch nicht wer es war, doch dieser jemand sollte mich noch retten und mir alles einfach machen.
Mit einem mal brach etwas durch das Licht. Es war dunkel und bildete einen Körper. Neun schwarze Flügel prangten auf dessen Rücken. Ich konnte nicht genau sehe, wer oder was da auf mich zu kam, umhüllt von dem warmen Licht. Es scheint von ihm wegzuspringen, als wollte es den Schatten nicht berühren.

In meinen Ohren begann ein schrilles einzelnes Lachen zu erklingen. Langsam begann es sich zu summieren. Mehr und mehr Stimmen schrieen beinahe schon in mein Ohr. Sie lachten und verspotteten mich. Wieso darf ich nicht in das Licht?
Du bist anders, als die anderen Menschen, deshalb wollen sie dich nicht in ihrem Licht.

Es wurde mit einem mal ganz kalt, das Licht konnte mich nun nicht mehr wärmen. 
Miriam, kleine Prinzessin
Ich erkannte seine Stimme und obwohl ich sie nicht hier haben wollte, wurde es in mir doch ganz warm. Seine Stimme klang nicht so hasserfüllt, wie sonst. Sie erinnerte mehr an den Mann, in den ich mich bereits zweimal verliebt hatte.

Du musst aufwachen. Sie lassen dich sonst nicht mehr zurück.
Das Licht ist so warm.
Warum kann ich nicht einfach zu ihm laufen? Ich kann es leise flüstern hören. Alles klingt so schön.

Dein Leben hat es dir doch schon gezeigt. Vertraue ihren Versprechungen nicht. Öffne deine Augen wieder.
Ich will nicht mehr. Sie tuen mir alle nur weh und lassen mich im Stich, du nicht ausgeschlossen.

Vergiss nicht alles was dich ausmacht. Verlier nicht das kleine Kind, dass hinter dir schreit.

Mit einem mal wurde das Lachen dumpfer und ich begann ein kleines Stimmchen zu hören. Es klang noch etwas kratzig, doch schon laut genug. Mein Herz blieb für einen Moment stehen. Ich hab sie schon wieder zum weinen gebracht.

Wach auf.

„Miriam!" Der Schatten und das Licht verschwanden auf einmal und ich sah Briseis besorgtes Gesicht. Ich riss meine Augen auf und fand mich in dem Klassenzimmer wieder. Im selben Moment öffnete sich die Tür. Schnell setzt ich mich aufrecht hin und so etwas wie Hoffnung stieg in mir auf, doch nicht Briseis trat durch die Tür.


Der restliche Tag verging wieder schleppend und ich kam auch daran vorbei mir die verletzenden Worte von Nina und Sarah anzuhören. Sie schubsten mich zwischen sich her, doch traten wenigstens nicht auf mich ein. 

Die Fahrt nach Hause schien ebenfalls ewig zu dauern. Wie in Zeitlupe schien sich alles an mir vorbei zu ziehen. Der Tag war relativ lang gewesen und als ich nach Hause kam gab es auch schon Essen. Ich saß mit meinen Eltern und Anita am Tisch. Mein Vater hob seinen Blick nicht einmal von seinem Teller und Mama und Anita versuchten ein Tischgespräch zum laufen zu bringen. Wenigstens hassen sie mich.
Anita schien seit dem Vorfall distanziert, doch seit beginn der Woche begann sie sich wieder mir zu nähern und ich konnte wieder mehr ihre Nähe spüren. Irgendwie schien sie zu wissen, dass es mir schlecht ging. Sie hat es eigentlich schon immer gewusst, auch wenn sie mit mir kein einziges Mal darüber sprach.
Meine Mutter schien meine Nähe auch mehr zu suchen, als sonst. Einwenig genoss ich es, gleichzeitig musste ich mich so noch mehr zurück ziehen. 
Nach dem Essen verschwand mein Vater oben in seinem Arbeitszimmer, genauso wie Mama. Ich entschloss mich Anita beim Aufräumen zu helfen, als es plötzlich laut an der Tür klingelte. Etwas unheilvolles lag in dem Geräusch. Es klang hektisch und verängstigt. Langsam lief ich zur Tür und zögerte für einem Moment. Mit schnell klopfenden Herzen legte ich meine eine Hand um die Klinke und mit der anderen drehte ich den Schlüssel im Schloss einmal herum. Ich riss die Tür auf und erstarrte, als ich sah wer da vor mir stand.
Es hatte, wie so oft in der letzten Zeit wieder geregnet, und die letzten Tropfen fielen zu Boden. Kaum fünf Schritte vor mir stand Briseis. Ihre Haare waren feucht und schwer vom Regen. Ihre braunen Augen waren fahl und ihr Gesicht blass mit geröteten Augen und wagen. Eine leichte Tränenspur zog sich über ihr Gesicht. Sie schien mit ihrer Hand oft über ihr Gesicht gewischt zu haben. 
Ich brachte kein Wort heraus. Gefühle von Freude und Verrat kamen in mir hoch und ließen mich erstarren. Erneut begannen mehr und mehr Tränen aus Briseis Augen zu quellen.

„Mein Bruder..." Ich Stimme und ihre Lippen bebten. Sie schluchze und sah mich ganz verzweifelt an. Langsam löste ich meine Hand von der Tür und trat einen Schritt auf sie zu. Sie kam mir ebenfalls näher und sank gegen mich. Ihr ganzer Körper begann zu zittern und sie schien erschöpft. Hinter mir begann ich mit einem mal Schritte zu hören. Ich drehte meinen Kopf leicht nach hinten und sah Anita. Sie schien verwirrt.

„Sie ist ganz nass..." Mehr brachte ich nicht heraus, doch Anita kam sofort angerannt und half mir, die in sich zusammensinkende Briseis oben zu halten. Sie schluchzte weiter.


„Er will die Augen einfach nicht mehr aufmachen." Am liebsten hätte ich sie in mein Zimmer gebracht, doch sie schien keine Kraft mehr in ihren Gliedern zu haben, also brachten Anita und sie zur Couch. Ich sank mit ich auf die weichen Polster und hielt sie fest während sie schluchzte. Anita flitzte währenddessen in die Küche und setzte Tee auf, dann lief sie in mein Zimmer und holte frische Sachen für Briseis und ein paar Handtücher um sie einzuwickeln. 

Ich half ihr ins Gästebadezimmer und blieb im Zimmer während sie in der Kabine duschte, aus angst sie würde gleich zusammen brechen. Sie sprach kein Wort und sagte auch nichts, da ich am Besten wusste, dass sie das jetzt am wenigsten brauchte. Eine halbe Stunde später hatten wir es in mein Zimmer geschafft. Gemeinsam saßen wir auf meinem Bett mit Tee, der dampfend neben uns stand, während Briseis weiter weinte. Sie hatte endlich wieder begonnen zu sprechen, was mich trotz der Geschichte etwas erleichterte.

„Am nächsten Morgen ist er immer noch nicht aufgewacht. Seine Stirn war ganz heiß und er hat immer wieder laut im Schlaf geschrien." Ihr Gesicht drückte sich fester in ihre Hände.

„Es klang als würde er verbrennen... Wir brachten ihn mit einem Krankenwagen ins Krankenhaus. Jeden Tag war ich dort und habe gewartet Stunden lang und versuchte nicht einzuschlafen, damit er mich als erstes sah, wenn er aufwachte..." Sie sah mich an.

„Ich kann nicht mehr schlafen." Wieder nahm ich sie in den Arm und ließ sie weinen. Das ist alles meine Schuld. All das hätte nicht passieren müssen.

„Es tut mir so leid Briseis...Ich wünschte ich könnte etwas..."Vielleicht kann ich ja...

Langsam hob sie ihren Blick und sah mich dankend an. 

„Er war schon immer ein komisches Kind gewesen. Früher war er schrecklich krank. Die Ärzte gaben ihm nicht sehr lange...dann ging es ihm aber mit einem mal immer besser und er begann so etwas wie eine normale Kindheit zu haben." Mit ihrer Hand wischte sie sich über die tränenverschmierten Wangen.

„Ich versteh einfach nicht wieso..." 


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