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Saftiges grün erstreckte sich über die irischen Highlands. Der Himmel war strahlend blau. Nur ein paar kleine Wolken am Himmel warfen Schatten. Nahe einer Steilküste war eine lange Tafel aufgestellt, an der einige Gäste in Anzügen und wunderschönen Sommerkleidern bereits Platz genommen hatten. Ein Meer aus gelben Blumengesteckte schmückte den Weg zu einem Pavillon, unter dem ein junger Mann in einem Anzug wartete. Hannah beobachtete diese Person. Sie konnte nicht erkennen, wer da vorne stand, aber seine Rückansicht konnte sich sehen lassen. Sie hörte mehrmals ein klopfen, da eine junge Frau mit blonden Haaren um Ruhe für eine Rede bitten wollte. „Hannah?", hörte sie jemanden sagen und die Frau klopfte erneut auf den Tisch. „Hannah?".

Langsam öffnete Hannah die Augen und blinzelte an die Decke ihres Zimmers. Sie musste sich kurz orientieren wo sie war, bis sie erkannte, dass sie geträumt hatte. Wieder klopfte es, diesmal jedoch an der Tür: „Hannah? Bist du schon wach?" Als Hannah brummte, öffnete sich die Tür und Maite kam mit einem Tablett rein. „Immer noch die alte Langschläferin. Guten Mittag!" Sie setzte sich auf die Bettkante und reichte ihr eine heiße Tasse Tee. Hannah raffte sich auf und nahm dankend die Tasse entgegen. „Wie hast du geschlafen?", fragte Maite und nahm selbst einen großen Schluck von ihrem Kaffee. „Super! Du hast mir nur meinen Traum versaut. Ich glaube, ich war auf einer Hochzeit hier in Irland." „Uhh und wer hat geheiratet? Du und Ben?", fragte Maite und wartete gespannt auf Hannahs Antwort, die in ihren Tee lachte: „Ich weiß es nicht. Der Typ hatte kurze braune Haare, also bestimmt nicht Ben. Die Braut habe ich nicht gesehen. Und nur mal so nebenbei. Ben und ich heiraten bestimmt nicht." „Warte, wie war das?" Maite imitierte Hannah mit einer piepsigen Stimme: „Kathy, wenn ich älter bin will ich auch mal Heiraten und Kinder haben." Hannah lachte und bewarf Maite mit einem Kissen. Sie konnte gerade noch aufstehen, um ihre Tasse in Sicherheit zu bringen. „Damals! Damals wollte ich auch ein Pony. Jetzt will ich mich erstmal auf mein Studium konzentrieren und Karriere machen, Maite. Ich bin viel zu jung, um an so etwas zu denken, aber wenn ich mir dich so ansehe...du in der Küche, ein Mann, für den du kochst, und zwei quenglige Kellykinder stehen dir auch sehr gut." Maite streckte ihr die Zunge raus: „Das wird in naher Zukunft auch nicht passieren. Magst du dann runterkommen, wenn du fertig bist? Heute ist am Hafen Markt und die haben wunderbaren Räucherfisch." Hannah nickte: „Gib mir ein bisschen Zeit, in Ordnung?" Als Maite aus dem Zimmer ging, trank Hannah genüsslich ihren Tee und schaute sich im Zimmer um. Es war in einem englischen Landhausstil eingerichtet, für Hannahs Geschmack zu kitschig, trotzdem war es sehr gemütlich. Seufzend quälte sie sich aus dem weichen Bett und machte sich für den Markt fertig.

Unten angekommen wartete Maite auch schon ungeduldig. „Los, komm. Ich halte es heute echt nicht aus." Schnell schlüpfte Hannah in ihre Sneakers, schnappte sich ihre Jacke und eilte mit Maite nach draußen: „Was ist denn los?", fragte sie irritiert, während Maite sie immer weiter vor sich her schob. „Glaub mir, ich liebe meine Familie wirklich, aber ich halte es zurzeit mit Paddy einfach nicht aus. Du kannst gar nicht mehr normal mit dem reden. Entweder er redet gar nicht mit dir und wenn er mit dir redet, schnauzt er einen nur an." Als die beiden einige Meter zurückgelegt hatten, verlagsamte sich Maites Schritt und atmete erleichtert aus. „Geht's wieder?", fragte Hannah vorsichtig. „Ja, ich lasse mir von dem doch nicht die Laune verderben." Sie hakte sich bei Hannah unter und zusammen schlenderten sie zum Hafen. Es war echt windig und dadurch etwas kühler als Hannah dachte, doch das verdarb ihre Stimmung nicht. Auf dem Markt aßen sie Fish and Chips und besorgten den von Maite hoch angepriesenen Räucherfisch. Hannah erblickte eine kleine Boutique, die im Schaufenster Schals und Mützen zu liegen hatte: „Können wir da nochmal rein gehen? Ich glaube eine Mütze bei dem Wind wäre nicht schlecht." Maite nickte und so betraten sie das kleine Geschäft. Beide hatten eine Menge Spaß und probierten neben Mützen auch weitere Kleidungsstücke an: „Das sieht doch super aus!", merkte Maite an, als Hannah in einem knielangen Kleid aus dunkelblauem, dickem Baumwollstoff aus der Umkleidekabine kam. „Meinst du wirklich? Ist das nicht zu gewagt?" Hannah betrachtete sich im Spiegel von allen Seiten. Das Kleid besaß einen runden weit ausgeschnittenen Kragen, so dass die Schultern gerade so bedeckt waren und betonte Hannahs schlanke Figur. „Ach Quatsch! Das ist wunderbar so wie es ist. Wenn du es nicht kaufst, kaufe ich es dir!", drohte ihr Maite an. Sie betrachtete sich nochmal im Spiegel. „Also gut überredet." Maite und Hannah bezahlten ihre Beute und verließen mit vollen Taschen die Boutique. Neben dem Kleid ergatterte Hannah eine graue Baumwollmütze und einen dicken cremefarbenen Wollpulli mit Zopfmuster, den Maite ebenfalls in einer anderen Farbe kaufte.

Gemeinsam schlenderten sie an der Küste entlang und genossen die Sonne. „Ist das nicht eine schöne Ruhe?" Maite streckte ihr Gesicht gen Himmel und schloss die Augen. Dabei atmete sie wohlwollend ein und aus. „Die Auszeit habt ihr echt gebraucht, oder?", fragte Hannah und musterte Maite von der Seite, die nickte. „Wir sind alles irgendwie etwas angeschlagen. Barby verschließt sich immer mehr. Ich habe das Gefühl, sie hat keinen Spaß mehr auf der Bühne. Sie war ja immer en bisschen schüchterner, aber jetzt? Die großen Hallen gefallen ihr gar nicht. Patricia geht es gesundheitlich auch nicht so gut. Es ist doch alles sehr belastend." „Warum macht ihr nicht einfach mal eine längere Pause? Die würde sicherlich euch allen gut tun oder nicht?", fragte nun Hannah. „Schön wäre es. Es ist aber alles nicht so einfach. Und die Konzerte machen ja trotzdem noch irgendwie Spaß", sagte Maite wahrheitsgemäß. Eine Weile gingen die beiden schweigend nebeneinander her, ihren Gedanken nachhängend. Kurz bevor sie am Haus angelangt sind, kam ihnen Sean mit einem Fahrrad entgegen, der Maite freudestrahlend begrüßte. „Du bist doch sicherlich nicht alleine unterwegs, oder?", fragte Maite, als Sean sie mit dem Fahrrad umkreiste. „Nein natürlich nicht Tante Maite." Seine piepsige Stimme fand Hannah nur zu süß. „Und mit wem bist du unterwegs?" Maite suchte nach einem Verwandten und sah von weiten, wie Joey und Paddy ihnen in Sportsachen entgegenkamen. „Ah ich verstehe, ihr macht ein bisschen Sport?" Sean nickte und fuhr Paddy und Joey entgegen. Maites Brüder machten vor ihr halt, Joey mit einem Lächeln im Gesicht und Paddy, der grimmig dreinblickte. „Na Mädels, sollen wir auf euch warten und ihr lauft eine Runde mit?" Maite schüttelte lachend den Kopf: „Sport ist Mord." Joey sah fragend zu Hannah, die ernsthaft überlegte, jedoch ebenfalls ablehnte: „Mit euch kann ich doch gar nicht mithalten." „Ach, Paddy hängt auch immer hinterher. Deswegen haben wir auch Sean mitgekommen, damit er ihn später nach Hause fahren kann." Paddy warf Joey einen grimmigen Blick zu, sagte jedoch nichts. „Also dann, bis später. Los Paddy, auf geht's!" Joey joggte im mäßigen Tempo drauf los. Paddy rollte mit den Augen und versuchte Joey einzuholen. Hannah schaute Paddy hinterher. „Sag mal Maite, macht Paddy das freiwillig?", wollte sie von ihrer Freundin wissen. Maite zuckte mit den Schultern: „Keine Ahnung, immerhin kommt er mal raus und bewegt sich ein wenig."

Paddy ließ sich den Rest des Tages nicht mehr blicken. Maite und Hannah ließen den Abend mit ein wenig Wein ausklingen und unterhielten sich ausgiebig. „Das habe ich mal gebraucht. Einen richtig schönen Mädelstag", grinste Maite und nippte an ihrem Wein. „Du sagst es.", stimmte ihr Hannah zu. Ihre Unterhaltung wurde von Angelo gestört, der mit einem Handy in der Hand auf sie zuging: „Bevor Paddy dieses Ding noch gegen die Wand klatscht. Es piept und klingelt die ganze Zeit. Ich glaube da versucht dich jemand zu erreichen." Angelo grinste und reichte Hannah ihr Handy. „Oh fuck. Ich habe ganz vergessen Ben anzurufen." Mit hochrotem Kopf verschwand sie in ihrem Zimmer und wählte Bens Nummer.

Zwischen Liebe und FreundschaftWhere stories live. Discover now