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Es war bereits Mittag, als sich die ersten in der Küche blicken ließen, um sich entweder einen starken Kaffee zu machen oder nach etwas Nahrhaften zu suchen. Hannah wurde von einem dröhnenden Geräusch geweckt, das ihr in den Ohren nachhallte. Normalerweise hatte sie immer einen sehr tiefen Schlaf, doch die Feldarbeiten, die mitten vor ihrem Fenster stattfanden, konnte sie nicht mehr ausblenden. Genervt versuchte sie wieder in den Schlaf zu finden und wälzte sich im Bett hin und her, bis sie sich geschlagen gab und völlig entnervt an die Decke starrte. Wenn sie nicht wüsste, dass Maites Zimmer direkt nebenan ist, wäre sie zu Maite rüber gegangen und hätte da weitergeschlafen, als ihr ein Geistesblitz kam. Verschlafen stand sie auf und schlich den Flur entlang. Als sie das gewünschte Zimmer erreichte, zögerte sie kurz und überlegte, ob sie vorher anklopfen sollte oder nicht. Sie entschied sich jedoch dagegen und schlüpfte leise durch den Türspalt. Das Zimmer war dunkel und zu Hannahs Erleichterung auch ruhig. Langsam ging  sie auf das Bett zu und musterte Paddy, der seelenruhig schlief. Sie lächelte, legte sich behutsam unter die Decke und gönnte sich zufrieden noch ein bisschen Schlaf.

Verschlafen drehte sich Paddy auf die andere Seite. Er fühlte sich total gerädert und wollte einfach weiterschlafen, als er mit seiner Hand einen anderen Körper ertastete. Mit weit aufgerissenen Augen schaute er zu seiner Rechten und erkannte Hannah, die ihren Kopf auf ihre Unterarme gebettet hatte und leise vor sich hin schnarchte. Etwas verwirrt, aber auch zu müde, um sich zu fragen, wie Hannah hierhergekommen war, ließ er seinen Arm auf ihrer Hüfte ruhen und machte wieder die Augen zu. Als Paddy später am Tag wach wurde, blinzelte er und schaute in zwei große blaue Augen, die nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt waren. „Guten Morgen, du Schnarchnase!" Hannah lächelte ihn an, ohne sich zu regen. Ohne darüber nachzudenken, zog Paddy Hannah an sich, die sich nicht wehrte: „Guten Morgen, Murmeltier." Er löste seine Umarmung ein wenig. „Sag mal, was machst du eigentlich in meinem Bett?" Hannah lächelte verlegen und erklärte ihm wie es zu dem Besuch gekommen war. „So ist das also. Das ist hier alles also nur Mittel zum Zweck, damit das größte Murmeltier auf der Welt noch ein wenig Schlaf abbekommt." Hannah grinste und nickte. Paddy lachte: „Und hatte die Dame noch einen angenehmen Schlaf?" „Nachdem du aufgehört hast zu schnarchen, ja." „Wie bitte? Du hast geschnarcht! Wie ein Bär." Paddy drehte sich auf den Rücken und imitierte laute Schnarchgeräusche. Hannah lachte und bewarf ihn mit einem Kissen. Er packte sie darauf und fing an sie zu kitzeln. Dabei versuchte sich Hannah zu wehren, was nicht gelang. Mit einem Satz befand sich Hannah auf ihm und Paddy hörte auf sie zu kitzeln und schaute sie verliebt an. Sie war ganz außer Atem und lächelte auf ihn herab. Währenddessen stemmte sie sich mit ihren Unterarmen hoch, so dass sie rittlings auf ihm saß: „Sind wir jetzt quitt?" Paddy setzte sich ebenfalls auf. Die Spannung zwischen ihnen war für ihn nicht länger zu ertragen. Am liebsten hätte er sie an sich gezogen und geküsst, doch sein Verstand und seine Moral meldeten sich zum richtigen Zeitpunkt und appellierten an seine Vernunft. „Ausnahmsweise." Er zwinkerte Hannah schelmisch zu und schaute anschließend verlegen an ihr vorbei. Schell stieg Hannah aus dem Bett: „Dann ist ja gut." Sie beugte sich noch einmal zu Paddy: „Du Scharchnase!" Mit diesen Worten verließ sie Paddys Zimmer, der ihr ein Kissen hinterherwarf, was sie kichernd zur Kenntnis nahm. Hannah kicherte vor sich hin und bemerkte nicht, dass Angelo ihr entgegenkam: „Hey...sag mal, kommst du nicht gerade aus dem falschen Zimmer?" Sie zuckte mit den Schultern, ging an ihm vorbei, um sich in ihrem Zimmer umzuziehen und ließ Angelo völlig perplex im Flur stehen.

Nachdem Hannah sich für den Tag zurecht gemacht hatte, ging sie nach unten und bemerkte, dass alle mehr oder weniger erholt aussahen. Jimmy lag auf dem Sofa und döste vor sich hin und auch Joey sah sehr blass aus. Selbst John, der im Gegensatz zu seinen Geschwistern die Feier relativ früh verlassen hatte, saß in sich gekehrt in einem Sessel und trank einen Kaffee. Nur Sean, der mit einem Feuerwehrauto spielte, war bester Laune. Hannah begrüßte die Männerrunde, die nur ein Nicken und Brummen von sich gaben und machte sich auf in die Küche, wo Patricia und Maite saßen: „Guten Morgen Dancing queen!" Patricia lächelte Hannah freudig an. Sie erwiderte Patricias lächeln und schenke sich etwas von dem Tee ein. „Scheint, als ob alle noch ein bisschen geschafft sind von der Party, was?" Maite lachte: „Das ist wohl wahr. Du siehst aber auch noch ziemlich verschlafen aus. Dass du bei dem Lärm schlafen konntest. Respekt." Hannah zuckte mit den Schultern: „Ich bin auch davon wach geworden, hab mich dann aber in Paddys Zimmer gelegt." Patricia schaute Hannah fassungslos an, Maite verschluckte sich an ihrem Tee: „Und wo hat Paddy dann geschlafen?" „Na auch in seinem Zimmer. Wo denn sonst?" Patricia fing an zu lachen: „Ihr beide...was soll ich dazu noch sagen. Ihr toppt wirklich alles." Sie stellte ihre Tasse in die Spüle und verließ die Küche. Maite rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her. Sie biss sich auf die Zunge, damit sie nicht aus Versehen irgendetwas von Paddy preisgab. Auf der anderen Seite wollte sie Hannah am liebsten schütteln und ihr klar machen, was Sache ist. Als Hannah Maites Nervosität bemerkte, stellte sie genervt ihre Tasse ab und setzte sich zu ihr: „Ok, Maite. Hau es raus. Was ist los? Was passt dir nicht?" Maite sah Hannah erschrocken an: „Was meinst du?" „Du, ich kenne dich nun auch schon eine Weile und weiß, wenn dir der Schuh drückt." „Es ist nichts, wirklich", versuchte sie ihrer Freundin weiß zu machen. „Komm, verarsch mich doch nicht." Maite atmete tief ein: „Ok, ich glaube so langsam geht das mit dir und Paddy zu weit. Zufrieden?" Hannah schaute Maite entgeistert an: „Wie meinst du das?" Flehend blickte sie Hannah an. „Ich kann es dir nicht erklären, aber vielleicht solltest du solche Zuneigungen zu Paddy nicht mehr so ausleben. Bitte vertrau mir. Glaub mir, es ist für euch beide besser." Normalerweise würde Hannah trotzig reagieren und ihren Dickkopf raushängen lassen, aber irgendetwas in Maites Stimme verunsicherte sie. Maites Worte klangen so eindringlich, dass sie sich zusammenriss: „Ich verstehe dein Problem nicht, sonst hat dich doch so etwas auch nicht gestört." Maite versuchte krampfhaft die Situation zu erklären ohne, dass sie zu viel verraten würde. „Es stört mich eigentlich auch nicht, aber..." „Aber?", hakte Hannah nach. Maite seufzte. Ihr fiel einfach kein Grund ein, den sie Hannah ohne schlechten Gewissen auftischen konnte. „Vertrau mir einfach. Ich will einfach nicht, dass ihr euch etwas sehr Wertvolles kaputt macht." Nun war Hannah noch verwirrter und verstand gar nichts mehr, ließ die das Thema jedoch fallen, auch wenn es sie brennend interessierte, was Maite da so verheimlichte.

Die verkaterte Stimmung hielt den ganzen Nachmittag. Maite und Barby zwangen sich in die Küche, um ein leckeres Irish Stew zu zaubern, das die müden Geister wecken sollte. Vor allem sollte es dazu beitragen, dass die ganze Familie mal wieder zusammen zu Abend isst. „Leute! Essen ist fertig!", ertönte es aus der Küche. Nach und nach kamen alle Geschwister aus ihren Zimmern und setzten sich an den großen Tisch. Das deftige Essen hob bei allen die Stimmung; Joey bekam wieder eine gesunde Gesichtsfarbe und auch Jimmy war wieder bereit Witze zu reißen. Gemeinsam ließen sie die gestrige Party Revue passieren, lobten das gute Essen, das Maite zubereitete. Die gesamte Familie ließ den Abend in der Küche ausklingen, ehe jeder einzelne von ihnen relativ früh zu Bett ging.

Zwischen Liebe und FreundschaftWhere stories live. Discover now