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Nach dem duschen ging es Hannah ein wenig besser. Es ärgerte sie, dass sie Maite nicht erreichen konnte, doch irgendwie musste sie nun selbst mit der Sache fertig werden. Fest entschlossen das Beste aus der Situation zu machen, riss sie die Badezimmertür auf, was von Sandra nicht unbemerkt blieb. Sie öffnete ihre Zimmertür und starrte auf Hannah, die mit verquollenen Augen vor dem Badezimmer stand und erschrocken zu Sandra sah: „Ist bei dir alles in Ordnung? Hast du geweint?" Hannah versuchte sich aus der Situation zu retten. Sie mochte Sandra wirklich gerne, doch dafür war sie in ihren Augen nicht der richtige Ansprechpartner. „Ja, alles ok. Ich bin nur auf etwas gestoßen. Ist nicht weiter schlimm." Sandra kannte diese Art von Hannah. Während der Schulzeit kam es öfter mal vor, dass sie sie verweint in einer Ecke angetroffen hatte. Allerdings hat je jemand den Grund für ihr Weinen erfahren. Es war einfach so und alle ließen Hannah in Ruhe. Sandra versuchte sich nichts anmerken zu lassen und versuchte das Thema zu wechseln: „Wollen wir später vielleicht mit Nora und Nicole etwas trinken gehen?" Erleichtert und dankbar nickte Hannah: „Das klingt wunderbar. Ich rufe die beiden gleich mal an." Mit diesen Worten ging Hannah wieder in ihr Zimmer und atmete tief durch. Als Hannah den Brief auf dem Boden liegen sah, nahm sie diesen und ließ ihn in der Schublade ihres Nachttisches verschwinden. Seufzend schmiss sie sich aufs Bett und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hatte, telefonierte sie mit Nora und Nicole und verabredete sich für heute Abend in ihrem Stammlokal.

„Da seid ihr ja endlich!", begrüßte Nora Sandra, Hannah und Nicole, als sie den vollen Pub betraten und auf einen Tisch in der Ecke zusteuerten. „Wir wären ja schon viel früher hier gewesen, wenn Mrs. „Meine-Haare-Sitzen-nicht-richtig-und-brauchen-noch-mehr-Haarspray" nicht so lange vor dem Spiegel gestanden hätte", erwiderte Hannah und schaute genervt zu Sandra, die unschuldig ihre Hände hob: „Ich kann nichts dafür, Bad-Hair-Day." Die Mädchen lachten und bestellten sich etwas zu trinken. Der Abend war sehr entspannt und auch Hannah konnte den Abschiedsbrief von ihrem Bruder verdrängen. Nach einer Weile war auch wieder die Trennung von ihr und Ben Thema, so dass sie nun auch Nora und Nicole die ganze Story erzählen musste. Sandra mischte sich ebenfalls ein und grinste schelmisch: „Ist aber alles nicht so schlimm. Paddy ist da um sie zu trösten." Hannah trat Sandra unter dem Tisch gegen ihr Schienbein. „Aua, was sollte das denn? Ist doch nichts dabei." Hannah wurde rot und nippte an ihrem Getränk. „Haben wir das etwas nicht mitgekriegt?" Bevor Hannah antworten konnte, plapperte Sandra drauf los: „Nichts, was wir eh schon wussten. Hannah bändelt mit Paddy an. Endlich!" Nicoles Augen fingen an zu strahlen. „Nicht dein Ernst? Wie cool ist das denn?" „Können wir das bitte nicht an die große Glocke hängen und das Thema wechseln?" „Was ist denn das jetzt zwischen dir und Paddy?" Hannah seufzte. An diesem Thema kam sie jetzt nicht so einfach drum rum. Sie erzählte ihren Freundinnen die Kurzfassung, so dass diese zufrieden waren und nicht weiter nachharkten. Dabei schaute sie immer wieder böse zu Sandra, die Hannahs Kurzfassung mit ihrem Wissen ausschmückte. Nachdem das Thema Paddy, zu Hannahs Erleichterung, vom Tisch war und nun Sandra über ihren Urlaub ausgefragt wurde, entschuldigte sie sich und ging nach draußen, um einmal durchatmen zu können. Sie selbst hielt ihre eigenen Gedanken nicht mehr aus und schrieb Maite eine SMS, dass sie, egal wie spät es ist, heute auf jeden Fall noch anrufen sollte. Einige Minuten verweilte Hannah mit ihrem Handy in der Hand vor dem Pub, bis sie es einsah, dass nicht sofort mit einer Antwort von Maite zu rechnen war, und gesellte sich wieder zu ihren Freundinnen, die laut über Sandras Anekdoten aus dem Urlaub lachten.

„Na das war doch ein gelungener Abend." Sandra schmiss sich aufs Sofa und streckte ihre Gliedmaßen von sich. „Ja, das war es", entgegnete Hannah, „Sei mir nicht böse, aber ich muss ins Bett. Schlaf schön." Sandra wünschte ihr ebenfalls eine Gute Nacht und zappte noch durch die Programme, während sich Hannah in ihr Zimmer verkroch. Gefühlt jede Minute schaute sie auf ihr Handy, in der Hoffnung, dass es klingelte bis sie nach einer gefühlten Ewigkeit erlöst wurde und Maite anrief. „Na endlich, ich dachte du rufst gar nicht mehr an." Erleichtert ließ sich Hannah in ihre Kissen sinken. „Das ist ja mal eine nette Begrüßung. Ist alles in Ordnung bei dir?" „Nein...also...ja...ach ich weiß auch nicht. Ich habe da was gefunden." Hannah nahm den Brief aus der Schublade und las Maite den Brief vor. Dabei kämpfte sie wieder mit den Tränen. „Wenn jemand das gewusst hätte. Depressionen lassen sich doch behandeln. In meinem Kopf ist ständig nur die Frage, was wäre, wenn. Weißt du was ich meine?" Einfühlsam hörte Maite zu und ließ Hannah einfach reden und ihre Gedanken ordnen. „Ach Hannah, ich kann dich gut verstehen und nachvollziehen, was du darüber denkst. Es tut mir wirklich so leid. Und der Brief war die ganze Zeit in der Gitarrentasche? Oh Hannah, mach dir jetzt aber bitte keine Vorwürfe. Du kannst nichts dafür." Hannah schniefte und putzte sich ihre Nase. „Ja, ich weiß. Ich versuche mir das auch selber immer wieder klar zu machen, aber so einfach ist es nicht. Ich wünschte, ich hätte Basti irgendwie helfen können." „Wenn ich irgendetwas für dich tun kann?" „Es reicht schon, dass du mir zuhörst. Danke, Maite. Das hilft mir schon enorm. Wie war denn das Konzert und wo seid ihr gerade?" Maite atmete laut ein: „Puh, wenn ich das wüsste. Irgendwo on the Road, aber Morgen sind wir dann wirklich für ein paar Tage in Hamburg. Das Konzert war wie immer; gute Stimmung und volles Haus. Warte mal kurz." Hannah nahm am anderen Ende nur noch ein Rascheln und eine motzende Maite wahr: „Leave me alone, dumbass." „Is that Hannah? Let me talk to her." Sie hörte noch einen männlichen Aufschrei und eine Tür, die knallte, ehe Maite wieder in Ruhe reden konnte: „Tut mir leid. Ich bin wieder dran." „Wer war das denn?", fragte Hannah, obwohl sie sich die Antwort schon denken konnte. „Ach, das war Paddy. Du glaubst nicht, was der zurzeit für gute Laune hat, echt unerträglich." Hannah lächelte in sich hinein. „Wirklich? Naja, lieber so als die Wochen davor, oder? Du, ich wollte dir...", fing Hannah noch an, als Maite wiederum von jemanden gestört wurde. „Ist ja gut, verdammt. Tut mir leid, ich muss Schluss machen. Hier im Nightliner hat man echt nie seine Ruhe. Ich rufe dich morgen nochmal an in Ordnung? Wenn noch irgendetwas sein sollte, dann schreib mir. Ich bin immer für dich da. Das weißt du, oder?" „Ja natürlich weiß ich das. Danke, Maite. Wir reden morgen. Und grüß Paddy ganz lieb von mir, ja?" Sie verabschiedeten sich und legten auf. Hannah fühlte sich schon besser. Es tat einfach gut mit Maite über alles zu reden. Ihr Handy riss sie aus ihren Gedanken, das vor sich hinsummte.

„Maite ist hier der Trottel, nicht ich! Alles klar bei dir? Muss ich mir Sorgen machen?"

„Nein, alles gut. Muss ich mir Sorgen machen, weil du so gute Laune hast?"

„Ich hätte noch viel bessere Laune, wenn Maite mir ihr Handy gegeben hätte."

„Dann musst du dich nächstes Mal einfach durchsetzen. Dein Dickkopf ist doch groß genug. :-)"

„Vielleicht mache ich das das nächste Mal auch. Auf der anderen Seite will ich mich auch nicht mir ihr anlegen."

„Touche. Das würde ich auch nicht. Du...ich wünschte, du wärst jetzt bei mir. Der Tag hat mich echt fertig gemacht."

„Schreib sowas nicht. Das macht mich traurig. Wenn ich könnte, würde ich sofort zu dir kommen... Moment."

Hannah wollte gerade antworten, als Paddy sie anrief: „Hallo?" Eine Weile war nichts zu hören und sie fragte sich, was das sollte, als sie plötzlich eine Gitarre hörte und Paddy, der lauthals für sie sang. Hannah musste lachen und weinen zu gleich. Nachdem die letzten Töne von „Chicken pies", verstummten, kam Paddy ans Telefon: „Besser?", fragte er. „Du bist so ein Spinner." „Höre ich da etwa ein Grinsen? Glaub mir, dieses dumme Lied spiele ich nur noch für dich. Früher hat dich das auch immer aufgemuntert" Hannah lachte: „Na, da fühle ich mich aber geehrt. Danke, Paddy. Jetzt fühle ich mich auch besser." Eine kurze Stille trat ein, ehe Hannah wieder sprach: "Ich vermisse dich." Paddy wurde wieder ernst: „Ich dich auch, sehr sogar. Wir sehen uns bald ja? Und bis es soweit ist, schreiben wir und telefonieren?" „Auf jeden Fall, aber greif Maite das nächste Mal nicht so an." Nun war es Paddy, der lachte. „Ich werde es versuchen. Pass auf dich auf, Murmeltier."

Zwischen Liebe und FreundschaftWhere stories live. Discover now