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„Kann ich reinkommen?", fragte Kira und fand Hannah alle viere von sich gestreckt auf ihrem Teppich vor, den Blick starr an die Decke gerichtet. Sie setzte sich neben Hannah und sagte kein Wort, saß still neben ihr und strich ihr sanft über den Unterarm. Hannah rührte sich keinen Zentimeter. Sie war immer noch der festen Überzeugung, dass sie nicht schwanger war. Kira wusste auch nicht, wie sie reagieren sollte. Sicher war solch eine Nachricht anfangs ein Schock, wenn man denn die Wahrheit anerkannte. „Hannah, du..." setzte Kira an, doch Hannah unterbrach sie. „Ich bin gar nichts." Wütend setzte sie sich auf und schaute Kira angriffslustig an. „Lass mich doch bitte ausreden. Du...Wir sollten morgen zu deiner Frauenärztin gehen. Danach kannst du immer noch überlegen, was du machen willst." Hannah schnaufte. „Da gibt es nichts zu überlegen, weil alles in Ordnung ist." Kira bemerkte, dass sie nicht zu Hannah durchdringen konnte und legte den Test auf den Nachttisch. „Ich lass dich lieber alleine. Wenn etwas sein sollte, ich bin im Wohnzimmer." Wutentbrannt zog sich Hannah um und ging zu Bett. Den Test ignorierte sie gekonnt. „Und was sagt sie?", fragte Sandra als Kira zu ihr ins Wohnzimmer kam. „Nichts. Sie ist total fertig mit den Nerven. Ich werde morgen mit ihr zum Arzt gehen." Sandra nickte. „Da hat sie wohl keine andere Wahl."

Hannah schlief schlecht. Immer wieder kamen ihr wirre Gedanken über Babys und schwangere Frauen in den Sinn, so dass sie früh aufstand. Den Schwangerschaftstest hat sie sich immer noch nicht angeschaut und sie hatte auch nicht den Drang dazu. Als sie ins Badezimmer ging, um zu duschen, betrachtete sie sich im Spiegel. So fertig hatte sie schon lange nicht mehr ausgesehen. Die warmen Wasserstrahlen der Dusche taten ihr gut und lockerten ihre angespannte Haltung, die sie die Nacht über eingenommen hatte. Sie dachte über Kiras Worte nach, die sie am Abend zu vor zu ihr sagte und musste sich eingestehen, dass sie recht hatte. Natürlich musste sie zum Arzt, auch wenn sie zu gerne an ihrer Meinung festhalten wollte. Frisch geduscht traf Hannah auf Kira, die bereits komplett angezogen und mit einer Tasse Kaffee in der Küche saß. „Ich habe dir Tee gemacht. Sandra schläft noch. Wollen wir gleich los?", fragte Kira ruhig und deutete Hannah an, sich zu setzen. Diese nippte an ihrem Tee und nickte. Schweigend saßen sie in der Küche und hingen ihren Gedanken nach. Kira war froh, dass Hannah keinen Widerstand leistete und sich ohne weitere Probleme zum Frauenarzt schleppen ließ.

Nervös saß Hannah im Wartezimmer ihrer Frauenärztin und knete ihre Hände. Kira war ebenfalls nervös und versuchte ihrer Freundin beizustehen so gut sie konnte. „Frau Münch, kommen sie bitte?" Mit schlotternden Knien stand Hannah auf. „Soll ich mitkommen?", fragte Kira und Hannah nickte. Gemeinsam betraten sie den Behandlungsraum. „So Frau Münch, wie kann ich ihnen helfen?" Hannah starrte auf den Boden und brachte kein Wort heraus, so dass Kira für sie einsprang. „Wir...oder besser gesagt sie würde gerne einen Schwangerschaftstest machen." Die Ärztin war sehr zuvorkommend und blieb professionell in ihrem Job, als sie Hannah fragte, wann sie das letzte Mal ihre Periode hatte und sie darauf keine genaue Antwort wusste. „In Ordnung frau Münch, dann würde ich erstmal Blut abnehmen und anschließend möchte ich sie bitten, in diesen Becher eine Urinprobe abzugeben." Hannah wurde ganz blass im Gesicht. „Ich hasse Nadeln", flüsterte sie. „Das ist kein Problem, Frau Münch.Sie sind nicht die einzige, die Angst vor Nadeln hat. Das kommt öfter vor. Komm legen sie sich hier auf die Liege. Ihre Freundin kann auch bei ihnen bleiben.", sagte die Ärztin mit einfühlsamer Stimme und nickte Kira zu. Nachdem Hannah die Proben ablieferte, mussten sie kurz im Wartezimmer Platz nehmen, ehe sie nochmals von der Ärztin ins Sprechzimmer gebeten wurden. „So Frau Münch, dann setzen sie sich nochmal. Ich habe mir die Testergebnisse angeschaut. Sowohl in der Blut- als auch in der Urinprobe konnte Beta-HCG nachgewiesen werden." Die Frauenärztin erklärte Simpel, wozu dieses Hormon diente und dieses ein eindeutiger Indikator für eine Schwangerschaft war. „Ich würde gerne noch einen Ultraschall durchführen, um zu sehen wie weit die Schwangerschaft fortgeschritten ist, damit wir danach weiteres Vorgehen besprechen können." Wie in Trance legte sich Hannah wieder auf die Liege. Sie machte ihren Bauch frei und zuckte leicht zusammen, als das kalte Gel ihren Körper berührte. Die Ärztin führte das Ultraschallgerät über ihren Bauch. „Da, sehen sie. Das ist ihre Gebärmutter und der weiße Schatten hier, ist der Embryo." Sie tippte gekonnt auf ein paar Tasten herum und machte einige Bilder, die sie auch gleich ausdruckte. „Hier sehen schon die Ansätze der Gliedmaßen. Das sieht alles prächtig aus, Frau Münch. Wenn ich die Größe und die Entwicklung des Embryos betrachte, würde ich sagen, dass sie in der achten oder neunten Schwangerschaftswoche sind." Die Ärztin reichte Hannah ein Papiertuch, damit sie sich den Bauch abwischen konnte. „Jetzt verdauen sie erstmal die Nachricht, Frau Münch und lassen sie sich alle Optionen durch den Kopf gehen. Sie haben noch ein wenig Bedenkzeit. Ich gehe ihnen auch ein paar Broschüren mit, damit sie sich ausgiebig informieren können. Wenn sie noch fragen haben, können sie mich auch in den Sprechzeiten erreichen. Machen sie es gut." Hannah blieb wortkarg, bedankte sich bei der Ärztin und nahm die Broschüren entgegen. Auch auf dem Nachhauseweg, redete Hannah gar nicht. Sie war immer noch zu geschockt von der Nachricht und realisierte noch gar nicht, was überhaupt Sache war.

Sandra öffnete Kira und Hannah die Tür. Sie war immer noch sauer auf Hannah. „Und hast du jetzt Gewissheit, dass du nicht schwanger bist?", fragte sie kalt, doch als sie das Häufchen Elend sah, wurde Sandra sofort weich: „Oh shit, komm her Süße." Hannah brachen alle Dämme und fing an zu weinen. Sandra nahm sie fest in den Arm und strich ihr über den Rücken. „Ganz ruhig, das wird schon.", sagte sie, war jedoch selbst mit der Situation überfordert, auch wenn sie selbst nicht betroffen war.

Zwischen Liebe und FreundschaftWhere stories live. Discover now