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Mit gemischten Gefühlen stand Hannah vor dem Hintereingang der Kölnarena. Ihre Entscheidung über ihre Schwangerschaft änderte sich gefühlt jede Stunde. Normalerweise fiel es Hannah nicht schwer Entscheidungen zu treffen und Argumente plausibel zu ordnen, doch dieses Mal gelang es ihr nicht. Schließlich gab sie es auf und hat beschlossen auf ihr Bauchgefühl zu hören, da sie der Meinung war, ihr Kopf ließe sie in dieser Entscheidung im Stich. Kira riss Hannah aus ihren Gedanken, als sie Tom sah, der langsam auf sie zukam. Sie begrüßten ihn und schwatzten mit ihm, während er sie in die Arena führte. Einige Fans standen ebenfalls am Hintereingang und gafften ungläubig Hannah und Kira an. Hannah spürte die Blicke der Fans, die anfingen zu tuscheln, und fühlte sich unwohler denn je. Kira schien dies zu merken und griff nach ihrer Hand. Hannah lächelte Kira dankend an und spürte wie ihr Puls raste. Da die beiden jungen Frauen spät dran waren, war der Aufbau und der Soundcheck bereits erledigt, so dass sie Backstage auf die ganze Familie trafen. Angelo war der Erste, der sie begrüßte, gefolgt von Maite, die Hannah gleich zu sich zog, während Kira freudig auf die anderen Familienmitglieder zuging. „Wie geht's dir?", fragte Maite eindringlich und starrte auf Hannahs Bauch. „Keine Sorge mir geht es gut. Ab und zu überkommt mich die Übelkeit, aber sonst..." fertigte Hannah Maite ab. Maite nickte und setzte zur nächsten Frage an, doch Hannah kam ihr zu vor. „Und nein, ich weiß immer noch nicht, wie es weiter gehen soll." Als sie jedoch die Blicke der Fans mitbekam und ein Kind in keiner Weise geheim gehalten werden konnte, zweifelte sie an sich selbst und fühlte sich neben der Verantwortung einer Mutter für ein Leben in der Öffentlichkeit einfach nicht gewachsen. „Wie geht es Paddy?", fragte Hannah vorsichtig. Sie hatte zwar täglich mit ihm telefoniert, war sich jedoch nicht sicher, wie er mit dieser Situation fertig wurde. Maites Haltung versteifte sich und zögerte, ehe sie eine Antwort darauf gab. „Naja...er zieht sich zurzeit sehr zurück und ist sehr gereizt. Ich glaube, er ist genauso überfordert wie du." Hannah gab ihr zu verstehen, dass sie verstand.

Hannah begrüßte den Rest aus der Familie, Paddy war jedoch nirgends zu sehen. Sie fand ihn schließlich in der Garderobe und lächelte ihn an, als er sie bemerkte. „Hey.", sagte sie verlegen und setzte sich zu ihm. Paddy lächelte verhalten. Hannah musterte ihn und bemerkte, dass es ihm nicht gut ging. Er wirkte müde und gestresst. Seine Augen strahlten nicht die Wärme aus, die sie kannte, und sein Erscheinungsbild wirkte eingefallen und dünner. „Man, Paddy." Sie schloss ihn in die Arme und unterdrückte ihre Tränen. „Du siehst echt fertig aus." Paddy erwiderte Hannahs Umarmung. „Nur zu wenig Schlaf in der letzten Zeit, alles halb so wild." „Dein Anblick sagt etwas anderes. Willst du dich lieber noch ein bisschen ausruhen und wir reden später?" Hannah hoffte, dass Paddy das Angebot annahm, doch er schüttelte energisch den Kopf. „Hannah, ich habe echt viel hin und her überlegt." „Warte, bevor du irgendetwas sagst, lass mich anfangen.", unterbrach ihn Hannah. Sie nahm all ihren Mut zusammen und sprach das aus, was sie gerade für das Richtige hielt.  „Ich bin einfach noch nicht so weit. Und dich macht es doch genauso fertig wie mich." Sie schaute auf ihre Hand hinunter, die sich wie von selbst auf ihren flachen Bauch platziert hatte. Paddy lehnte sich nach vorne und knete sich nervös die Hände. „Was ist, wenn wir unsere Entscheidung bereuen?" „Was ist, wenn wir ein Kind in die Welt setzen und es bereuen, dass es nicht das bekommt, was es von uns verdient hat?", stellte Hannah die Gegenfrage und nahm Paddys Hand in ihre. „Wir stehen das gemeinsam durch." „Also, kriegen wir das Kind nicht?" Hannah nickte langsam. „Ich denke, es ist besser so." Paddy nahm sie in die Arme. „Es tut mir so leid, wirklich." Hannah drückte Paddy fest an sich. „Es muss dir gar nichts leidtun, wir beschließen das ja schließlich gemeinsam." Sie gab ihm einen Kuss und lächelte ihn an. „Wirklich. Es ist alle in Ordnung. Ich rufe gleich Morgen meine Frauenärztin an... und schau nicht so. Du musst gleich auf die Bühne." Paddy schaute Hannah hinterher als sie aufstand, ihn nochmal verständnisvoll anlächelte und zur Tür ging. Mit einem mulmigen Gefühl ging sie zu Kira. Dass sie sich nun gemeinsam mit Paddy gegen das Kind entschieden hatte, ließ sie aufatmen, auf der anderen Seite wurde ihr mit jeder Minute, die nach der Entscheidung verstrich, klar, was solch eine Abtreibung eigentlich bedeutete.

Wie bei jedem Konzert, das Hannah besuchte, stand sie am Rand der Bühne und genoss die Show. Wenn man Paddy besser kannte, bemerkte man, dass er ausgelaugt war, doch die Fans schienen das Ganze nicht mitzubekommen und feierten ihre Idole. Als sich das Konzert langsam dem Ende näherte und gerade die letzten Töne von „Ares qui" ertönten, flüsterte Maite Paddy etwas ins Ohr. Dieser nickte und trat wieder an das Mikrofon. „Seid ihr gut drauf?" Die Menge tobte und kreischte. Während Paddy das Publikum unterhielt, verschwand Maite hinter Bühne. Paddy blickte immer wieder zu dem Punkt, wo Maite verschwunden war. Als seine Schwester jedoch wieder auftauchte, nickte sie ihm zu und Paddy fuhr mit der Show fort. „Wir haben heute einen kleinen besonderen Gast." Die Menge jubelte als Maite mit einem kleinen Mädchen hervorkam, das knallrote Locken hatte. Paddy kniete sich zu ihr. „Wie heißt du denn?" Verlegen flüsterte sie Paddy ihren Namen ins Ohr und ließ dabei Maites Hand nicht los. „Das ist aber ein schöner Name. Die kleine Valentina hier hat heute Geburtstag." Wieder fing das Publikum begeistert an zu klatschen." Wie alt bist du denn geworden, Valentina?" Paddy hielt ihr das Mikrofon hin. „Fünf", sagte das kleine Mädchen und strahlte. In Nullkommanichts nahm er Valentina auf den Arm. „Na das müssen wir doch feiern. Was sagt ihr dazu?", fragte er die Fans, die lauthals anfingen Happy Birthday zu singen. Paddy und seine Geschwister stimmten mit ein. Valentina klammerte sich an Paddy und bewunderte die große Halle. Als das Lied endete flüsterte sie Paddy etwas ins Ohr, der lauthals anfing zu lachen. Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn und setzte sie ab. Sie grinste ihn mit funkelnden Augen an, ehe Maite Valentina an die Hand nahm und sie wieder von der Bühne führte.

Hannah, die dieses Szenario vom Bühnenrand beobachtete, unterdrückte Tränen. Plötzlich kamen ihr richtige Zweifel an einer Abtreibung. So wie Paddy mit Kindern umging und auch aus dem Vertrauen, das sie in Paddy hatte, schöpfte sie Hoffnung, dass sie zusammen alles meistern könnten, auch ein Kind. Kira schaute Hannah fragend an, doch Hannah lächelte und schüttelte den Kopf, während sie sich die Tränen aus ihrem Gesicht wischte. Paddy schaute Maite und Valentina hinterher und erhaschte dabei einen Blick auf Hannah. Er stutze als er ihre verweinten Augen sah und sah sie fragend an. Trotz ihrer verweinten Augen erwiderte sie Paddys Lächeln und strich sich über den Bauch. Er verstand Hannah ohne Worte und nickte ihr über beide Ohren grinsend zu.

Nach dem Konzert rannte Paddy von der Bühne und direkt auf Hannah zu. „Und du bist dir wirklich sicher?", fragte er und schloss sie in die Arme. Hannah kamen wieder die Tränen und brachte kein Wort heraus, weshalb sie nur nickte. Überschwänglich küsste Paddy sie, die anfing zu lachen, als er sie hochnahm und wieder fest an sich drückte. Maite verstand diesen Gefühlsausbruch von Paddy nur zu gut grinste ebenfalls, ließ Hannah und ihren Bruder jedoch den Moment für sich. Angelo ging auf Kira hinüber und blieb bei ihr und Maite stehen. „Was ist denn mit den beiden los?" Er deutete auf Hannah und Paddy. „Das erfährst du noch früh genug." Kira legte Angelo ihren Arm und die Hüfte und beobachtete das Glück ihrer Freundin.

Zwischen Liebe und FreundschaftWhere stories live. Discover now