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Schwerelos gleite ich im einsamen Nichts. Ab und zu zischen Erinnerungen vorbei. Verschwommene Bilder, die keinen Zusammenhang haben. Selten kommt eine Stimme durch, ganz weit entfernt und so undeutlich, dass das vermeintlich Gesagte unverständlich ist. Ist das der Tod? Ist jeder vor dem Sterben in diesem Nichts gefangen? Ich spüre nichts, keinen Körper, keine Gefühle. Ich lasse das alles an mir vorbei schweben. Die Szenarien, von denen ich weiß, dass ich sie erlebt habe, berühren mich kein bisschen mehr. Mal sind die Erinnerungen detaillierter, mal so verschwommen und vermischt mit anderen, dass sich kein Bild mehr erkennen lässt. Ich habe kein Interesse daran dies alles erneut sehen zu müssen. Abwenden kann ich mich aber nicht, ich besitze hier keine Kontrolle. Also werde ich gezwungen meine Vergangenheit erneut zu durchleben. Ich sehe den Tod, viele Grausamkeiten, Verzweiflung, aber auch schöne Dinge wie die Landschaften und alles, was vor der Nebelgestalt war. Aber all das löst nichts in mir aus. Ist das normal? Längere Zeit wird mir nun die Grenze zwischen Sternental und dem Düsterwald gezeigt. Alles ist so friedlich dort. Schmetterlinge fliegen bei Sonne umher und Glühwürmchen erleuchten die Nacht. Jetzt kommt die Trist, sie überzieht das ganze Tal und anstatt friedlich wirkt es nun bedrohlich und angsteinflößend. Ist das die Realität? Aber die Nebelgestalt müsste doch vernichtet sein. Ohne sie dürfte es keinen so schmutzigen Nebel mehr geben. „Ein Bestandteil von dir, auf ewig!", rauscht es an mir vorbei. Nein! Und mit dieser plötzlichen Reaktion dreht sich auf einmal alles ganz schnell. Die Bilder rattern an mir vorbei und ich kann nichts mehr klar erkennen. Nur das Gefühl, trotz allem versagt zu haben, bleibt bestehen.

Es gibt keine Zeit hier, keine Zeit, die vergehen könnte wie ich sie normalerweise kenne. Es kann sein, dass ein Jahr vergangen ist, es können auch zehn gewesen sein, oder nur eine Stunde. Eingeschätzt werden kann dies nicht. Es dauert trotzdem lange, bis sich alles wieder etwas beruhigt hat. Doch dann folgt alles ein zweites Mal, ein drittes, ein viertes und noch viele weitere Male. Unendliches Leiden und ich kann nicht mehr unterscheiden, was eine echte Erinnerung gewesen sein könnte, oder was nun gefälscht entstanden ist. Immer häufiger kommen einzelne Stimm- und Wortfetzen vor. Und in jenem Moment kann ich das erste Mal eine Stimme zuordnen. Es ist die von Legolas. Als mich diese Erkenntnis durchfährt pocht das, was eventuell mein Herz sein könnte. Das erste Mal spürte ich wieder etwas von mir. Er spricht zu mir! Das Gefühl der Sehnsucht breitet sich aus. Immer mehr will ich zurück und seit dem ich seine Stimme das erste Mal verstand, nimmt mich dies alles hier wieder emotional mit und umso mehr möchte ich weg von hier. Was muss ich tun um wieder zu erwachen? Was muss ich tun um wieder zu leben? Ich will leben!

Immer mehr höre ich von Außen. Ich kann Stimmen zuordnen, jedoch zu verstehen was diese sagen, dazu bin ich noch nicht fähig. Die zweite Stimme ist die meines Vaters. Fast noch schlimmer als bei Legolas ergeht es mir dabei. Auch Taavi und Tauriels Stimmen vernehme ich. Aber es vermischt sich alles wieder in unpassenden Momenten und dann stehe ich wieder mit Nichts dar. Zurückgeworfen an den Anfang. Wie ein unendlicher Kreislauf spielt sich alles immer wieder von neuem ab. Sind die Stimmen, die ich höre, die Echten oder bilde ich mir das nur ein? Sprechen sie wirklich in genau diesem Moment zu mir? Ich müsste in Sternental sein, sicher und bewacht vermutlich. Aber wieso wache ich dann nicht auf? Lass mich raus hier! Bitte! Ich will zu meinem Vater und meinen Freunden! Ich versuche das lähmende Gefühl, welches mich wieder zu überfallen droht, auszublenden. Bloß nicht wieder in die gefühllose Starre geraten! Was passiert hier mit mir? Ich kann, solange ich mich nicht überfallen lasse, wieder klar denken. Aber warum spüre ich meinen Körper nicht? Nur mein Geist scheint wach zu sein. Die Bilder, die ich zu Gesicht bekomme, foltern mich zunehmend mehr. Ich würde es bestimmt nicht mehr lange aushalten. Hyperventilieren, ist es das, was von mir verlangt wird? Die Nerven zu verlieren und nur noch zu wollen, dass es aufhört? An diesen Punkt müsste ich gleich gelangen. Bringt es überhaupt etwas zu versuchen, sich zu beruhigen? Sich einzureden, dass es schon gut ausgehen würde? Wäre genau das der Fehler? Ich weiß es nicht! Wenn ich hier hyperventiliere, müsste sich auch mein Körper bemerkbar machen. Ich hätte womöglich die Chance aufzuwachen. Vielleicht würde ich dadurch aber auch noch sehr viel tiefer sinken und vermutlich nie wieder komplett zu mir kommen.

Zwischen verzerrten Bildern erklingt immer mal wieder ein Laut. Aber nie stimmte Bild und Ton überein, bis jetzt. Genau jetzt erscheint ein Auge. Mein Auge? Schwer zu sagen, nach all den Farbwechseln. Aber das müsste meine eigentliche, natürliche Augenfarbe sein. Fasziniert starre ich mein eigenes Auge an. Ob es ab nun an wohl wieder bei dieser Farbe bleibt? Ich würde sie gerne wieder haben. Meine Augen zurück, ohne, ständig die Fähigkeiten damit in Verbindung bringen zu müssen. Plötzlich nehme ich wahr, wie sich etwas in dem Auge spiegelt. Ich sehe Bewegungen darin. Ist das meine Tür zur Realität? Ich komme nicht dazu, länger darüber nachzudenken, denn das Auge blinzelt einmal, ich bekomme einen letzten Einblick und dann schließt es sich vollständig und alles wird wieder schwarz. 

Legolas & DuWhere stories live. Discover now